Süddeutsche Zeitung

Lexikon:Im Osten was Neues

Die Bundeszentrale für poli­­tische Bildung hat ein in­for­matives Lexikon her­aus­­gegeben, das sich auf polnischen Spuren in Deutschland bewegt.

Von Werner Hornung

Mit poetischem Weitblick notierte Stanisław Jerzy Lec, der polnische Autor, gewohnt lakonisch: "Hinter jeder Ecke lauern ein paar Richtungen." Diese Vielzahl gibt es natürlich auch bei seinen Nachbarn hinter der Westgrenze, es sind "Polnische Spuren in Deutschland". So heißt ein "Lesebuchlexikon", das die Bundeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Deutschen Polen-Institut (Darmstadt) erarbeitet hat.

Vor dem Leser liegt ein literarischer Zwitter, der informativ und teils unterhaltend ist. Die vier Herausgeber haben mit dreizehn weiteren Historikern, Politik- und Kulturwissenschaftlern rund 250 Beiträge verfasst. Sie erklären etwa die Aktivitäten von "Solidarnosc im Exil" oder schildern den fußballerischen Erfolg des Aussiedlerkinds Lukas Podolski. Es ist ein Kompendium, das manch deutsches Pauschalurteil korrigiert, weil es die polnische Präsenz hierzulande in ihrer Vielfalt beschreibt.

Der bebilderte Band liefert unter anderem Einblicke, die das breite Publikum bislang kaum kannte. Man liest etwa die Artikel-Überschrift "Merkel, Angela. Kanzlerin mit polnischem Opa" und dann biografische Details zu ihren Vorfahren aus Posen. Doch nicht bloß bekannte Personen wurden lexikalisch erfasst. Immer wieder finden sich Spuren aus dem deutsch-polnischen Alltagsleben. So bringt es die alphabetische Anordnung mit sich, dass auf einer Doppelseite höchst Unterschiedliches zu erfahren ist: "Priesterexport. Polnische Seelsorger in deutschen Gemeinden" und "Prostitution. Schicksal vieler Polinnen in Deutschland".

Blick ins Buch

Eine Leseprobe wird hier zur Verfügung gestellt.

In zahlreichen Beiträgen werden aus Polen stammende Juden porträtiert, die beruflich ähnlich erfolgreich waren wie der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Dabei werden auch oft der nationalsozialistische Terror, die Konzentrationslager und Vernichtungslager erwähnt. Jedoch fehlen hierzu Kartenskizzen. Das ist schade, wird heutzutage nämlich von Auschwitz, Treblinka oder Groß-Rosen gesprochen, haben viele Leute keine Ahnung, wo diese Orte liegen. Dies sollten sie aber wissen. Der Tod war ja nicht nur ein "Meister aus Deutschland" (Paul Celan), sondern ein Mörder, der seine Blutspur durch das besetzte Polen zog.

Keine Frage, es handelt sich um ein nützliches Lexikon. Als Lesebuch ist es allerdings zu schwer (1,6 kg) und zudem unhandlich; aufgeklappt ist es fast so groß wie das Backblech für den polnischen Osterkuchen Mazurek. Politische Literatur, die aufklären will, sollte in einem alltagstauglichen Format erscheinen. Auch dazu gibt es einen nachdenklichen Aphorismus von Stanisław Jerzy Lec: "Meine Herren, wie komme ich nach Kleckersdorf, wo alle Wege nach Rom führen ?"

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Quelle:
SZ vom 30.07.2018
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