Süddeutsche Zeitung

Libanon:Währung im freien Fall

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Das libanesische Pfund verliert fast stündlich an Wert, mit dramatischen Folgen. Der Premier erhält Todesdrohungen und verlässt seine Wohnung nicht mehr. Sein Gehalt entspricht gerade noch ein paar Hundert Dollar.

Von Moritz Baumstieger, München

Wie bedrohlich exponentielles Wachstum sein kann, weiß man auch in Libanon. Das Land an der Levanteküste steht am Anfang einer dritten Welle von Corona-Infektionen. Die Hoffnungen, das Infektionsgeschehen durch Impfungen eindämmen zu können, sind gering: Nachdem sich zunächst Parlamentarier und dem Staatspräsidenten Michel Aoun nahestehende Personen rechtswidrig Impfdosen gesichert haben, ist nun zwar die Bevölkerung dran - aber mehr als 4000 Spritzen pro Tag werden derzeit nicht verabreicht, sagt Firass Abiad, Leiter der Beiruter Uniklinik. Libanon hat etwa 6,8 Millionen Einwohner - "wir haben bisher also nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung erreicht".

Trotzdem sind es nicht die steil ansteigenden Infektionszahlen, die den Libanesen derzeit die meisten Sorgen bereiten. Noch bedrohlicher ist die Kurve, die den Kurs der Landeswährung im Vergleich zum US-Dollar zeigt: Der Graph, der schon seit Monaten einen massiven Wertverlust des libanesischen Pfunds anzeigt, schießt seit Wochenanfang fast senkrecht nach oben. Anfang März verlangten Devisenhändler noch 9700 Pfund für einen Dollar, Ende vergangener Woche 10 000. Am Montag und Dienstag gab die Währung fast stündlich nach: 13 000, 14 000, 15 000 - die Halbwertszeit der Negativrekorde wurde immer kürzer.

Was das für die Bevölkerung bedeutet, ließ sich an Geschäften beobachten: Viele wurden am Dienstag belagert, mit Panikkäufen versuchten Libanesen Vorräte anzulegen, bevor sie noch weniger für ihr Geld bekommen. Allein seit Dezember 2020 sind die Lebensmittelpreise um 402 Prozent gestiegen. Mancherorts geriet die Lage außer Kontrolle, es kam zu Plünderungen.

Andere Läden sperrten gar nicht erst auf, weil die Betreiber schlicht keine Ware mehr bekommen: Libanon muss fast alle Güter importieren, was durch den Währungsverfall immer schwieriger wird. Das Pfund, dessen Kurs die Zentralbank lange künstlich stabil zu halten versuchte, war Ende 2019 im Vergleich zum Dollar fast zehn Mal so viel wert.

Doch dann brach das Schneeballsystem zusammen, mit dem Zentralbankchef Riad Salamé ausländische Währung ins Land zu locken versuchte. Die Regierung hatte den Banken des Landes ermöglicht, Anlegern enorm hohe Zinsen zu zahlen, doch nun war sie selbst pleite. Zur Finanz- kam die Covid-Krise, schließlich noch die Explosion des Beiruter Hafens im August, die Zehntausende Existenzen vernichtete. Die Regierung von Premier Hassan Diab trat zurück - und verwaltet das Elend sieben Monate später immer noch, denn Diabs designiertem Nachfolger Saad Hariri ist es bislang nicht gelungen, ein neues Kabinett zu formieren. Wegen der endlosen Hängepartie forderte Staatspräsident Michel Aoun am Mittwochabend den Rücktritt Hariris von dem Posten, den der noch gar nicht angetreten hat, Hariri plädierte im Gegenzug für vorgezogene Präsidentschaftswahlen.

Am einzigen Flughafen des Landes gingen die Lichter aus

Heute agiert der einst so selbstbewusste Diab von seiner Privatwohnung aus. Es sind weniger die von wütenden Demonstranten errichteten Straßenblockaden, die ihn daran hindern, seinen Amtssitz aufzusuchen, als Todesdrohungen, wie er der Financial Times erzählte. Jede Woche, die das Land auf eine neue Regierung warten müsse, sei angesichts des Reformstaus wie ein verlorenes Jahr: "Wir stehen vor einer akuten finanziellen Katastrophe".

Die kann man etwa auch an dem Salär ablesen, das der gegen seinen Willen immer noch regierende Premier bezieht: Als er sein Amt antrat, entsprach es in etwa 7300 Dollar - nach dem Umrechnungskurs von Dienstagabend erhält der Premier heute noch etwas weniger als 740 Dollar.

Hungern muss Diab nicht, aber viele seiner Bürger. Laut Weltbank lebt fast die Hälfte bereits unter der Armutsgrenze, 22 Prozent sogar in großer Armut. Wer den Mindestlohn bezieht, hat heute nur noch etwa 45 Dollar zur Verfügung. Und obwohl die Regierung Ende vergangener Woche noch ein Unterstützungspaket für Bürger in Not beschloss, musste sie am Dienstag neue Grausamkeiten ankündigen: Da die Währungsreserven bedrohlich sinken, werde man Subventionen kappen. Wieviel harte Währung die Zentralbank überhaupt noch vorhält, weiß kaum jemand genau. Nach Informationen der Agentur Bloomberg sind die Devisenreserven jedoch binnen eines Jahres von 25,1 Milliarden Euro auf 13,4 Milliarden gesunken.

Nicht nur die Bürger, auch staatliche Institutionen wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Der Innenminister warnt, dass die Sicherheitskräfte ihre Aufgaben um 90 Prozent reduzieren müssten, der Energieminister verlangt eine Milliarde Dollar, um einen totalen Zusammenbruch der heute schon nur teils funktionierenden Stromversorgung zu verhindern.

Ein Parlamentsausschuss bewilligte ihm 200 Millionen - daraufhin gingen am Dienstag selbst am einzigen Flughafen des Landes die Lichter aus. Und der Armeechef warnt, dass er seine Truppe für das laufende Jahr nicht bezahlen könne - während gleichzeitig ein libanesischer Diplomat im vertraulichen Gespräch mit der SZ einen Coup als eine der letzten Lösungsmöglichkeiten skizziert.

Selbst bei der Begleichung kleinerer Beträge hakt es erheblich, wie die deutsche Firma Combi Lift erfahren musste: Das Bremer Unternehmen hat mehr als 1000 Tonnen hochgiftige Chemikalien gesichert, die im Beiruter Hafen nach der Explosion entdeckt wurden und nach Aussage von Firmenchef Heiko Felderhoff "leicht die nächste Bombe" hätten sein können. Die zwei Millionen Euro, die ihm in dem im November geschlossenen Vertrag zugesichert wurden, waren auch einen Monat nach Abschluss der Arbeiten nicht gezahlt, die 52 Container Chemikalien stehen deshalb noch immer im Hafen.

Am Dienstagabend nun hat Libanons Regierung einen "Letter of Credit" eröffnet, der die Bezahlung sichert. "Hat wirklich lange gedauert", sagt Felderhoff lakonisch. Nun sei ein Schiff zur Abholung unterwegs - zumindest in dieser Hinsicht sinkt die Explosionsgefahr in Libanon.

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