Letzte Bundestagssitzung vor der Wahl:Merkel an SPD: "Gegen meinen Willen konnten Sie echt nichts durchsetzen"

  • Knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl ist der Bundestag zu seiner letzten Sitzung zusammengekommen.
  • Die Parteien nutzen das, um sich inhaltlich noch einmal zu profilieren - vor allem die SPD versucht, sich deutlich von der Union abzugrenzen.
  • Außenminister Gabriel wettert gegen die geplante Erhöhung des Wehretats und lobt, wie stabil Deutschland nach der Flüchtlingskrise geblieben sei.
  • Der scheidende Bundestagspräsident Lammert fordert die Abgeordneten ein letztes Mal auf, ihre Rechte selbstbewusst wahrzunehmen.

Von Barbara Galaktionow

In der letzten Sitzung des Bundestags in dieser Legislaturperiode haben die Zeichen deutlich auf Wahlkampf gestanden. Die Vertreter aller Parteien lieferten sich einen heftigen Schlagabtausch. Vor allem die bisherigen Koalitionäre CDU/CSU und SPD zeigten sich bemüht, sich knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl deutlich voneinander abzugrenzen - und natürlich dabei eigene Erfolge trotzdem ausreichend herauszustreichen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, in den vergangenen vier Jahren sei viel erreicht worden. Doch stehe Deutschland nun wieder an der "Schwelle zu einer neuen Entwicklungsetappe", angetrieben vor allem durch den digitalen Fortschritt. Gerade bei der "digitalen Agenda" sei vieles vorangebracht worden, doch sei Deutschland nicht in allen Bereichen spitze. Um weiterhin vorne dran zu bleiben, müssten Forschung und Entwicklung weiter gefördert werden. "Wir wollen nicht im Technikmuseum enden."

Zwischenrufe von Hubertus Heil, wonach vor allem der kleine Koalitionspartner SPD wesentliche Gesetze durchgesetzt habe, konterte Merkel scharf: "Gegen meinen Willen und den der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parlament echt nichts durchsetzen", beschied sie dem SPD-Generalsekretär, sehr zur Freude der Unionsfraktion, die dies mit lautem Lachen und Johlen quittierte.

Ein Vorwurf der Machtlosigkeit, den die Sozialdemokraten nicht auf sich sitzen ließen. Gesetzlicher Mindestlohn, Frauenquote in Aufsichtsräten, das erste Integrationsgesetz - SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann listete diese und andere Gesetze auf, um zu zeigen, dass die große Koalition in den vergangenen vier Jahren viel erreicht habe. Doch, so sagte er, diese Vorhaben seien von der SPD "hart erkämpft" worden, gegen die Union und oft auch gegen "Sie selbst, Frau Merkel".

SPD wettert gegen Erhöhung der Rüstungsausgaben

Nicht immer habe man sich mit den eigenen Vorstellungen durchsetzen können, betonte Oppermann. Als Beispiel nannte er die Mietpreisbremse, die von CDU/CSU "bis zur Unkenntlichkeit beschädigt" worden sei. In puncto Internet und Breitbandausbau wandelte er das Zitat von Merkel um: Sie müsse "aufpassen, dass Sie aus dem Technikmuseum herauskommen, wo wir derzeit sind".

Während Merkel in einer kleinen Modellrechnung darlegte, dass es im Streit um die Erhöhung des Wehretats auf die von der Nato geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts eigentlich doch "kein Problem, keinen Dissenz" mit der SPD gebe, sagte Oppermann, dies wäre "der Beginn eines neuen Wettrüstens". Das Zwei-Prozent-Ziel sei im Bundestag nie beschlossen worden und werde es auch nicht.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) setzte in seiner Rede zwei Akzente: Einerseits lobte auch er gemeinsame Erfolge der Großen Koalition, wie etwa die Reaktion auf die Ukraine-Krise oder auch die Tatsache, dass Deutschland nach der Flüchtlingskrise 2015 stabil geblieben sei; dies sei "eine große Leistung unseres Landes". Andererseits zeigte sich aber auch Gabriel im Angriffsmodus und wetterte gegen die Erhöhung des Wehretats. Diese wolle die Union notfalls auch mit Einsparungen im Sozialbereich finanzieren, sagte er und spielte auf ein Zitat von Jens Spahn (CDU) an.

