Süddeutsche Zeitung

Schulen:Wie Corona den Lehrermangel verschärfen könnte

Viele Lehrkräfte fühlen sich nach zwei Jahren Pandemie erschöpft, jede achte will einer Umfrage zufolge weniger arbeiten. Dabei fehlt den Schulen schon jetzt Personal. Muss der Staat die Teilzeitregeln verschärfen?

Von Paul Munzinger

Teilzeit, das klingt für viele Arbeitnehmer wie eine Verheißung und für manche Arbeitgeber wie eine Drohung. Das gilt besonders dann, wenn es sich bei den Arbeitnehmern um Lehrkräfte und bei dem Arbeitgeber um den Staat handelt. Denn der hat es, in Gestalt der Bundesländer, in den vergangenen Jahren fast nie geschafft, so viele Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, wie die Schulen eigentlich einstellen müssten. Die Folge ist ein stellenweise eklatanter Lehrermangel. Und der wird umso schlimmer, je größer die Zahl der verfügbaren Lehrkräfte ist, die nur in Teilzeit arbeiten.

Das "Deutsche Schulbarometer", eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage der Robert-Bosch-Stiftung, enthält vor diesem Hintergrund schlechte Nachrichten für die Länder - die am Ende vor allem schlechte Nachrichten für Schülerinnen und Schüler sind. Eine von acht befragten Lehrkräften, 13 Prozent, plant demnach, ihre Arbeitszeit im kommenden Schuljahr zu reduzieren. Die Pandemie hat viele von ihnen ausgelaugt. Fast 80 Prozent der insgesamt 1017 befragten Lehrkräfte berichten von regelmäßiger Arbeit am Wochenende, mehr als 60 Prozent von körperlicher und fast 50 Prozent von mentaler Erschöpfung.

Der Gedanke, kürzerzutreten, liegt da nahe. Zumal das Lehramt traditionell ein Beruf ist, der sich mit dem Privatleben gut vereinbaren lässt. Von den 702 000 hauptberuflichen Lehrerinnen und Lehrern arbeiten fast 280 000 in Teilzeit, das sind 40 Prozent. Die meisten von ihnen, 87 Prozent, sind Frauen.

Doch weil die Quote so hoch ist und der Lehrermangel sich durch die Pandemie und die Ankunft vieler Tausender aus der Ukraine geflüchteter Kinder zuletzt immer deutlicher zeigte, ist die Teilzeit zum Reizthema geworden. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der vor seiner politischen Karriere selbst als Lehrer gearbeitet hatte, schlug Ende April vor, Lehrkräfte in Teilzeit eine Stunde mehr in der Woche arbeiten zu lassen. Die Reaktionen der Lehrergewerkschaften schwankten zwischen fassungslos und wütend, so dass Kretschmann schließlich zurückruderte.

Doch in einem Punkt blieb er stur: Die Teilzeitregelungen für Lehrkräfte seien zu großzügig. In Baden-Württemberg erlaubt das Beamtenrecht eine Reduktion der Arbeitszeit auf 50 Prozent, es sei denn, der Arbeitgeber kann "dienstliche Belange" geltend machen, die dagegensprechen. Kann ein Lehrer oder eine Lehrerin familiäre Gründe für den Wunsch nach Teilzeit anführen - etwa die Pflege eines Angehörigen oder ein Kind unter 18 -, müssen es schon "zwingende dienstliche Belange" sein; in solchen Fällen kann die Arbeitszeit sogar auf bis zu 25 Prozent verringert werden. Eine Änderung dieser Regelungen wird derzeit geprüft, wie das Kultusministerium bestätigt.

Mehr Arbeit bedeutet mehr Belastung und damit vielleicht mehr Krankheitsausfälle

Nun kann man trefflich streiten: Darf, ja muss der Staat in Zeiten des Mangels von seinen Beamten mehr einfordern? Ist der Lehrermangel nicht der dienstliche Belang schlechthin, ein zwingender sogar? Oder wäre das nichts anderes als der Versuch, den Lehrkräften die Folgen eines Mangels aufzubürden, den der Staat selbst verschuldet hat? Auf dem Lehrermarkt sind die Länder schließlich sowohl für die Ausbildung als auch für die Einstellung zuständig, Angebot und Nachfrage liegen in ihrer Hand. Und wie so viele andere Dinge - die demografische Entwicklung zum Beispiel - ist auch die Teilzeitquote ein Faktor, mit dem man eigentlich hätte rechnen können. Sie liegt schon seit zwanzig Jahren unverändert bei um die 40 Prozent.

Doch selbst wenn man geneigt ist, den Lehrkräften mehr Arbeit zuzumuten: Jeder Versuch, aus den vorhandenen Ressourcen mehr herauszuholen, trägt das Risiko in sich, die Belastung zu vergrößern und so den Mangel nicht zu lindern, sondern zu verschärfen. Kurzfristig, indem mehr Lehrer dauerhaft krank werden, wie die Gewerkschaften prophezeien. Und langfristig, weil die gute Work-Life-Balance für viele junge Leute ein wichtiger Grund ist, um Lehrerin oder Lehrer werden zu wollen. In Berlin jedenfalls, wo besonders viele Lehrkräfte (und außerdem Räume für den Unterricht) fehlen, wird derzeit darüber diskutiert, die zu kurze Decke in die andere Richtung zu ziehen - und den Stundenplan zu kürzen.

Immerhin in einem Punkt liefert das Schulbarometer eine gewisse Entwarnung: Bei allen Problemen bleibt die Berufszufriedenheit unter Lehrerinnen und Lehrern mit 74 Prozent hoch.

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