Leoluca Orlando im Interview:"Berlusconi pervertiert sein Amt"

Klartext von Palermos legendärem Ex-Bürgermeister: Leoluca Orlando erklärt, wie Berlusconis Politik die Mafia fördert und deutsche Firmen gefährdet.

Hans-Jürgen Jakobs und Oliver Das Gupta

Leoluca Orlando, Jahrgang 1947, ist einer der profiliertesten Mafia-Gegner Italiens. Als Bürgermeister von Palermo (1985-1990 und 1993-2000) gelang es dem Sizilianer, die Mafia erstmals weitgehend aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben der Stadt zu verdrängen. Wegen seines couragierten Kampfes gegen die Cosa Nostra stand der Politiker lange ganz oben auf der Abschussliste der Mafia. Er und seine Familie lebten viele Jahre unter Personenschutz.

Leoluca Orlando Silvio Berlusconi Italien

Politische Gegner: Italiens Premier Silvio Berlusconi (li.) und der Parlamentarier Leoluca Orlando, der lange Jahre als Bürgermeister Palermos erfolgreich gegen die Mafia kämpfte.

(Foto: Foto: dpa/AP, Montage: sueddeutsche.de)

Orlando ist heute Abgeordneter im Parlament in Rom und Sprecher seiner Partei Italia dei Valori (Italien der Werte). Er leitet zudem das kulturpolitische "Istituto per il Rinascimento Siciliano" (Institut für eine Renaissance Siziliens).

Das Interview fand in der SZ-Redaktion statt; Leoluca Orlando sprach Deutsch - der Jurist hat in Heidelberg studiert.

SZ.de: Herr Orlando, Sie sind häufig im Ausland unterwegs. Ist es Ihnen peinlich, dabei auf Silvio Berlusconi angesprochen zu werden, den Ministerpräsidenten Ihres Landes?

Leoluca Orlando: Die Zeit, über das Image zu reden, ist längst vorbei. Alle wissen, wie Berlusconi ist. Ich hoffe nur, dass sie nicht vergessen, dass es noch ein anderes Italien gibt.

SZ.de:Der Regierungschef gibt sich so, als ob er längst mit dem Staat eins geworden ist. Er erklärt: "Viva Berlusoni, viva Italia!" Ist Ihr Land inzwischen eine Demokratur geworden?

Orlando: Fakt ist: Eine Diktatur im Jahr 2009 ist nicht gleichzusetzen mit den Diktaturen wie bei Mussolini oder Hitler. Wir haben neue Medien, eine neue Mafia und eine neue Diktatur, die wie eine Demokratie aussieht. Berlusconi ist ein Symbol dafür.

SZ.de: Können Sie das konkretisieren?

Orlando: Es gibt in Italien keinen Unterschied mehr zwischen privat und politisch, zwischen Staat und Markt. Normalerweise interessiert es nicht, was im Schlafzimmer passiert. Bei Berlusconi ist es aber so, dass er sich am gleichen Ort mit Putin trifft, Kabinettssitzungen abhält und Privatpartys organisiert mit Frauen eines Escort-Dienstes - die mit Staatsflugzeugen angebracht werden. Das ist eine ethische Frage, keine juristische. Ein Ministerpräsident kann so nicht leben.

SZ.de: Viele Italiener wählen ihn trotzdem. Sie finden womöglich gut, wie er als Einzelner dem Staat trotzt.

Orlando: Das macht die Causa umso gefährlicher. Berlusconi ist ein schlechtes Vorbild für alle. Er kultiviert das Schlechte. Er befindet sich als mächtiger Medienunternehmer und Ministerpräsident permanent im Interessenkonflikt - das färbt ab: Unser Problem sind inzwischen die vielen kleinen Berlusconis, die in den Stadtvierteln und Regionen herrschen, egal, ob sie politisch rechts oder links stehen. Es ist für italienische Politiker normal geworden, gleichzeitig Privatunternehmer zu sein. Eine andere Kultur hat Einzug gehalten.

SZ.de: Mit welchen Folgen?

