Libanon:Dem Gewissen gefolgt

Der Außenminister Nassif Hitti tritt nach einem Besuch seines französischen Kollegen zurück. Aus der anhaltenden Wirtschafts­krise könnte eine Regierungskrise werden.

Von Moritz Baumstieger

Was ein Befreiungsschlag werden sollte, endete im Desaster: Als der libanesische Außenminister Nassif Hitti Ende Juli seinen Kollegen Jean-Yves Le Drian in Beirut begrüßte, waren die Erwartungen groß. Der Gast aus Paris, so die Hoffnung, würde Libanon nicht hängen lassen. Schon aus historischer Verbundenheit müsse die frühere Mandatsmacht dem von der Pleite bedrohten Land helfen, das in seiner jetzigen Form nur existiert, weil es Pariser Kolonialbeamten vor 100 Jahren für eine gute Idee hielten, verschiedenste Glaubensgruppen in ein Staatsgebilde zu spannen.

Reformen wie sie der IWF fordert, stößt Beirut bislang nicht an

Le Drians Regierung hat jedoch wenig Ambitionen, ein weiteres Mal für die verheerende Finanz- und Wirtschaftspolitik Libanons geradezustehen: "Helft uns, damit wir euch helfen können", sagte er. Beirut solle schleunigst Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds wieder aufnehmen, der im Gegenzug für dringend benötigte Kredite dringend nötige Reformen verlangt, so der Franzose. Die auf den Weg zu bringen, war Libanons Regierung bisher nicht willens oder nicht in der Lage. Und anstatt über Summen zu feilschen, die bei den drängendsten der Probleme etwas Linderung verschaffen könnten, musste sich Premier Hassan Diab ein weiteres Mal anhören: Geld gibt es erst, wenn die Hausaufgaben gemacht sind.

Zu denen kam am Montag nun eine weitere dazu: Diab muss sich einen neuen Außenminister suchen, Nassif Hitti quittierte seinen Dienst. Dass der 67-jährige Karrierediplomat jetzt hinschmiss, der erst im Januar als Krönung seiner Karriere das Außenamt übernommen hatte, ist Beiruter Politikbeobachtern zufolge eng mit dem unglücklich verlaufenen Besuch Le Drians verbunden. Frustriert war Hitti jedoch nicht wegen die Forderungen nach Reformen aus Paris, die teile er. Sondern wegen des Verhaltens seines Vorgesetzten.

Nach Le Drians Abreise hatte Premier Diab wenig diplomatische Worte gewählt. Dem Franzosen hätten "Informationen gefehlt" über die Reformpläne der Regierung, sprich: er habe keine Ahnung gehabt, was Diabs Kabinett alles plane. In seinen sechs Monaten als Premier hat sich Diab einen gewissen Ruf erworben, Ankündigungen offensiv als tatsächliche Verdienste zu verkaufen. Die Realität bewegt sich jedoch eher in eine andere Richtung: Preise und Arbeitslosigkeit explodieren, Strom gibt nur stundenweise, immer mehr Libanesen leiden Hunger. Nach Aussage des Sozialministers werden bald 75 Prozent der Einwohner von Hilfe abhängig sein.

Woher diese noch kommen soll, konnte sich zumindest Hitti nicht mehr vorstellen. Laut lokalen Medien begründete er seinen Schritt mit dem Fehlen einer Vision, "dem Fehlen eines aktiven Willens, Reformen zu erreichen". Er habe große Hoffnungen gehabt, dass ein Wandel möglich sein könnte, wolle nun aber sein Gewissen nicht kompromittieren, nur um an der Macht zu bleiben. Sollten das ehemalige Kabinettskollegen ähnlich sehen und sich Hitti anschließen, käme zu der Versorgungs-, Währungs-, Finanz- und Wirtschaftskrise des Landes noch eine Regierungskrise dazu. Reformen - und die von ihnen abhängigen Kredite - wären endgültig außer Sichtweite.

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