Süddeutsche Zeitung

Leipzig:"Wir sind wegen der Zecken da"

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Von Ulrike Nimz, Leipzig

Der junge Mann vermisst breitbeinig den Flur, sein Kiefer arbeitet. Er schafft es bis zur Tür von Saal 200. Dort stellt sich ihm ein Beamter in den Weg. "Ich bin hier, um meinem Kumpel zu unterstützen", schnappt der ungeduldige Besucher und muss dann doch warten - wie alle anderen auch. Es ist neun Uhr morgens am Leipziger Amtsgericht. Soeben hat hier der erste einer ganzen Reihe von Prozessen zum Neonazi-Überfall auf den Stadtteil Connewitz begonnen: Am 11. Januar 2016 waren vermummte Randalierer mit Äxten, Schlagstöcken und Eisenstangen durch das Viertel im Leipziger Süden gezogen, demolierten parkende Autos, Kneipen, Buchläden. Böller und Leuchtraketen wurden gezündet, ein Dachstuhl geriet in Brand. Laut Leipziger Staatsanwaltschaft entstand ein Sachschaden von 113 000 Euro. Die Polizei nahm 215 Tatverdächtige fest, darunter auch die beiden Angeklagten.

Dennis W. trägt ein kariertes Hemd und Löcher in den Ohren. Martin K. einen grauen Kapuzenpullover. Zwei schmale Männer, die ihre Gesichter hinter Aktenordnern verbergen und die Aussage verweigern. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden 26-Jährigen Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall vor. Den Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.

Saal 200 hat Plätze für 30 Besucher. Es kommen deutlich mehr. Nicht alle anwesenden Journalisten dürfen in den Saal, erst nach und nach werden Plätze frei. 18 Zeugen sind am ersten von zunächst zwei Prozesstagen geladen. Den Anfang machen mehrere Bereitschaftspolizisten, am Tag des Überfalls eingeteilt, um im Stadtzentrum eine Demonstration des fremdenfeindlichen Legida-Bündnisses zu schützen. Alle Beamten berichten übereinstimmend, die Gruppe der Randalierer habe organisiert und geschlossen gewirkt. Es habe den Eindruck gemacht, die Beteiligten seien miteinander bekannt.

"Woran haben Sie erkannt, dass es sich um Vertreter des rechten Spektrums handelte?", fragt Richter Marcus Pirk einen der Beamten. "In Connewitz läuft das so", setzt dieser an: "Wenn wir dort Gruppierungen des linken Spektrums verfolgen, öffnen die Anwohner ihre Haustüren, und die Flüchtigen verschwinden dann." Diesmal sei das nicht der Fall gewesen. Ein anderer Beamter will einzelne Beteiligte wiedererkannt haben - von Einsätzen während rechtsextremer Demonstrationen oder vor Fußballspielen. Die Polizisten schildern, wie sie - nachdem die Randalierer gefesselt und festgesetzt sind - Gegenstände auf der Straße finden, in aller Eile entsorgt: Totschläger, Zaunlatten mit Nägeln, Sturmhauben in blau-gelb, den Vereinsfarben des Fußballclubs Lokomotive Leipzig.

"Es sah dort aus wie in einem Kriegsgebiet", sagt ein Beamter. Der Zugführer einer Hundertschaft verdeutlicht Verteidigern und Staatsanwältin die Dynamik des Abends auf einem Stadtplan. Richter Pirk fragt detailliert nach, hin und wieder konfrontiert er Zeugen mit früheren Aussagen. Als ein Beamter im Zeugenstand angibt, er habe während des Einsatzes kein rechtes Motiv für den Überfall erkennen können, liest Pirk ihm einen Aktenvermerk vor. Damals gab derselbe Beamte an, folgenden Satz von den Randalierern vernommen zu haben: "Wir sind wegen der Zecken da."

Die Krawalle im linksalternativ geprägten Leipziger Süden haben bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Es war der schwerste Neonazi-Angriff in Leipzig seit den 90er Jahren. Damals lieferten sich Linksradikale und Rechtsextreme regelmäßig Revierkämpfe. Heute ist Connewitz ein roter Fleck im von CDU und AfD dominierten Sachsen. Die Linken-Politikerin Juliane Nagel ist in Connewitz aufgewachsen. Hier hat sie bei der Landtagswahl 2014 ein Direktmandat errungen. Sie erhofft sich von dem Verfahren Signalwirkung: "Es geht nicht nur um eine Tat, sondern um eine gewalttätige überregionale Neonazi-Vernetzung, die endlich ausgeleuchtet und zerschlagen werden muss." Tatsächlich ist der Prozess Beginn eines wahren Justizmarathons. Insgesamt 103 Anklagen gegen 202 Tatverdächtige hat die Staatsanwaltschaft Leipzig an mehreren Amtsgerichten in der Region erhoben. Aus verfahrenstechnischen Gründen stehen in der Regel jeweils zwei Angeklagte gemeinsam vor Gericht.

Im Saal 200 nimmt nun ein Anwohner im Zeugenstand Platz. Er sei in seinem Arbeitszimmer gewesen, als der Lärm ihn aufgeschreckt habe: das Klirren von Glas, das Knallen von Feuerwerkskörpern und der Schlachtruf "Ho-ho-Hooligans". Beim Blick aus dem Fenster habe er brennende Mülltonnen gesehen. Ein Mann habe wie besessen mit Eisenstangen auf die Scheiben seines Skoda Fabia eingedroschen, der direkt vor der Haustür parkte. Schaden: 3000 Euro. "Ich habe kurz überlegt, ob ich runter gehe und einschreite", sagt der Mann. "Aber meine Gesundheit war mir dann doch wichtiger."

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SZ vom 17.08.2018
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