Leutheusser-Schnarrenberger und Friedrich gegen Rechtsterror:Wir wollen so viel, aber wir wissen nicht was

"Mit aller Kraft" ins Ungefähre: Innenminister Friedrich und Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wollen gezielter gegen Rechtsterror in Deutschland vorgehen. Aber wie? Ihre Pressekonferenz nach dem Krisengipfel der Sicherheitspolitiker und -behörden zur Zwickauer Neonazi-Zelle lässt viele Fragen offen. Nicht einmal eine Entschuldigung bei den Angehörigen der Opfer will gelingen.

Thorsten Denkler, Berlin

Da sitzen sie vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz und scheinen nicht schlauer als zuvor. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), der neue Generalbundesanwalt Harald Range, der Chef des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz Heinz Fromm und - als Vertreter der Länder - Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU).

Es ist die versammelte Spitze der inneren Sicherheit. Und doch müssen sie eingestehen: Sie haben allesamt keine Ahnung, wie das alles passieren konnte, weswegen sie heute hier zusammengekommen sind.

BKA-Chef Ziercke bringt das an einer Stelle der Pressekonferenz nach dem Krisentreffen der Innen- und Justizminister von Bund und Ländern sowie den Leitern der Sicherheitsbehörden treffend auf den Punkt. Die entscheidenden Fragen seien doch: Wieso sei es nicht gelungen, zwischen den zehn Morden eine Verbindung herzustellen? Warum habe es keinen Hinweis auf einen rechten Hintergrund gegeben?

Ziercke kann dazu nur sagen: Die Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) sei "vollkommen abgetaucht" gewesen, gedeckt von einem Umfeld von Helfern. Und das in einer Weise, "wie wir es noch nicht erlebt haben".

Auch gut eine Woche nach Aufdeckung der Hintergründe der Neonazi-Mordserie stochern BKA und Verfassungsschutz im Nebel. Klar ist nur, dass es elementare Ermittlungspannen auf allen Seiten gegeben haben muss. Und vielleicht, dass eine angebliche "Todesliste" - gefunden im abgebrannten Haus der NSU-Terroristen in Zwickau - keine Sammlung potentieller Mordopfer sei. Die Liste enthalte "Zehntausende" willkürlich zusammengestellte Namen, sie erinnere eher an ein "Telefonbuch", sagt der BKA-Chef.

Von der Politik aber wird verlangt, dass sie reagiert. Und so reagiert sie, allen Unklarheiten zum Trotz. "Alles" werde getan, um solche Gewalttaten künftig zu verhindern. Und zwar mit "aller Kraft" und "gemeinsam". So verspricht es Friedrich. Beinahe im gleichen Atemzug räumt er ein, es habe "Unzulänglichkeiten" gegeben.

Das klingt nicht nur hilflos, das ist es auch. Bis jetzt weiß schließlich keiner, wo die Probleme tatsächlich lagen. Also kann auch keiner wissen, wogegen genau "mit aller Kraft" vorgegangen werden soll. Trotzdem werden Forderungen aufgestellt. Die haben das Potential, die Verwirrung noch zu vergrößern.

Zunächst hatte sich der christsoziale Innenminister Friedrich für eine Anti-Rechtsterror-Datei ausgesprochen. Die liberale Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger aber war dagegen und dachte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung laut über eine Zentralisierung der Landesämter für Verfassungsschutz nach.

Die erwartbare Reaktion der Länder: Das kommt nicht in Frage. Das derzeitige System funktioniere, sagt der hessische Landesinnenminister Boris Rhein bei der Pressekonferenz in Berlin. Und nennt als Erfolg etwa die Sauerland-Terroristen, die auch mit Hilfe der Landesämter für Verfassungsschutz dingfest gemacht worden seien.

"Wir brauchen V-Leute"

Rhein ist übrigens der Einzige, der den Anstand aufbringt, sich in aller Form bei den Angehörigen der Opfer zu entschuldigen. Dafür, dass es bis jetzt nicht gelungen sei, die wahren Hintergründe der Mordserie aufzuklären. Und dafür, dass viele Angehörige falschen Verdächtigungen ausgesetzt gewesen seien, ins kriminelle Milieu verstrickt zu sein.

Mordserie Neonazis - Krisengipfel

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Hans-Peter Friedrich traten nach dem Krisengipfel der Justiz- und Innenminister zur Neonazi-Mordserie vor die Bundespressekonferenz.

(Foto: dpa)

Friedrich verstolpert den Versuch einer Entschuldigung, kriegt dazu keinen klaren Satz über die Lippen. Den Versuch unternimmt er zudem - wie auch Leutheusser-Schnarrenberger - nur auf Nachfrage. Die Justizministerin will immerhin die Opfer finanziell entschädigen. Zumindest will sie mal sehen, ob da was zu machen ist.

Irgendetwas Konkretes aber muss ja der Öffentlichkeit präsentiert werden. Also wird es doch eine Anti-Terror-Datei geben, die aber nicht so heißen darf. Verbunddatei ist der neue Name. Und es gibt Einigkeit in der Frage, dass es ein NPD-Verbot ohne ein Abschalten der V-Leute nicht geben kann.

Andererseits komme ein Abschalten der V-Leute nicht in Frage. Oder wie Innenminister Friedrich sagt: "Wir brauchen V-Leute." Warum es bei dieser eindeutigen Erkenntnis noch eine "ergebnisoffene Arbeitsgruppe" von Bund und Ländern zum Thema NPD-Verbot braucht, wie jetzt verabredet wurde, bleibt unbeantwortet.

Übrigens auch die Frage, welchen Sinn eine Verbunddatei ergibt, wenn nach bisheriger Erkenntnis niemand Näheres über die Machenschaften der NSU und der drei Täter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Z. wusste.

Als ein Journalist der taz fragt, wie denn bitte eine Verbunddatei funktionieren soll, wenn gar keine Erkenntnisse vorliegen, die darin eingespeist werden könnten, nickt Datei-Gegnerin Leutheusser-Schnarrenberger zustimmend mit dem Kopf.

Und warum ist sie dann plötzlich doch für so eine Datei? Ihre Antwort verliert sich im Ungefähren. Eine Verbunddatei sei ja etwas anderes als eine Anti-Terror-Datei, sagt sie. Stimmt wohl. Doch soll die Verbunddatei weit über eine reine Anti-Terror-Datei hinausgehen. Erfasst werden sollen alle gewaltbereiten Neonazis. Auch wenn die sich in noch so engen regionalen Bezügen bewegen. Das ist mehr, als Friedrich erhofft hat.

Der Innenminister sagt noch, es sei gut, dass sich nach "langer, langer Zeit" die Innen- und Justizminister des Bundes und der Länder wieder getroffen hätten. Warum das in der Vergangenheit nicht häufiger der Fall war? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet.

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