Klimaschützer:Tempo beim Tempolimit

Klimaschützer: Leicht verständliche Botschaft: Im Oktober haben Mitglieder der "Letzten Generation" mehr als 500 Tempo-100-Schilder vor dem Bundesverkehrsministerium abgelegt.

Leicht verständliche Botschaft: Im Oktober haben Mitglieder der "Letzten Generation" mehr als 500 Tempo-100-Schilder vor dem Bundesverkehrsministerium abgelegt.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Die Forderungen der "Letzten Generation" und ihrer Partnerorganisationen klingen in anderen Ländern eher bescheiden.

Von Thomas Hummel

Warum setzen sich Menschen mitten im Berufsverkehr auf eine Straße? Oder ketten sich mit einem Halsband ans Tennisnetz bei einem Grand-Slam-Halbfinale? Oder organisieren einen Sitzstreik vor dem Parlamentsgebäude? In Frankreich machen das Mitglieder der Gruppe namens "Dernière Rénovation" - übersetzt etwa "letzter Umbau" - mit der Kernforderung, die Regierung solle sich dazu verpflichten, bis 2040 alle französischen Gebäude zu sanieren.

Aktivistinnen und Aktivisten von "Återställ Våtmarker" - auf Deutsch "Wiederherstellung von Feuchtgebieten" - blockieren in Schweden den Verkehr und fordern, den Torfabbau im Land zu verbieten und Sumpfgebiete wiederherzustellen. Die Gruppe "Just stop oil" in Großbritannien - "Einfach mit Öl aufhören" - verlangt eine Erklärung der Regierung, Genehmigungen für fossile Projekte zu stoppen. Und "Save Old Growth" - "Den alten Bewuchs retten" - will in Kanada das Ende der Abholzung von Bäumen im Bundesstaat British Columbia. Sie alle sind im internationalen "A22-Netzwerk" vereint, dem auch die "Letzte Generation" aus Deutschland angehört.

Die Gruppen des Netzwerks stellen jeweils nur ein bis zwei relativ kleinteilige Forderungen auf. Alle pochen auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung soll auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden. Doch ganz konkret fordert die "Letzte Generation" aktuell in Deutschland lediglich ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen und die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets für den Öffentlichen Nahverkehr. "Die Maßnahmen lassen sich schnell und einfach umsetzen und zeigen die Bereitschaft der Bundesregierung, aktiv gegen die Klimakatastrophe zu arbeiten", sagt Sprecher Karim Dillhöfer.

Die Begrenzung auf 100 Stundenkilometer auf Autobahnen würde laut Umweltbundesamt 5,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO₂) im Jahr sparen. Das Neun-Euro-Ticket brachte in den drei Sommermonaten dieses Jahres eine Reduktion zwischen 0,67 und 1,8 Millionen Tonnen CO₂, je nach Studie. Zum Vergleich: die deutschen Gesamt-Emissionen im Jahr 2021 lagen bei 762 Millionen Tonnen. Und dafür kleben sich Leute auf die Landebahn des Berliner Flughafens?

"Die zwei Maßnahmen werden alleine nicht ausreichen, um die Klimakrise zu lösen", erklärt Niklas Höhne, Gründer der Denkfabrik New Climate Institute, "dennoch sind es zwei interessante und richtige Maßnahmen." Niemand könne sagen, das gehe nicht. Höhne findet, man müsse angesichts der galoppierenden Erderwärmung in den Notfallmodus umschalten und alles tun, was möglich ist, um den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren. "Da geht es auch um die Signalwirkung", sagt er.

Die Methoden des Protests haben Klimawissenschaftler teilweise harsch kritisiert. Mojib Latif, Veteran der Klimaforschung und Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, nannte sie "ein No-Go". Andererseits sind es nicht selten Wissenschaftler selbst, die sich an den Protesten beteiligen. Mitglieder der Gruppe "Scientist Rebellion", Partner-Organisation der "Letzten Generation", demonstrierten vor einem Bürogebäude des Finanzinvestors Blackrock in München, in Wolfsburg klebten sich einige im Porsche-Pavillon fest.

Justizminister Marco Buschmann von der FDP lehnt es ab, auf die Forderungen der "Letzten Generation" einzugehen. "So macht man nicht Politik", sagte er in der Sendung "Anne Will" und verwies darauf, sonst weitere Gruppen zu dieser Art Protest zu motivieren. Buschmanns FDP ist ein Hauptgegner der Klimaaktivisten, stellt sie doch den Bundesverkehrsminister, lehnt aber ein Tempolimit auf Autobahnen ab und sah das Neun-Euro-Ticket zumindest skeptisch.

Am Anfang protestierte die Gruppe gegen die Verschwendung von Lebensmitteln

Dabei stand bei den ersten Aktionen der "Letzten Generation" Anfang des Jahres nicht der Verkehr, sondern Landwirtschaft und Ernährung im Mittelpunkt. Unter dem Motto "Essen retten - Leben retten" protestierte die Gruppe gegen Lebensmittelverschwendung, holte noch genießbares Essen aus Supermarkt-Mülltonnen und bot dies öffentlich an. Das sogenannte "Containern" ist in Deutschland verboten, manche Aktivisten zeigten sich selbst an, um auf die Rechtslage aufmerksam zu machen.

Die Gruppe deutet an, dass es mit den Themen Tempolimit und Neun-Euro-Ticket nicht getan ist. "Danach müssen natürlich weitere Maßnahmen kommen", sagt Sprecher Dillhöfer. Dabei gehe es um Agrarwende, Verkehrswende, Energiewende. "Eben alle Sektoren umzustellen, wo im großen Stil Treibhausgase emittiert werden." Die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, Entwicklungsländern ihre Schulden zu erlassen, da diese sonst ihre Öl- und Gasreserven ausbeuten würden. Das war auch Thema auf der Weltklimakonferenz in Ägypten, einige Staatschefs monierten, dass es aufgrund der sich verschärfenden Schuldenkrise noch schwieriger werde, Klimaschutz zu betreiben. Jan Kowalzig, Finanzexperte der Hilfsorganisation Oxfam, fordert deshalb ebenso einen Schuldenerlass, der allerdings an Bedingungen geknüpft werden müsse. Etwa an den Ausbau erneuerbarer Energien.

In Frankreich hätte "Dernière Rénovation" fast einen Erfolg gefeiert. Für den Haushaltsentwurf 2023 beschloss das Parlament Anfang November, zwölf Milliarden Euro in die Sanierung alter Häuser zu stecken, laut Premierministerin Élisabeth Borne siebenmal mehr als bisher. Das war der Regierung zu teuer, sie wies, was verfassungsrechtlich möglich ist, den Haushaltsentwurf zurück.

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