Süddeutsche Zeitung

Libanon:Cannabis gegen die Staatsschulden

Lesezeit: 2 min

Von Anna Reuß, München

In wenigen Wochen, meist im September, wird geerntet. Erst werden die Pflanzen an der Sonne getrocknet, schließlich gesiebt und gepresst. Dann kann der "rote Libanese" verpackt werden. Libanon steht für Haschisch erster Güte. Das meiste von dem im Land geernteten Cannabis geht in Länder des Nahen Ostens, nach Syrien, Jordanien, Ägypten und sogar zum Erzfeind, nach Israel. Weil aber Anbau und Export illegal sind, bekommt Libanons Fiskus von dem Geschäft keinen einzigen Piaster ab.

Das Parlament will das nun ändern und diskutiert über einen Gesetzentwurf, der den Anbau und die Verwendung von Cannabis für medizinische Zwecke erlauben würde. Die Regierung hatte das Beratungsunternehmen McKinsey zuvor untersuchen lassen, ob eine solche Maßnahme die schwächelnde Wirtschaft stützen könnte. Offenbar attestierte die Firma den libanesischen Plantagen großes Potenzial. Der Wirtschaftsminister war so angetan von der Idee, dass er von einer "Eine-Milliarde-Dollar-Industrie" sprach.

Die Gesetzesänderung würde vorsehen, dass der Cannabisanbau ausschließlich für therapeutische Zwecke erlaubt wäre. Landwirte dürften lizenzierte Pflanzen ausbringen und nur mit staatlicher Genehmigung arbeiten, sagte der Abgeordnete Antoine Habchi, der den Entwurf einbrachte, der Zeitung L'Orient Le Jour. Außerdem müsste "eine andere Sorte Cannabis" angebaut werden.

Denn das, was viele Bauern in Libanon bisher illegal anbauen, sei eine Züchtung mit hohem Anteil des Wirkstoffs THC und halluzinogener Stoffe - für die Pharmaindustrie ungeeignet. Dafür müsste eine "authentischere" Pflanze her. Während Cannabis und Haschisch in der Regel geraucht werden, könnten die medizinischen Wirkstoffe auch in Pillen oder Ölen konsumiert werden. Den Stoff auf Rezept gibt es bereits in Staaten Südamerikas und Europas und in vielen US-Bundesstaaten. Er wird zur Linderung chronischer Schmerzen, Angstzuständen, Übelkeit oder bei Krebspatienten eingesetzt.

Die Legalisierung im Land ist umstritten, denn sie würde auch Verlierer hervorbringen

Die Cannabisproduktion blühte in Libanon während des Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1990 auf - die Tradition soll allerdings bis zur Zeit der alten Phönizier zurückreichen. Das fruchtbare Bekaa-Tal gilt wegen seiner Bodenbeschaffenheit und des Klimas als eine der wichtigsten Regionen für den Anbau der Pflanze. Weiterverarbeitet zu Haschisch hat der Stoff aus Ostlibanon eine besonders hohe Qualität. Und die zahlt sich aus, zumindest für Bauern, Händler und Dealer: Schon jetzt ist das Land der weltweit drittgrößte Haschisch-Produzent, nach Marokko und Afghanistan. Obwohl Verkauf und Konsum verboten sind, floriert der Untergrundhandel seit Jahrzehnten.

Von der illegalen "Parallelwirtschaft" profitierten vor allem die Mafia und Kriminelle, sagt Habchi. Trotzdem ist die Legalisierung im Land umstritten, denn sie würde auch Verlierer hervorbringen: Vor allem für die Bauern im Bekaa-Tal ist der Hanfanbau manchmal die einzige Möglichkeit zu überleben. Staatliche Regulierung könnte ihre Einnahmequellen versiegen lassen, wenn sie von größeren Firmen verdrängt werden. Eine berechtigte Angst: "Der Markt würde für internationale Pharmaunternehmen geöffnet", räumt Habchi ein, verweist aber auf die möglichen Chancen: Würde medizinisches Cannabis legalisiert, gäbe es auch entsprechende Steuereinnahmen. Denn bisher habe der Staat von Anbau und Handel "absolut nichts".

Zusätzliche Einnahmen könnte das Land dringend gebrauchen: Libanon ist das Land mit der dritthöchsten Staatsverschuldung weltweit, nach Japan und Griechenland, sie entspricht etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Regierung hat aber nur wenig Spielraum beim Sparen, denn staatliche Gehälter, Schuldentilgung und Zinsen machen 70 Prozent des Haushalts aus. Hinzu kommt, dass der Krieg im benachbarten Syrien Touristen verschreckte und zeitweise bis zu 1,5 Millionen Flüchtlinge ins Land brachte.

Abgesehen von den positiven Folgen für die Wirtschaft wäre eine Legalisierung des Hanfanbaus pragmatisch - denn trotz aller Bemühungen gelingt es der Regierung nicht, ihn zu unterbinden. Bis vor einigen Jahren rückten Sicherheitskräfte mit Bulldozern an, pflügten die Cannabisfelder um oder legten dort Feuer. Die Vereinten Nationen versuchten, Bauern mit finanziellen Anreizen dazu zu bewegen, ihre Felder in Weinberge umzuwandeln. Dass der Erfolg solcher Maßnahmen gering war, lässt sich jedoch schon allein an den Mengen Hasch und Cannabis ablesen, die regelmäßig am Beiruter Flughafen beschlagnahmt werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4091429
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.08.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.