Letzte Plenarsitzung im Bundestag:"Deutschland muss die Stimme der Abrüstung sein"

Bundestag

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) beim letzten offiziellen Sitzungstag des Bundestages vor der Bundestagswahl.

(Foto: dpa)
  • In der letzten Sitzung des Bundestags spricht Außenminister Gabriel leidenschaftlich über aktuelle globale Krisen und Abrüstung.
  • Er macht in seiner Rede deutlich, wie er den Wahlkampf führen und Kanzlerin Merkel in Bedrängnis bringen würde.
  • Was nach der Wahl aus Gabriel wird, ist allerdings noch völlig offen.

Von Stefan Braun, Berlin

Was auch immer aus Sigmar Gabriel nach der Bundestagswahl werden sollte, eines ist sicher: Der Noch-Außenminister überrascht Freunde und Feinde immer dann, wenn diese gar nicht mehr damit rechnen. Jüngstes Beispiel: die letzte Bundestagssitzung an diesem Dienstag. Alle reden und streiten über Deutschland; Gabriel spricht über Waffen, Nachrüstung, die USA - und klingt plötzlich wie eine Mischung aus Willy Brandt und Gerhard Schröder. Das Gesicht der Kanzlerin sagt in diesem Moment alles: Sie weiß genau, wie gefährlich diese Themen für sie werden können.

Seit mehr als drei Stunden schon tobt zu diesem Zeitpunkt eine Debatte, in der Grüne, Linke und Sozialdemokraten alles versuchen, um die Kanzlerin schlecht aussehen zu lassen. Politiker aller drei Parteien beklagen Versäumnisse, bei Alten und sozial Schwachen, bei Schülern und Flüchtlingen und überhaupt bei sehr vielen Menschen, die der Wohlstand aus ihrer Sicht nicht erreicht hat.

An diesem Tag ist die Debatte im Parlament besser als jede TV-Wahlsendung

Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, auch Andrea Nahles und Thomas Oppermann machen ihre Sache nicht schlecht. Sie wettern gegen Pflege-Notstand und Diesel-Affäre, Schlechterbezahlung von Frauen und Kürzungen bei den Langzeitarbeitslosen. Sie machen wichtige Punkte und zeigen dabei, dass die Debatte im Parlament besser sein kann als jede TV-Wahlsendung.

Dann aber tritt Sigmar Gabriel ans Rednerpult - und demonstriert binnen weniger Minuten, wie man es machen muss, wenn man der Kanzlerin wirklich wehtun möchte.

Er schimpft nämlich nicht los, sondern bedankt sich. Freundlich lächelnd, fast so, als befinde er sich gar nicht im Wahlkampf. Sein Dank gilt der Opposition für manch heftige Auseinandersetzung, den Koalitionsfraktionen für den Zusammenhalt in schwierigen Zeiten - und "ganz ausdrücklich auch Ihnen, Frau Doktor Merkel".

Gabriel gibt den Staatsmann - dann kommt sein Angriff

Gabriel gibt den Staatsmann und erinnert daran, welch große Leistung es gewesen sei, dass diese Regierung das Land stabil durch Ukraine-Krise und Griechenland-Probleme, durch Flüchtlingskrise und vom Terror geprägte Zeiten geführt habe. In diesem Moment macht er, was die Kanzlerin bei ihrer Rede zuvor nicht geschafft hatte: Er zeigt Größe. Gibt sich überparteilich, leidenschaftlich. In diesem Moment kann Merkel kann gar nicht anders: Sie muss sich auch bei ihm bedanken.

Und genau in diese Stimmung hinein schickt der Noch-Außenminister seinen Angriff: Er spricht über eine Welt, in der alle nur noch von Aufrüstung reden. Er erinnert an Krisen, die derzeit die Welt plagen, zeigt auf Russland und die Nato, auf China, Nordkorea und die Vereinigten Staaten. Und dann stellt er die Frage, ob tatsächlich auch Deutschland immer noch mehr Geld fürs Militär ausgeben sollte.

In der Nato hatte Berlin die Zusage gemacht, auf das Ziel hinzuarbeiten, bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Gabriel aber hat schon vor Monaten begonnen, in diese zwei Prozent die Entwicklungshilfe mit einzuberechnen. Er weiß, dass ihm in dieser Frage die SPD, aber auch viele andere Menschen sofort folgen würden.

Gabriel macht binnen Minuten klar, wie er den Wahlkampf führen würde

"Deutschland muss die Stimme der Rüstungskontrolle und der Abrüstung sein", sagt Gabriel und macht das zu seinem Mantra. Je länger er redet, desto klarer wird: Er möchte - freundlich im Ton, harsch in der Sache - das Thema hochziehen, das der Union stets Schmerzen bereitet. Krieg, Kriegsangst und Aufrüstung berühren Urängste bei vielen Wählern. Und Gabriel hat keine Scheu, das für sich zu nutzen. Dabei kommt sein Plädoyer nicht aus dem Nichts, sondern ist eine nachvollziehbare Reaktion auf die politische Weltlage. Und so braucht Gabriel nur ein paar Minuten, um klarzumachen, wie er den Wahlkampf führen würde. Willy Brandt, Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel - das wäre seine Erzählung.

Dabei mag Gabriels neu entflammte Leidenschaft für Abrüstung überraschen, begibt er sich damit doch auf heikles Terrain, weil gerade während seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister die deutschen Rüstungsexporte auf den höchsten Stand seit vielen Jahren gestiegen sind. Die meisten Waffendeals aus dieser Zeit gingen allerdings auf Verträge der Vorgängerregierung zurück.

Es gibt viele, die an diesem Dienstag ihre letzte Sitzung im Parlament erleben. Bundestagspräsident Norbert Lammert gehört dazu, die frühere Forschungsministerin Edelgard Bulmahn ebenso. Auch Gerda Hasselfeldt, die gute Seele der Christsozialen aus Bayern. Was mit Gabriel passiert, ist offen. Es kann niemand vorhersagen, nicht einmal er selber. Und doch hat der Außenminister ein Adieu nicht einmal angedeutet, sondern gezeigt, was er kann, wenn er wirklich gut ist.

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