Süddeutsche Zeitung

Libanon:Flucht ins Gestern

Das Ansehen von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ist nach der Explosion stark gesunken. Er redet aber lieber über die angeblich glorreiche Vergangenheit.

Von Moritz Baumstieger

Das richtige Thema erkennen und es zur richtigen Zeit setzen - dieser Instinkt entscheidet in der Politik oft über Erfolg und Misserfolg. Insofern ließ der Hinweis auf eine Rede aufhorchen, die libanesische Medien für diesen Freitag ankündigten. Der Führer der Iran-nahen schiitischen Bewegung Hisbollah, Hassan Nasrallah, wird um 20.30 Uhr lokaler Zeit vor die Kameras treten, wohl wie gewöhnlich vor einer neutralen blauen Wand, um seinen Gegnern keinerlei Rückschlüsse auf seinen Aufenthaltsort zu ermöglichen. Das Thema, das Nasrallah für Freitag vorgesehen hat, mag in diesen Tagen überraschen: Er wird sich dem "glorreichen Sieg" seiner Miliz über den Feind Israel im Jahr 2006 widmen, mit dem der Konflikt aus seiner Sicht am 14. August vor 14 Jahren endete. Die Explosionskatastrophe am Beiruter Hafen läuft in der Ankündigung wohl unter dem Punkt "weitere Entwicklungen".

Bevor am 4. August unter noch immer ungeklärten Umständen 2750 Tonnen Ammoniumnitrat explodierten und weite Teile Beiruts zerstörten, schien Nasrallah auf dem Höhepunkt seiner Macht zu sein. Seit er Präsident Michel Aoun 2016 ins Amt verhalf, ist der ein enger Verbündeter. Im Januar gelang es Nasrallah - der neben seiner Tätigkeit als Generalsekretär der Hisbollah kein Amt oder Mandat bekleidet -, mit dem Kabinett von Premier Hassan Diab eine Regierung zu installieren, die sich zwar als Team von Technokraten inszenierte, aber so von der Hisbollah abhängig war wie keine vor ihr.

Wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag nun befindet sich der Mann, der stets in Roben und mit dem Turban der schiitischen Gelehrten auftritt, in einer delikaten Lage. Zwar ist er nach dem Rücktritt des Kabinetts Diab die entscheidende Figur bei Verhandlungen über die Besetzung einer neuen Regierung oder vorzeitige Wahlen. Gleichzeitig erodiert sein Ansehen in der Bevölkerung immer mehr.

Der große TV-Sender LCBI will keine Reden mehr von Politikern übertragen, auch seine oft stundenlangen nicht mehr, die früher Quotenhits waren. Das wird das Leben einiger Fernsehgeräte verlängern, denn in den sozialen Medien posteten Bürger zuletzt Videos, in denen sie mit Schuhen auf Fernseher warfen, wenn das Bild Nasrallahs zu sehen war. Und in Beiruts Zentrum hängten Demonstranten Puppen mit Nasrallahs Gesicht an symbolische Galgen. All dies wäre vor der Explosion vom 4. August undenkbar gewesen, zu gefürchtet war seine Organisation, ein Zwitter aus Partei und Miliz.

Der Zorn auf den Mann, der sich im Irak und in Iran theologisch ausbilden ließ und der 1992, zehn Jahre nach seinem Beitritt zur neu gegründeten Hisbollah, zu deren Chef aufstieg, speist sich aus zwei Quellen: Zum einen sehen jene, die nun eine vollkommene Neuordnung der politischen Verhältnisse fordern, in seiner Bewegung die größte Beharrkraft, die sich gegen Veränderungen stemmt - weil diese eine Machteinbuße bedeuten würde.

Zum anderen besteht noch der Verdacht, dass die Hisbollah indirekt etwas mit der Explosion zu tun haben könnte. Dass sie im Hafen Waffenlager oder andere Einrichtungen unterhalten hat, in denen ein Unfall eine verheerende Kettenreaktion auslöste. Nasrallah selbst wies alle Schuld von sich, bestritt, mit seinen Leuten den Hafen zu kontrollieren. Er sagte, die Hisbollah wisse mehr über den Hafen von Haifa als über den von Beirut. Dass dann ein Video von 2016 auftauchte, in dem Nasrallah kichernd über eine Explosion von Ammonium im Hafen von Haifa räsonierte, das "wie eine nukleare Bombe" Zehntausende töten würde, half seinen Dementis nicht.

In kritischen Situationen jedoch versuchen Politiker oft, eher mit bekannten Parolen die Reihen ihrer Unterstützer zu schließen, als Kritiker zu überzeugen. Und so gesehen ergibt es durchaus Sinn, dass Nasrallah in diesen Tagen die Schlachten von gestern für das richtige Thema hält.

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SZ vom 13.08.2020/kit
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