Lehren aus der Finanzkrise:Banker trifft Penner - und lernt von ihm

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Er ist Wolfgang Schäubles Euro-Experte, stellvertetender Büroleiter des Finanzministers - und Autor eines kapitalismuskritischen Romans: Martin Heipertz hat seine Bekanntschaft mit einem Tramper zu einem Buch verarbeitet. Eine der Lektionen: "Kein Arschloch werden".

Heribert Prantl

Wenn einer Tag und Nacht den Euro retten muss, weil er im Leitungsstab des Bundesfinanzministeriums arbeitet, dann braucht er einen Helden, an den er sich halten kann. Im Idealfall ist dieser Held der Minister, für den man schuftet.

Weder Einser-Abi, noch Oxford-Studium: Die Lebensgeschichte eines Tramps bannte den ehemaligen EZB-Banker Martin Heipertz. (Foto: dpa)

Martin Heipertz, studierter Volkswirt und Politologe, ein junger Euro-Experte, hat seinem Minister Wolfgang Schäuble schon gestanden, dass es bei ihm anders ist. Heipertz ist zwar Mitglied der CDU und durchaus ein Bewunderer seines Chefs, dessen stellvertretender Büroleiter er ist, aber seinen Helden hat er sich der Mittdreißiger selbst erschaffen.

Genauer gesagt: Der ist ihm in den Frankfurter Grünanlagen nahe des Bankenviertels begegnet, dort, wo die Penner hocken. Heipertz' Held ist ein bärtiger österreichischer Sandler namens Franz S., der ihm im Glutsommer 2006 dort über den Weg gelaufen ist. Damals war Heipertz Banker bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Er hat sich mit dem Parkbank-Franz angefreundet und ein Buch über ihn geschrieben; es heißt "Der Tramp" und erscheint im September.

Banker trifft Penner und lernt von ihm: Das ist eine moderne Ausgabe des Märchens von Prinz und Bettelmann. Das Buch ist nicht nur deswegen interessant, weil das Leben des vermeintlichen Penners Franz S. so interessant war, sondern auch deswegen, weil den jungen Banker am Vorabend der Finanzkrise Zweifel an seinem Beruf beschlichen haben und weil die Lebenserzählungen des Franz die Selbstzweifel des jungen Manns im Maßanzug mehren. Der Ich-Erzähler lädt also den Clochard neugierig zum Abendessen ein, führt lange Gespräche mit ihm, zeichnet sie mit dem Tonband auf.

Ein bisschen viel des Guten

Der Banker ist gebannt davon, wie anders ein Leben ausschauen kann: Kein Einser-Abitur, kein britisches Internat, kein Oxford-Studium, kein Max-Planck-Institut. Franz S. war Bankräuber, Spieler und Insasse im tirolerischen Hochsicherheitsgefängnis "Stein", dann Seemann und schließlich Tramp in den USA; er ist ein Global Player der anderen Art. Von ihm lernt der Banker so etwas wie Lebensphilosophie: "Kein Arschloch werden", wenn man beruflich Erfolg hat, "das ist die Kunst."

Heipertz lässt seinen Tramp in New Yorker Kneipen und US-Country-Bars auf die ganz großen Musik-Stars treffen: Jimi Hendrix, Jim Morrison und Dolly Parton inklusive. Da verschlingt sich, wie bei der Euro-Krise, Fiktion mit der Realität; das ist ein bisschen viel des Guten. Am Ende wird die Geschichte jedenfalls wieder real und traurig: Heipertz hat über die Wiener Straßenzeitung Augustin den Kontakt mit seinem Franz noch mal hergestellt und den krebskranken Alten Ende 2010 in Wien ein letztes Mal besucht. Mit diesem Besuch endet das Buch. Dessen Erstfassung hat Heipertz niedergeschrieben, als er 2008 im Büro des EU-Gesandten in Kosovo Wirtschaftsberater war.

Der Leser soll das Gefühl haben, "mühelos an die Stelle des Bankers zu treten", erklärt Heipertz. Und dann sollen ihm die Augen aufgehen über "die Lebenslüge nicht nur der Finanzwelt, sondern der modernen Gesellschaft". Die Moral von der Geschicht' ist das Lob der Mäßigung, einer Tugend, die schon Aristoteles und Ludwig Erhard hochhielten, und zu der jetzt die Krisen- und Leitungsstäbe der Staaten zurückzukehren versuchen. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion lobt Heipertz als "das gewagteste Experiment der Finanzgeschichte". Ihr könnten die Lebensweisheiten des Franz helfen.

© SZ vom 08.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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