In der letzten Plenarsitzung des Bundestags vor der Wahl am 24. September hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für eine Neuordnung des Verhältnisses zur Türkei ausgesprochen. In ihrer Rede vor den Abgeordneten warnte sie davor, dass sich die Mitgliedsstaaten der EU vor den Augen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan "öffentlich zerstreiten" könnten: "Das würde Europas Position dramatisch schwächen", sagte Merkel und erhielt Applaus aus dem Plenum.
Die Kanzlerin führte aus, sie wolle beim EU-Gipfel im Oktober mit den anderen Staats- und Regierungschefs über die künftigen Beziehungen zur Türkei beraten. Das schließe auch die Möglichkeit ein, dass die EU-Beitrittsverhandlungen suspendiert oder beendet würden: "Dies ist ein Vorgang, der natürlich entschieden, aber auch wohlbedacht durchgeführt werden soll", sagte Merkel.
Zuvor hatte sie an die in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürger erinnert, unter ihnen die Journalisten Meşale Tolu und Deniz Yücel: Dass die Türkei immer mehr den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlasse, sei "besorgniserregend", sagte Merkel. Weiterhin müsse sich die Bundesregierung mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Deutschen freikämen.
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Ende vergangener Woche war im Badeort Antalya ein deutsches Paar festgenommen worden. Der Ehemann soll der Gülen-Bewegung angehören.
Nachholbedarf bei Bildung und Digitalisierung
Knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl zog Merkel in ihrer Rede eine Bilanz der vergangenen Legislaturperiode und ihrer dritten Amtszeit. Auf der guten wirtschaftlichen Lage dürfe sich die Industrienation Deutschland nicht ausruhen, mahnte sie: Wie in einem Brennglas zeigten sich die Herausforderungen in der vom Abgas-Manipulationsskandal geplagten Autoindustrie. Es würden noch auf Jahrzehnte Verbrennungsmotoren gebraucht, zugleich müsse aber der Weg hin zu neuen Antriebstechnologien gegangen werden. Die Bundesregierung werde "alle Kraft darauf lenken", dass es nicht zu Fahrverboten für Dieselautos wegen des hohen Abgasausstoßes komme.
Merkel wies darauf hin, dass die Bundesrepublik inzwischen drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgebe, allerdings damit hinter anderen Staaten wie Südkorea oder den skandinavischen Ländern zurückliege. In puncto Digitalisierung gestand sie ein, es gebe in diesem Bereich noch viel zu tun, wenn Deutschland nicht "im Technikmuseum enden wolle".
EU-Außenminister sollen über Sanktionen gegen Nordkorea beraten
Angesichts der Spannungen mit Nordkorea sagte Merkel: "Hier kann es nur eine friedliche, diplomatische Lösung geben, für die wir allerdings mit allen Kräften eintreten müssen". Das Regime verstößt mit Atomtests wie zuletzt der Zündung einer Wasserstoffbombe immer wieder gegen geltende UN-Resolutionen.
Merkel machte klar, dass sie in dieser Hinsicht auch europäische Politiker und Diplomaten in der Verantwortung sieht: "Europa hat eine wichtige Stimme in dieser Welt und muss diese Stimme nutzen", sagte sie. Die EU werde deshalb bei einem Außenministertreffen in Gymnich bei Köln am Wochenende über neue Sanktionen gegen Nordkorea beraten. Sie selbst habe am Montag deswegen mit den Präsidenten Frankreichs, Südkoreas und der USA telefoniert.
In ihrer Rede bei der Bundestags-Debatte "zur Situation in Deutschland" sprach die Bundeskanzlerin sich auch für eine weitere Erhöhung der Verteidigungsausgaben aus, die auch ihr Konkurrent um das Amt des Bundeskanzlers Martin Schulz (SPD) gefordert hatte.
Abschiedsrede des scheidenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert
Merkel hatte ihre Rede mit einem Dank an den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert eröffnet, für den die letzte Bundestagssitzung vor der Wahl zugleich die letzte Sitzung im Amt war.
In seiner Abschiedsrede erinnerte Lammert an die Pflichten des Parlaments: Es habe eine Regierung nicht nur zu bestellen, sondern auch zu kontrollieren - auch wenn der Eifer bei der Erfüllung der zweiten Aufgabe nicht immer so ausgeprägt sei. Lammert appellierte an die Abgeordneten, als Demokraten parteiübergreifend Fanatikern und Fundamentalisten entgegenzustehen. Zugleich wandte er sich an alle Wahlberechtigten und bat sie, ihr Stimmrecht so ernst zu nehmen, "wie es ist": "Die Demokratie steht und fällt mit dem Engagement ihrer Wählerinnen und Wähler", mahnte Lammert.