Orlando: Es gibt keinen ordentlichen Wettbewerb mehr. Es handelt sich um eine ethische Korruption von Demokratie. Berlusconi kontrolliert die Medien, er herrscht mit den Umfragen - und gibt dem Volk, was es haben will. Das ist wie bei Pontius Pilatus, der Jesus opferte, obwohl er von dessen Unschuld überzeugt war. Es darf aber keine Pontius-Pilatus-Demokratie geben. Man kann nicht einen Konsens mit den Bürgern vortäuschen und somit gegen das Recht regieren. Ein Politiker muss eine Vision des Guten haben.

SZ.de: Berlusconis Vision lautet: Der Staat ist ein Konzern, der von einem charismatischen Vorstandschef geführt werden will.

Orlando: Einspruch. Er hat die Rolle des Premiers pervertiert. Er benutzt das Fernsehen, um den Leuten das zu geben, was sie wollen. Und er kontrolliert sowohl das private als auch das öffentliche Fernsehen, die Rai.

"Illegales Geld kann Europa kaufen - dank Berlusconi"

SZ.de: Herr Orlando, Sie sollten im vorigen Jahr die Parlamentskommission leiten, die sich um die Informationsfreiheit und die Rai kümmert. Warum wurde daraus nichts?

Orlando: Ich will es Ihnen erklären: Diesen Job muss ein Mitglied der Opposition machen und die Abgeordneten des Regierungslagers tragen das mit - das ist vorgeschrieben. Die Oppositionsparteien hatten sich auf mich als Präsidenten geeinigt. Sechs Monate ging ich täglich zweimal ins Parlament, um mich wählen zu lassen, doch nie kam es dazu. Dann legte mir im September der Senatspräsident nahe, vertraulich mit Berlusconi zu reden. Der habe ein Veto eingelegt. Aber alle Probleme seien zu lösen.

SZ.de: Welchen Deal schlug Ihnen Berlusconi vor?

Orlando: Ich sollte mich mit ihm treffen - ich lehnte ab. Dann wollte er telefonieren - ich weigerte mich wieder. Mein Argument: Es kann doch nicht sein, dass ein Regierungschef in einer Sache entscheidet, die allein das Parlament betrifft. Es kann doch nicht sein, dass der größte Medienunternehmer in anderer Funktion darüber entscheidet, wer ihn und den Konkurrenten kontrolliert. Darum wurde ich nicht Präsident dieser Kommission.

SZ.de: Berlusconis Politik ist, Gesetze zu machen, die ihm zugutekommen. So kam es zum Immunitätsgesetz, das ihm Schutz vor Verfolgung in laufenden Prozessen sicherte - und das jüngst von Verfassungsrichtern kassiert wurde.

Orlando: Neben Europa ist der Verfassungsgerichtshof unsere zweite Hoffnung. Ohne die Richter würde die Demokratie sterben.

SZ.de: Berlusconi beschimpft die Richter als "Kommunisten". Sie seien nicht unabhängig.

Orlando: Was die Mafia braucht, sind solche Aussagen des Ministerpräsidenten. Das ist polemischer Unsinn. In Italien ist nicht das Recht das Probleme, es sind die Gesetze. Und die Folgen werden auch Deutschland treffen und Europa.

SZ.de: Was meinen Sie damit?

Orlando: Eines dieser Gesetze sieht vor, dass Schwarzgeld wieder zurück nach Italien gebracht werden kann, wenn der Besitzer - der anonym bleibt! - fünf Prozent Steuern nachzahlt. Das ist geschenkt. Normale Arbeitnehmer müssen 30 bis 35 Prozent zahlen. Bedenken Sie: Das Schwarzgeld wurde in Lire ausgeführt und kommt als Euro zurück. Dann wird es investiert werden in Paris, London und München. Dann kann ich nur sagen: Viel Glück! Illegales Geld will Europa kaufen, gefördert durch Berlusconi. Das ist ein großes Problem.

SZ.de: Sehen Sie das nicht zu pessimistisch?

Orlando: Warten wir sechs Monate ab! Dann werden Sie sehen, wie viele deutsche Firmen von Italienern gekauft worden sind. Die Finanzpolizei schätzt die Summe an Schwarzgeld auf 300 Milliarden Euro.

SZ.de: Ist auch Berlusconi-Vermögen dabei?

