Süddeutsche Zeitung

Pflege und Gesundheit:Wie Leiharbeit den Personalmangel in der Pflege verschärft

Lesezeit: 3 min

Externe Pflegekräfte verdienen oft besser als Festangestellte und können ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen. Deshalb wächst ihre Zahl - und damit auch der Unfrieden in Kliniken und Heimen.

Von Rainer Stadler

"Leiharbeiter sind und bleiben Beschäftigte zweiter Klasse", schimpfte kürzlich Susanne Ferschl, Vizechefin der Linken-Fraktion im Bundestag. Anlass waren ernüchternde Zahlen aus dem Bundesinnenministerium: Zwei Drittel der Leiharbeiter, auch Zeitarbeiter genannt, erhalten nur einen Niedriglohn. Den Wechsel in einen regulären Job schafft lediglich ein Drittel, die große Mehrheit verharrt in prekären Verhältnissen.

Von Arbeitgebern heißt es, Leiharbeit sei unverzichtbar, sie gebe den Unternehmen die nötige Flexibilität. Kritiker wie die Linken-Politikerin Ferschl wenden ein, weil für die Zeitarbeit keine Tarifverträge gelten, werde das ganze System "pervertiert". Das ist der Stand der Diskussion über alle Branchen hinweg. Außer in der Pflege.

Beschäftigte von Kliniken und Pflegeheimen finden es zunehmend attraktiv, nicht einem Team und einer Einrichtung anzugehören, sondern von der Zeitarbeitsfirma an wechselnden Orten eingesetzt zu werden.

Leiharbeitsfirmen werben viele fest angestellte Pflegekräfte ab

Dem Deutschen Pflegerat zufolge hat die befristete Leiharbeit in Pflege und klinischer Geburtshilfe "in den letzten Jahren rasant zugenommen". In der Krankenpflege habe sich die Zahl der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zwischen 2014 und 2018 verdoppelt, in der Altenpflege sei sie um die Hälfte gestiegen.

Aktuelle Zahlen gibt es nicht, aber aus Einrichtungen in ganz Deutschland ist derzeit zu hören: Der ohnehin grassierende Personalmangel werde durch Zeitarbeit verschärft. Laut dem Bundesverband Pflegemanagement würden die Firmen fest angestellte Pflegekräfte "aggressiv" abwerben. Die Folge sei ein "enormer Verlust von fest angestellten Pflegenden".

Was der Verband als Aggression empfindet, bringt für das abgeworbene Personal viele Vorteile: höhere Löhne, geregelte Arbeitszeiten, keine anstrengenden Spät-, Nacht- und Wochenenddienste. Beschäftigte der Leiharbeit haben die Freiheit, jederzeit den Einsatzort zu wechseln, wenn Stress und Arbeitsbelastung überhandnehmen oder das Klima in einer Einrichtung unerträglich wird. Von alldem können Festangestellte in Kliniken und Heimen nur träumen.

In der Vergangenheit haben die Betreiber der Einrichtungen immer wieder auf Personal von Zeitarbeitsfirmen zurückgegriffen, um Engpässe in der Belegschaft auszugleichen, etwa wegen Krankheit oder für Belastungsspitzen. Doch inzwischen ist das Fremdpersonal für sie zur Belastung geworden, nicht nur wegen der höheren Löhne. Auch die Leiharbeitsfirmen verlangen für die Vermittlung einen kräftigen Aufschlag.

Nach drei Jahren Pandemie hat sich die Situation weiter zugespitzt

Laut Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), sind die tatsächlichen Kosten durch Leiharbeit "doppelt so hoch wie bei fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern". Auf diesen Mehrkosten bleiben die Einrichtungen sitzen, sie werden von den Kassen nicht erstattet.

Zudem kommt es bei der Stammbelegschaft nicht gut an, dass externe Kräfte mehr verdienen, Überstunden bezahlt bekommen und dennoch frei sind in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit.

Neu ist das Problem nicht. Schon im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege, die im Juli 2018 das Gesundheits-, Arbeits- und Familienministerium ins Leben rief, widmete sich eine Arbeitsgruppe dem Ziel, die Leiharbeit zu reduzieren. Dazu wurden verschiedene Maßnahmen vereinbart.

Doch nach drei Jahren Pandemie hat sich die Situation weiter zugespitzt. Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha schrieb deshalb vor Weihnachten einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Er beklagte nicht nur die höheren Kosten durch Leiharbeit. Der vorübergehende Einsatz des Aushilfspersonals beeinträchtige den reibungslosen Ablauf komplexer Vorgänge in den Einrichtungen und gefährde damit die Patientensicherheit, führte Lucha aus.

DKG-Vizechefin Henriette Neumeyer pflichtet ihm bei: Teamarbeit müsse "eingeübt und kontinuierlich betrieben werden". Ein hohes Maß an Zeitarbeit sei daher "kontraproduktiv".

Bislang halten sich die Gewerkschaften aus der Diskussion heraus

Der Deutsche Pflegerat betont, gerade ältere Menschen benötigten "professionell Pflegende, die ihnen vertraut sind und ihre Bedürfnisse kennen". Helmut Wallrafen, Geschäftsführer der Sozial-Holding Mönchengladbach, die sieben Pflegeheime betreibt, fürchtet, der Ausbau der Leiharbeit werde wieder zu mehr Pflege nach dem Prinzip "satt, sauber und still" führen. Der ständige Wechsel des Einsatzortes lasse keinen Aufbau von Beziehungen zu den Pflegebedürftigen zu.

Die Gewerkschaften ignorieren diese Verwerfungen bisher. Verdi-Vorständin Sylvia Bühler gab zu erkennen, dass man sich nicht einmischen wolle, wenn zumindest ein Teil der Pflegekräfte auf diesem Weg bessere Arbeitsbedingungen erreiche. Wallrafen entgegnet, die Festangestellten seien die Leidtragenden. Sie müssten die Privilegien der Leiharbeiter ausbaden. Er sieht nur einen Ausweg: Die externen Kräfte werden per Gesetz verpflichtet, an 365 Tagen 24 Stunden täglich zur Verfügung zu stehen - genauso wie die Stammbelegschaften.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft plädiert für gesetzliche Regelungen, um die Verrechnungssätze für das Personal von Leiharbeitsfirmen zu deckeln. Als Obergrenze schlägt die DKG "das 1,5-Fache des durchschnittlichen einschlägigen Bruttolohns inklusive Arbeitgebernebenkosten" vor. Bernhard Schneider von der Evangelischen Heimstiftung forderte bereits ein "totales Verbot" der Leiharbeit.

Aus der Bundesregierung gibt es keinerlei Signale in diese Richtung, es dürfte wohl schwierig werden, Zeitarbeit in der Pflege anders zu regeln als in anderen Branchen.

Ob Gesundheitsminister Lauterbach das Problem allerdings ignorieren kann? Die Stimmung in den Einrichtungen ist schlecht. Heimbetreiber Wallrafen sagt, sollten sich die Zustände nicht ändern, werde er auf Leiharbeit verzichten und lieber Betten abbauen. "Das ist die einzige Sprache, die die Politik versteht."

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