Explosion in Libanon:Die Spur führt nach ganz oben

Debris and damaged vehicles are seen in the port area, after a blast in Beirut

Zerstörung im Hafen von Beirut nach den Explosionen

(Foto: REUTERS)

Experten sollen Präsident Aoun und den mittlerweile zurückgetretenen Ministerpräsident Diab im Juli vor den gefährlichen Chemikalien im Beiruter Hafen gewarnt haben. Verhaftet wurden bisher aber nur Hafenmitarbeiter.

Von Moritz Baumstieger und Dunja Ramadan

Der amtierende Militärrichter Fadi Akiki, der zur Explosion am Beiruter Hafen ermittelt, hat ganz besondere Verbindungen zur politischen Klasse. So ist Akiki mit der Nichte von Parlamentspräsident Nabih Berri verheiratet. Kaum jemand ist so lange am Hebel der Macht wie Berri, der 82-Jährige hat dieses Amt seit 1992 inne.

Nach der verheerenden Katastrophe erzürnte Berri, der zudem Chef der schiitischen Amal-Bewegung ist, die Libanesen mit einem Gedicht, in dem er schreibt, Beirut werde wie ein Phönix aus der Asche steigen. Wie die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde, soll nun ausgerechnet einer seiner angeheirateten Verwandten untersuchen. Die erste Amtshandlung Akikis bestand darin, vergangene Woche 16 Hafenmitarbeiter festnehmen zu lassen.

Diese Verhaftungen erscheinen angesichts neuer Vorwürfe gegen die Regierung jedoch geradezu nebensächlich. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sollen Sicherheitsexperten die libanesische Regierung im Juli vor den verheerenden Folgen einer Explosion im Hafen von Beirut gewarnt haben. Dabei wurden explizit die 2750 Tonnen Ammoniumnitrat erwähnt, die wohl zu der Explosion führten.

Die Chemikalien sollen fast sieben Jahre lang ungesichert im Hafen gelagert worden sein. Die Warnung der Sicherheitsexperten soll dem Bericht zufolge an den mittlerweile zurückgetretenen Premier Hassan Diab und den Präsidenten Michel Aoun gegangen sein. Im jüngsten Bericht der Generaldirektion für Staatssicherheit gebe es einen Hinweis auf einen Brief an die beiden Politiker, der am 20. Juli verschickt worden sei.

Präsident Aoun verweist auf begrenzte Handlungsmacht

"Ich habe sie gewarnt, dass dies Beirut zerstören kann, wenn es explodiert", zitiert Reuters einen Insider. Diab hatte sich bei einer Fernsehansprache am Montagabend aus der Verantwortung genommen. Seine Regierung habe nichts mit dem korrupten System zu tun, so der Tenor.

Präsident Aoun, der seit 2016 im Amt ist, sagte bei einem Besuch am zerstörten Hafen vergangenen Freitag, er sei zum ersten Mal vor fast drei Wochen über die gefährliche Ladung im Hafen informiert worden. Er habe daraufhin den Militär- und Sicherheitsbehörden befohlen, "zu tun was nötig ist". Mehr habe er nicht machen können, sagte Aoun. Er habe keine Autorität über den Hafen. Auf die Frage eines Journalisten, ob er nicht hätte nachprüfen müssen, ob seinem Befehl Folge geleistet wurde, sagte Aoun: "Wissen Sie, wie viele Probleme sich angesammelt haben?"

Auch Sicherheitsbehörden sind in Erklärungsnot

Dass die Iran-nahe Hisbollah den gesamten Hafen Beiruts - der im Volksmund gerne "Ali Babas Höhle" genannt wird - kontrolliert habe, wie vor allem US-nahe Quellen derzeit streuen, wies ein hochrangiger libanesischer Diplomat im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung entschieden zurück.

Er räumte jedoch ein, dass zivile Mitglieder dieses Zwitters aus Partei und Miliz führende Posten in der Verwaltung des Hafens besetzten und dass der militärische Arm der Hisbollah-Bewegung auf dem Gelände Objekte unterhielt, die sich der Kontrolle der Staatsorgane entzogen. Dass sich solche geheimen Räume oder Gebäude auch in der Nähe oder gar unter dem Lagerhaus Nummer zwölf befanden, in dem die detonierten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat lagerten, hält er nicht für ausgeschlossen.

Bilder des TV-Sender Sky News zeigten zudem ein Tunnelsystem, das Ermittler unter dem zerstörten Getreidesilo entdeckten. Ob es sich hier um die Abwasserentsorgung der hafennahen Viertel, um Versorgungs- und Leitungsschächte des Silos oder tatsächlich um eine mögliche geheime Anlage etwa der Hisbollah handelt, wie manche schnell vermeldeten, darauf mochte sich ein mit den Ermittlungen vertrauter Diplomat aus Europa nicht festlegen. "Zu diesem Zeitpunkt ist hier keine seriöse Aussage möglich", sagte er der SZ.

Auf die Meldungen reagierte auch die libanesische Armee mit einem Statement auf Facebook. In der Mitteilung fordert sie Medien und soziale Netzwerke auf, die "Gerüchte und Falschinformationen" nicht weiterzuverbreiten. Es handle es sich um "unterirdische Betriebsräume", in denen Mitarbeiter im Schichtsystem arbeiteten.

Wird nun auch gegen Diab und Aoun ermittelt?

Auch die Sicherheitsbehörden sind nach der Explosion in Erklärungsnot. Am Montag hat Richter Ghassan El Khoury den Leiter der Sicherheitsbehörden, Tony Saliba, im Justizpalast befragt. Laut der libanesischen Tageszeitung an-Nahar wird demnächst eine libanesische Sicherheitsdelegation nach Zypern reisen, um den ehemaligen Eigner des Frachtschiffs Rhosus selbst zu befragen, der das Ammoniumnitrat transportierte. Die zyprische Polizei hat den russischen Geschäftsmann Igor Gretschuschkin auf Antrag der libanesischen Polizei bereits verhört.

Ob sich die Ermittlungen nach den neuesten Berichten auch gegen Diab und Aoun richten werden, bleibt abzuwarten. Der Präsident selbst sagte am vergangenen Freitag jedenfalls, dass die Gerechtigkeit nicht zwischen den "Großen" und den "Kleinen" unterscheiden werde. Und versprach: "Es wird nicht wie jedes Mal eine Gerechtigkeit geben, die die Kleinen vor Gericht stellt und die Großen damit durchkommen lässt."

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