Im Gegensatz zur Union verspreche die SPD keine Steuersenkungen und wolle stattdessen in Bildung, Infrastruktur und digitalen Ausbau investieren. Deutschland müsse "Stimme der Rüstungskontrolle und der Abrüstung sein", forderte Gabriel. Die Bedeutung des Landes liege nicht im Militärischen, sondern in seiner wirtschaftlichen Stabilität.

Özdemir kritisiert zahnlose Türkei-Politik

Scharfe Kritik an der Union kam auch von Familienministerin Katarina Barley (SPD): Diese warf der Union vor, bei wichtigen Reformvorhaben zugunsten von Frauen den Koalitionsvertrag mit der SPD gebrochen zu haben. Dies gelte für das von der SPD angestrebte Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit, das die Union blockiert habe, ebenso wie für die Solidarrente, sagte Barley.

Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht warf der großen Koalition unter Merkel vor, diese habe sich "von den USA in eine Konfrontationspolitik gegenüber Russland hineinziehen lassen". Bundeswehrsoldaten seien in Merkels Amtszeit in "immer neue Konflikte geschickt" worden. Die Lebensunsicherheit habe sich in den letzten zwölf Jahren erheblich gesteigert.

Zugleich grenzte Wagenknecht die Sozial- und Wirtschaftspolitik ihrer Partei deutlich von der der SPD ab. Unterschiede zwischen SPD und CDU müsse man "mit der Lupe suchen". Kurzzeitige Hoffnungen nach der Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten, die Partei strebe nun wieder eine sozialdemokratischere Politik an, hätten sich nicht erfüllt. Die Partei sperre sich ja sogar gegen eine Vermögenssteuer für Superreiche. Die "schlimmsten Rentenkürzungen" der vergangenen Jahre seien unter Verantwortung der SPD geschehen.

Grünen-Parteichef Cem Özdemir griff vor allem die Türkei-Politik der großen Koalition scharf an. Merkel hatte zuvor im Hinblick auf die zahlreichen rechtlich mehr als fragwürdigen Festnahmen deutscher Staatsbürger in der Türkei gesagt, man müsse darüber "nachdenken, wie wir die Beziehungen zur Türkei neu ordnen". Özdemir verlangte mehr: Die Regierung solle endlich aufhören zu prüfen, ob man Hermes-Bürgschaften aussetzen kann oder Reisewarnungen vielleicht verschärfen, sagte er. "Tun Sie es!" Was müsse Recep Tayyip Erdoğan denn noch machen, "dass Sie endlich mal aufwachen und aufhören, mit ihm zu kuscheln?" Auch in der Diesel-Affäre warf er der Merkel-Regierung Versagen vor.

Einig zeigten sich die Parteien an diesem letzten Sitzungstag nur in einem: der Würdigung des scheidenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Unter anderem Merkel dankte dem als streitbar, aber auch fair geltenden CDU-Mann, nicht ohne verschmitzt zu betonen, dass ihr Dank auch "mit dem Vizekanzler abgestimmt" sei - hatte sie doch im TV-Duell gegen ihren SPD-Herausforderer Schulz am Sonntag immer wieder betont, wie eng sie mit dessen Parteifreund, Vizekanzler Sigmar Gabriel zusammenarbeitet.

Lammert an die Wähler: Nehmen Sie ihr "Königsrecht" wahr

Lammert selbst wandte sich zum Abschied noch einmal mit mahnenden Worten an die Abgeordneten. Er erinnerte daran, dass Deutschland in der Zeit, seit er 1980 zum ersten Mal in den Bundestags gewählt worden sei, mit Mauerfall und Wiedervereinigung die "größte, spektakulärste und zugleich friedliche Veränderung" des Landes stattgefunden habe.

"Hier im deutschen Bundestag schlägt das Herz der Demokratie", sagte Lammert. Doch nicht immer erfülle das Parlament seine Aufgabe so gut, wie es sollte, beispielsweise bei der Kontrolle der Regierung. So sei es beispielsweise "unter den Mindestansprüchen, die ein selbstbewusstes Parlament für sich geltend machen muss", dass die wöchentliche Regierungsbefragung immer noch zu Themen stattfinde, die die Regierung vorgebe.

Lammert schloss mit zwei Bitten. Die Abgeordneten bat er, sie sollten sich die "nach den Abstürzen unserer Geschichte mühsam errungene Fähigkeit und Bereitschaft" erhalten, über den Wettstreit der Parteien hinaus den "Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten für noch wichtiger zu halten". Die Wähler bat er, das "Königsrecht der Demokratie", das Recht zu Wählen, so ernst zu nehmen, "wie es ist".

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