Libanon:136 Seiten Lebenslauf

Libanons designiertem Premier Hassan Diab fehlt nicht der Geltungsdrang, aber womöglich die Hausmacht, um das instabile Land in ruhigere Zeiten zu führen.

Von Moritz Baumstieger

Ohne ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein ist Karriere in der Politik kaum zu machen. Dass er diese Qualifikation in Fülle mitbringt, hat Libanons designierter Premier Hassan Diab schon bewiesen, bevor er am Donnerstag den Regierungsauftrag von Präsident Michel Aoun erhielt: Im Internet fanden Aktivisten einen Lebenslauf Diabs. Dass auf diesem neben neun akademischen Titeln auch die Handynummer aufgeführt ist, war eine Sache, die zu Verwunderung führte. Dass Diab sage und schreibe 136 Seiten benötigte, um seine bisherigen 60 Lebensjahre zusammenzufassen, die andere.

"Meine Vision ist nichts Geringeres, als die Welt zu verändern", beginnt er das Vorwort, "aber ich habe begriffen, dass der erste Schritt dazu ist, sich selbst zu ändern." Falls sich diese Bereitschaft zum Wandel auf Titel und Büros bezieht, ist Diab nun den entscheidenden Schritt gegangen, um vielleicht nicht die Welt, aber zumindest sein Land zu verändern. Bisher war er Vizepräsident der Amerikanischen Universität Beirut, wenn es ihm gelingt, eine Kabinett zu bilden, zieht er in den Grand Serail, den Regierungssitz im Herz der Hauptstadt.

Die Frage ist nur, wie viel Gestaltungsfreiheit der Sunnit Diab überhaupt hat: Er ist zwar kein Neuling in der Politik, war etwa 2011 Bildungsminister. Da er aber keiner der bedeutenden politischen Dynastien angehört und ihm der sunnitische Block um seinen Vorgänger Saad Hariri die Unterstützung verweigert, tritt er sein neues Amt ohne Hausmacht an - in einer Zeit, die selbst Politikveteranen im chronisch instabilen Libanon überfordert.

Seit Monaten demonstrieren im ganzen Land Zehntausende Bürger, die genug haben von dem Proporzsystem, das nach Ende des Bürgerkriegs 1990 den einzelnen Religionsgruppen die Teilhabe sichern sollte, aber längst zu einem klientelistischen Versorgungssystem verkommen ist. Ende Oktober trat deshalb Premier Hariri zurück, was den Demonstranten aber noch lange nicht reichte: "Alle heißt alle", war eine ihrer beliebtesten Parolen. Sie fordern einen kompletten Neustart.

Einen solchen wollte aber vor allem die schiitische Hisbollah verhindern, die gleichzeitig Miliz und Partei ist. Mehrfach versuchten ihre Schlägertrupps die Demonstranten von der Straße zu prügeln, während ihre Politiker in den Beiruter Hinterzimmern die von den Demonstranten geforderte neutrale Expertenregierung verhinderten. So stand Anfang der Woche nach einigen Scharaden der provisorisch weiterregierende Hariri wieder vor einem Comeback, was die bis dahin friedliche Protestbewegung zu ersten Gewaltausbrüchen trieb. Diab, der mit Stimmen der Hisbollah und der ebenfalls schiitischen Bewegung Amal ins Amt kam, bemühte sich in seiner ersten Ansprache, auf die Unzufriedenen zuzugehen. Er sagte, er spüre ihren "Schmerz", werde sich um ein Kabinett Unabhängiger bemühen. Begeisterung löste er damit nicht aus, im Gegenteil: Weil er nach Ansicht der Demonstranten zur alten Machtelite gehört, gehen die weiter auf die Straßen.

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