Orlando: Es würde mich wundern, wenn er nicht auch von diesem Gesetz profitieren würde.

SZ.de: Ist Italien im Kampf gegen die Mafia durch die Regierungspolitik Berlusconis zurückgeworfen worden?

Orlando: Die Mafia braucht Berlusconi. Den Kampf gegen diese Organisation führen Polizei und Staatsanwälte. Die aktuelle Regierung fördert nicht mehr die Kultur der alten Mafia, sondern die der neuen Mafia. Die alte Mafia pervertiert traditionelle Werte wie Ehre, Familie oder Freundschaft.

"Die neue Mafia braucht Peter, Wolfgang und Jürgen"

SZ.de: Und die neue Mafia?

Orlando: Sie pervertiert moderne Werte wie Freiheit oder Wettbewerb. Es gibt Brücken zwischen alter und neuer Mafia. Sie agiert global und lokal.

SZ.de: So wie 2007 in Duisburg. Dort ermordeten Profikommandos der Mafia sechs Personen.

Orlando: Die töten modern: Leise und effizient, aber brutal, so wie einst Baader-Meinhof oder die Roten Brigaden. Die neue Mafia braucht nicht Pietro oder Francesco, sie braucht Peter, Wolfgang und Jürgen. Nach Duisburg haben die Deutschen verstanden, dass sich die Mafia längst nicht mehr auf die italienische Gastronomie beschränkt. In einem italienischen Lokal riskiert man allenfalls, eine schlechte Pizza zu essen. Die Interessen der Mafia sind so groß geworden, dass eine Pizza zu klein ist.

SZ.de: Wo wird die neue Mafia in Deutschland aktiv?

Orlando: In Frankfurt an der Börse, in Banken, in Immobilien. Viele italienische Unternehmer haben ihre Liquiditätsprobleme durch das neue Schwarzgeld-Gesetz gelöst.

SZ.de: Was kann die EU gegen italienische Verhältnisse tun?

Orlando: Brüssel muss klare Wettbewerbsregeln aufstellen, die auch für Italien gelten. Die Flugfirma Alitalia zum Beispiel war in einer Existenzkrise, und nach einer Ausschreibung wurde Air France zum Käufer gekürt. Doch dann kam rasch der Wahltag, und Berlusconi gewann. Sofort gründeten seine schwerreichen Freunde eine neue Firma und kauften damit Alitalia - gewissermaßen mit nichts: Alle Schulden von Alitalia wurden vorher vom Staat übernommen. Selbst meine rechtsorientierten Freunde fragen mich inzwischen: "Wann werden sie uns freilassen von Berlusconi?" Mein Traum ist es, in einem Rechtsstaat zu leben - und gute Opposition zu machen.

SZ.de: Die EU hat kaum Chancen, etwas zu bewegen, wenn Berlusconi widersteht.

Orlando: Sicher: Europa ist noch nicht stark genug, aber für uns ist es eine Garantie. Ohne die europäische Einbindung wäre die Lage bei uns katastrophal, wir hätten Zustände wie in einem lateinamerikanischen Land. Machen wir uns nichts vor: Wenn Italien nicht schon längst Teils Europas wäre, könnte das Land nicht Mitglied werden.

SZ.de: Tatsache ist aber auch: Italiens Opposition wirkt trotz Berlusconis Possen zerstritten und schwach.

Orlando: Meine Partei "Italien der Werte" (Italia dei Valori) gilt als stärkste Kraft der Opposition. Dabei hat sie nur acht Prozent der Wähler hinter sich. Die größere Demokratische Partei hat viel Zeit verloren, zu verstehen, wie gefährlich Berlusconi ist. Dort glaubten sie, Berlusconi mache unglaubliche Fehler - und erledige sich selbst.

SZ.de: Eine Fehleinschätzung. Haben Sie einen Vorschlag, wie Berlusconi beizukommen ist?

Orlando: Wir belegen immer wieder: Berlusconis Regierung ist antidemokratisch. Dem schließen sich immer mehr Italiener an. Wir mobilisieren mit wachsendem Erfolg: In welchem europäischen Land protestieren schon 300.000 bis 400.000 Leute für die Pressefreiheit?

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