Klimaproteste:Ein Ruckler geht durch Berlin

Klimaproteste: Mit der Flex schneidet ein Polizist einen Klima-Protestierer, der sich auf eine Straße in Berlin geklebt hat, vom Asphalt.

Mit der Flex schneidet ein Polizist einen Klima-Protestierer, der sich auf eine Straße in Berlin geklebt hat, vom Asphalt.

(Foto: Florian Gaertner/Imago)

Die Aktivisten der "Letzten Generation" wollen in dieser Woche die Hauptstadt lahmlegen. Am Tag eins gelingt es ihnen, mehr als dreißig Straßen zu blockieren. Doch Berlin bleibt davon recht unbeeindruckt.

Von Jan Heidtmann, Berlin

An die 7000 Demonstrationen, Kundgebungen und Proteste aller Art finden in Berlin Jahr für Jahr statt. So war das Ziel der "Letzten Generation", die Stadt an diesem Montag und auch für den Rest der Woche "friedlich lahmzulegen", von Anfang an ziemlich vermessen. Allein am Montagvormittag konkurrierten die Aktivisten mit Kollegen, die für Steuerentlastungen warben, sich solidarisch mit dem Protest der Frauen in Iran zeigten oder gegen Tierversuche eintraten. Gegen 10.30 Uhr vermeldete Aimée van Baalen, eine der Sprecherinnen der Letzten Generation, dennoch Vollzug: "Unsere höchsten Erwartungen wurden deutlich übertroffen."

Tatsächlich haben die Aktivisten Straßen an mehr als dreißig Stellen der Stadt blockiert, berichtet die Polizei. Besonders auf der Stadtautobahn führte das zu langen Staus. Doch bereits am späteren Vormittag war der größere Teil der Klebe-Proteste wieder aufgelöst. Denn die Polizei hatte sich ihrerseits auf diesen Tag gut vorbereitet und war mit 500 Beamten und einem Hubschrauber im Einsatz. Bereits in der Früh hatten sich auch Polizisten in Zivil in der Stadt postiert, um die Aktivisten auszumachen. "Es ist unser oberstes Ziel, die angekündigten Störungen zu verhindern", hatte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik angekündigt.

So war es auch eher ein kleiner Ruckler, der die Stadt an diesem Vormittag erfasste, und sicherlich kein Kollaps. Problematisch war vor allem, dass offenbar mehrere Krankenwagen trotz Rettungsgassen in den Blockaden der Demonstranten in Staus steckenblieben. Dadurch seien zwar nicht direkt Menschen gefährdet worden, aber die Wagen fehlten dann für mögliche andere Einsätze.

"Es ist klar, dass hier gerade etwas ins Rollen kommt." Manches aber auch nicht

Unabhängig davon feierten die Aktivisten ihre Aktion, seien es doch im Vergleich zum vergangenen Herbst dreimal so viele Proteste geworden. Kinder hätten den Blockierern zugewinkt und Radfahrer applaudiert. "Es ist klar, dass hier gerade etwas ins Rollen kommt."

Das war eine verständliche, aber doch recht positive Interpretation der Proteststimmung. Denn die, die nicht ins Rollen kamen, sondern wegen der Straßenblockaden in ihren Autos für ein, zwei Stunden feststeckten, traten teils ziemlich rüde auf. Aktivisten wurden angepöbelt und bedroht, ein Video auf dem Twitteraccount der Klimaschützer zeigt, wie ein Autofahrer zwei Aktivistinnen an den Haaren packte und von der Straße zerrt. Die Polizei warnte davor, dass solche Übergriffe strafbar und nur die Beamten befugt seien, gegen die Aktivisten vorzugehen.

Die eigentliche Dramatik des Tages lag vor allem in den Erwartungen, die zuvor geschürt worden waren. Da waren zum einen die Aktivisten selbst, die schon seit Wochen davon sprachen, Berlin stilllegen zu wollen. Und zwar so lange, bis die Bundesregierung ihre Forderungen erfülle, etwa ein Tempolimit und ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr.

"Wir nehmen nicht mehr hin, dass sich unsere Regierung nicht an unsere Verfassung hält", sagte Sprecherin Carla Rochel und meinte damit vor allem das Vorhaben, das Klimaschutzgesetz zu verwässern. Bereits vor Wochen hatte die Protestbewegung auf ihrer Webseite einen Zähler installiert, der die stetig wachsende Anzahl von Mitstreitern für Berlin dokumentieren sollten. Am Montag stand er bei knapp 1000; die Polizei sprach hingegen von einer Zahl "im untersten dreistelligen Bereich".

Zur Überhöhung dieses Protesttages hatten aber auch Politiker mehrerer Parteien beigetragen, die am Wochenende die Aktionen kritisiert hatten. Die Blockaden seien "nicht produktiv", sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann. Sie vergraulten die Menschen. FDP-Chef Christian Lindner hatte zuvor von einer "Form physischer Gewalt" der Proteste gesprochen; der CSU-Politiker Alexander Dobrindt wiederholte gar seine Warnung vor einer "Klima-RAF". Eine Sorge, die der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, schon einmal "Nonsens" genannt hatte.

Anlass für die Äußerungen waren mehrere Protestaktionen, die in den vergangenen Tagen auf diese Woche hinführen sollten. Neben Sitzblockaden und Demonstrationen hatten die Aktivisten am Sonntag 500 Sympathisanten vor dem Brandenburger Tor versammelt; eine Handvoll störte außerdem ein Rennen der Formel E auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Am Montag wurden mehr als 40 Aktivisten in Gewahrsam genommen. Die Proteste sollen in den kommenden Tagen dennoch fortgesetzt werden.

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