Sachsen:Gefährliche Brandsätze

Sachsen: 1300 Menschen gingen nach dem Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im Leipziger Stadtteil Grünau auf die Straße.

1300 Menschen gingen nach dem Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im Leipziger Stadtteil Grünau auf die Straße.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Kita, Unterkunft, Turnhalle: In Leipzig häufen sich Angriffe gegen Orte, die Flüchtlingen Schutz bieten sollen.

Von Antonie Rietzschel, Leipzig

"Willkommen" - das Wort steht in großen Buchstaben über einer Kindertagesstätte mitten im Leipziger Stadtviertel Grünau. Ein freundlicher Gruß an ukrainische Flüchtlinge, die viel durchgemacht haben und deren Kinder nun hier betreut werden. Doch seit ein paar Tagen erinnern gelbliche Flecken an der Tür daran, dass nicht jeder die Neuankömmlinge willkommen heißen mag. Unbekannte haben hier Feuer gelegt. Als ein Erzieher am vergangenen Montag zur Arbeit ging, war der Eingang völlig verrußt.

Vandalismus kommt in Leipzig-Grünau immer mal wieder vor, manchmal brennen auch Mülltonnen. Doch im Fall der Kindertagesstätte ermittelt jetzt der Staatsschutz. Im Viertel häufen sich derzeit Angriffe auf Einrichtungen, die Flüchtlingen Schutz bieten sollen.

Nicht weit von der Kindertagesstätte entfernt steht ein roter Plattenbau. Zu DDR-Zeiten waren hier vietnamesische Vertragsarbeiter untergebracht, in den Neunzigerjahren auch Sinti und Roma. Heute leben in dem Haus in der Lilienstraße 180 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Georgien und der Ukraine. Draußen dreht ein Mann von der Security seine Runde. Doch auch die Bewohner selbst sind in diesen Tagen wachsam. Ein kleiner Schotterweg führt auf der Rückseite des Hauses entlang. Wer sich dort lange umschaut, dem drohen Stimmen hinter den geöffneten Fenstern: "Gehen Sie weg - oder wir rufen die Polizei!"

Vergangenen Freitag hatten Unbekannte Brandsätze gegen die Fassade des Hauses geschleudert. Es war der 26. August, der Jahrestag der Pogrome in Rostock-Lichtenhagen. Dokumentationen und Politiker erinnerten daran, wie Rechtsextreme 1992 ein Flüchtlingsheim anzündeten. Anwohner klatschten Beifall. Es sind Szenen, die man auch aus Leipzig-Grünau kennt. 1991 versuchten Rechtsextreme die Flüchtlingsunterkunft zu stürmen. Sie schlugen die Scheiben mit Pflastersteinen ein, warfen Brandsätze.

Der Innenminister sprach von einem "Alarmzeichen"

"Ich dachte wir hätten diese Zeiten hinter uns gelassen", sagt Alexander Melzer. Er ist Geschäftsführer des Vereins Pandechaion, dem Träger der Flüchtlingsunterkunft. In den vergangenen Jahren hat es keine großen Konflikte gegeben. Viele der umliegenden Häuser stehen fast leer, in der Nachbarschaft wohnen mittlerweile viele Migranten. Nach dem Anschlag vor knapp einer Woche gab es viel Solidarität. 1300 Menschen demonstrierten spontan vor der Flüchtlingsunterkunft gegen Rassismus. Und auch Innenminister Armin Schuster (CDU) reagierte sofort. Er sprach von einem "Alarmzeichen" und ordnete an, Asylunterkünfte stärker zu bewachen. Trotzdem haben einige Bewohner der Lilienstraße 15a Angst.

Sachsen: Die Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau, auf die ein Brandanschlag verübt wurde.

Die Unterkunft für Geflüchtete im Leipziger Stadtteil Grünau, auf die ein Brandanschlag verübt wurde.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Lara kommt aus einem kleinen Ort nahe Saporischschja in der Ukraine. Seit Juni wohnt sie mit ihrem Sohn im dritten Stock der Flüchtlingsunterkunft. "Ich stehe immer noch unter Schock. Wir tun doch niemandem was", sagt Lara auf Russisch. Sie steht auf dem Parkplatz vor dem Plattenbau und erzählt, wie ihr in der Nacht plötzlich Brandgeruch in die Nase stieg. Sie dachte erst, ein paar Jugendliche hätten herumgekokelt. Dann sah sie vom Balkon aus Polizisten, die Spuren sicherten.

Ermittler des Landeskriminalamt untersuchen die Brandsätze derzeit auf DNA-Spuren und werten die Aufnahmen von Überwachungskameras aus. Auf Zeugenaufrufe habe sich bisher noch niemand gemeldet, so ein Pressesprecher. Die Anschläge werden Thema in der MDR-Sendung "Kripo Live" sein, einer regionalen Version von "Aktenzeichen XY Ungelöst".

Laras Sohn meint, sie sollten vielleicht wieder in die Ukraine gehen

Im Fokus der Ermittler steht mittlerweile ein weiterer Vorfall. Kurz vor Ende der Sommerferien brannte in Leipzig-Grünau bereits eine Turnhalle, die seitdem einsturzgefährdet ist. Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung. Ob es auch hier ein politisches Motiv gegeben haben könnte, ist bisher unklar. Aufgrund der zeitlichen und räumlichen Nähe zu den Anschlägen will man das aber nicht ausschließen.

Die Turnhalle gehört zur 100. Schule, die auch Flüchtlingskinder besuchen. Laras Sohn lernt hier in einer Klasse für Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Zur Schule läuft Lara nur wenige Minuten. Am Tor kommt ihr der Junge entgegen. Sie fragt, was er heute gelernt hat. Farben waren dran. "Schwarz", "braun,", "weiß", zählt er auf Deutsch auf. Lara hat mit ihrem Sohn über die Brände gesprochen. "Er meinte, dass wir vielleicht zurück gehen sollten in die Ukraine, wenn die Leute uns hier nicht haben wollen." Sie wischt sich schnell über das Gesicht. Ihr Sohn soll sie nicht weinen sehen.

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