Libanon:Sprengstoff für das nächste Beben

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Saad Hariri, Sohn des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, appellierte an seine Unterstützer, nicht die Konfrontation mit Hisbollah-Mitgliedern zu suchen. (Foto: REUTERS)

15 Jahre nach dem Mord an Premier Hariri verurteilt ein UN-Gericht einen von vier Angeklagten - und entlastet die Hisbollah. Offenbar waren professionelle Täter am Werk.

Von Moritz Baumstieger, München

Eine Explosion wie diese hatte Beirut bis dato nicht gesehen: Das Äquivalent von 3000 Kilogramm Sprengstoff detonierte nahe des Hafens, zerstörte mehrere Gebäude, kostete 22 Menschen das Leben und verletzte mehr als 220. Unter den Toten war auch der Mann, dem der Anschlag galt: Libanons Premierminister Rafik Hariri hatte an jenem 14. Februar 2005 das Parlament und ein Café besucht, nun fuhr sein Konvoi entlang der Küstenstraße. Als ein Selbstmordattentäter den Zünder aktivierte, hinterließ seine Bombe einen Krater mit elf Metern Durchmesser.

Wie die jüngste Explosion in Beirut, bei der am 4. August dieses Jahres 2750 Tonnen im Hafen gelagerte Chemikalien detonierten, hatte auch der Mord an Hariri ein politisches Nachbeben: Hunderttausende Libanesen strömten auf den zentralen Märtyrerplatz und erzwangen den Abzug der seit 1976 in Libanon präsenten syrischen Truppen. Hinter dem Mord an dem selbstbewussten sunnitischen Politiker, so die Überzeugung der Demonstranten, habe nur das syrische Regime stecken können - und seine libanesischen Verbündeten, die schiitsche Miliz und Partei Hisbollah.

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Fünfzehn Jahre nach Hariris Tod steht Libanon wieder vor großen politischen Umwälzungen - und der Anschlag auf den Premier erfährt das Ende seiner juristischen Aufarbeitung. Ein Sondertribunal der Vereinten Nationen sollte am Dienstag in Leidschendam, einem Vorort Den Haags, nach sechs Jahren Verhandlung sein Urteil über vier Angeklagte sprechen, die verdächtigt werden, das Attentat ausgeführt zu haben. Das Urteil sollte eigentlich bereits am 7. August verkündet werden, war wegen des Chaos' in Beirut aber verschoben wurden.

Doch auch noch zwei Wochen nach dem Unglück, bei dem mehr als 170 Menschen starben, birgt das Verdikt politischen Sprengstoff: Zwar fanden die Richter klare Motive, die das syrische Regime und die Hisbollah-Führung gehabt haben könnten, um einen politischen Mord zu beauftragen - aber keine eindeutigen Beweise dafür. Doch waren die vier bis heute flüchtigen Angeklagten allesamt Mitglieder der schiitischen Miliz. Dass sie ohne Befehl und unabhängig ihre Tat ausführten, halten vor allem die Anhänger von Rafik Hariris Sohn für kaum glaubhaft. Saad Hariri, der ebenfalls als Premier amtierte, bezeichnete das Urteil als zufriedenstellend. Sein Vater sei ermordet worden, weil er gegen die Politik des syrischen Regimes gewesen sei. Das Opfer müsse nun von der schiitischen Hisbollah kommen, erklärte Saad Hariri weiter. Es sei deutlich geworden, dass das Netzwerk der Täter aus deren Reihe stamme. Er appellierte aber an seine Unterstützer, nicht die Konfrontation mit Hisbollah-Mitgliedern zu suchen.

Die Urteilsbegründung, die der Vorsitzende Richter David Re stundenlang in Auszügen vortrug - die gesamte Argumentation des Gerichts umfasst 2600 Seiten mit insgesamt 13 000 Fußnoten - lässt zumindest auf professionell organisierte Täter schließen.

Demnach konnten Re und seine Kollegen durch die Auswertung von Telekommunikationsdaten nachvollziehen, dass eine "rotes Netzwerk" genannte Gruppe zur fraglichen Zeit am Tatort war: Es waren die Besitzer von insgesamt acht Mobiltelefonen mit nicht zurückverfolgbaren Sim-Karten. "Sechs der Telefone wurden unmittelbar vor der Explosion ein letztes Mal benutzt", so Richter Re, "und danach nie wieder".

Über Puzzlearbeit gelang es den Ermittlern, andere Mobiltelefone ausfindig zu machen, die in Funkzellen nahe der verdächtigen Geräte eingeloggt waren - nach Ansicht der Richter reichte dies aber nur, um einen der vier Angeklagten zu überführen, Salim Ajjasch. Die anderen drei wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Die kleinteilige Ermittlungsarbeit war nötig, so Richterin Janet Nosworthy, weil wichtige Beweismittel am Tatort zerstört oder abtransportiert wurden. Die dafür wohl verantwortlichen Sicherheitskräfte standen 2005 unter erheblichen Einfluss der syrischen Besatzer. Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah weist seit Jahren alle Schuld zurück. Nach dem Rücktritt der Regierung von Premier Hassan Diab infolge der Explosion im Hafen ist seine Organisation zwar weiter in der Position, die politische Zukunft Libanons maßgeblich mitzubestimmen.

Doch Nasrallah scheint eine Dynamik zu fürchten, die, ähnlich wie 2005, das prowestliche Lager in Libanon vorübergehend stärken und die Hisbollah mit ihren syrischen und iranischen Verbündeten schwächen könnte: Nach wie vor kann er den Verdacht nicht entkräften, dass die Explosion im Hafen von einem Unfall in einem Waffenlager seiner Gruppe ausgelöst worden sein könnte. Falls sich die Wut unter den Hariri-Anhängern über die Freisprüche in dem fast 800 Millionen Dollar teuren Verfahren mit dem Zorn über eine mögliche Verantwortung der Hisbollah für die Explosion vom 4. August vermengen sollte, bebt Beirut ein weiteres Mal.

© SZ vom 19.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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