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Fehlende Lehrkräfte:Lehrerverbände sagen massiven Unterrichtsausfall voraus

Warnungen vor einem dramatischen Lehrkräftemangel gibt es regelmäßig. Zum Beginn dieses Schuljahres malen Bildungsverbände aber ein besonders düsteres Bild: Es knirscht an allen Ecken und Enden.

Zum Schuljahresbeginn fehlen an den Schulen in Deutschland nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbands bis zu 40 000 Lehrerinnen und Lehrer. Die Unterrichtsversorgung habe sich in allen Bundesländern verschlechtert, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. "Bundesweit gehen wir von einer echten Lücke von mindestens 30 000, vielleicht sogar bis zu 40 000 unbesetzten Stellen aus."

Die Situation, Stellen mit voll ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, habe sich "im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschärft", sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. "Unterrichtsausfall gleich zu Beginn des Schuljahres ist bereits Tatsache, größere Lerngruppen, Zusammenstreichen von Förderangeboten, Kürzung der Stundentafel und so weiter sind an der Tagesordnung", sagte Udo Beckmann, der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).

In elf der 16 Bundesländer hat das Schuljahr inzwischen begonnen. Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland folgen nächste Woche, in der Woche darauf geht es in Bayern und Baden-Württemberg wieder los. Traditionell sind die beiden Südländer bei den Sommerferien die letzten. Aus einzelnen Ländern kamen bereits die ersten Alarmmeldungen: In Bayern hieß es schon kurz vor den Sommerferien, dass im neuen Schuljahr Unterrichtsangebote gestrichen werden müssten, um genug Pädagogen als Klassenleiter zu haben. In der Bundeshauptstadt Berlin begann das Schuljahr mit so vielen Schülern wie nie, bei gleichzeitig 875 fehlenden Lehrkräften.

Lehrerverbandspräsident Meidinger sagte, die bis zu 40 000 unbesetzten Lehrerstellen seien zwar eine Schätzung, da noch nicht in allen Ländern die Schule wieder begonnen habe. "Die bisher bekannten Zahlen sind aber dramatisch", fügte er hinzu. Wie VBE-Chef Beckmann spricht auch Meidinger von Unterrichtsausfällen, gekürzten Stundenplänen, gestrichenen Zusatzangeboten bereits zum Schuljahresbeginn.

Zu wenig Lehrkräfte bei mehr Schülern

In Deutschland gibt es mehr als 800 000 Lehrkräfte an Schulen und Berufsschulen. Es gibt zwar seit Jahren Klagen über fehlende Lehrkräfte. Die Lage scheint sich aber zuzuspitzen, weil sich inzwischen mehrere Probleme überlappen. So schlägt der allgemeine Fachkräftemangel jetzt auch im Schulbereich durch.

Der geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Kai Maaz, hatte im Juni von drohenden Verteilungskämpfen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gesprochen. Zugleich entscheiden sich laut Statistischem Bundesamt mehr Lehrerinnen und Lehrer für Teilzeit. Im Schuljahr 2020/2021 arbeiteten demnach fast 40 Prozent nicht voll, die höchste Quote seit zehn Jahren.

Dem stehen immer mehr Schüler gegenüber: Durch mehr Geburten und Zuwanderung steigen nach Angaben der Kultusministerkonferenz (KMK) die Zahlen. Deutschlandweit gibt es gibt momentan fast elf Millionen Schülerinnen und Schüler. Dazu kommen inzwischen mehr als 150 000 aus der Ukraine. Und dann gibt es bewusste politische Entscheidungen - Ganztagsausbau, Vorgaben zu Inklusion oder Sprachförderung -, die den Personalbedarf an den Schulen weiter verstärken.

Zuletzt hatte es größere Hoffnungen gegeben, das Problem zumindest in Teilbereichen durch Quer- und Seiteneinsteiger aufzufangen. Aber auch das wird immer schwerer; die Zahl derer, die das versuchen, schrumpft. "Auch hier ist der Arbeitsmarkt mittlerweile oft leergefegt", sagte GEW-Chefin Finnern. Die KMK setzt "derzeit einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Fachkräftegewinnung", wie deren Präsidentin Karin Prien (CDU) auf Nachfrage erklärte.

Als mögliche kurzfristige Maßnahmen zur "Sicherstellung der verlässlichen Unterrichtsversorgung" nannte sie den Einsatz von Vertretungslehrern und "im Einzelfall auch eine Zusammenlegung von Schulklassen". Sie fügte hinzu: Man müsse nicht nur in einzelnen Jahren oder Wahlperioden denken, sondern die Entwicklung der Bildung auf zehn, zwanzig Jahre in die Zukunft denken. Lehrerverbände fordern das schon lange. Die Länder sollten ihrer Ansicht nach über Bedarf ausbilden und auch einstellen, um solchen Situationen vorzubeugen.

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