Süddeutsche Zeitung

Teure Lebensmittel:"Wir brauchen eine Preisbremse für Butter und Brötchen"

Lesezeit: 3 min

Innerhalb eines Jahres sind die Lebensmittelpreise um 20 Prozent gestiegen. Die Linke fordert die Regierung auf, einzugreifen.

Von Boris Herrmann, Berlin

Das Jahr 2022 war auch das Jahr der Bremsen. Die Bundesregierung hat eine Gaspreisbremse und eine Strompreisbremse beschlossen und in etwas abgewandelter Form eine Heizölbremse sowie eine Holzpelletbremse auf den Weg gebracht. Auch das Neun-Euro-Ticket und der Tankrabatt waren letztlich nichts anderes als zeitweise existierende Nahverkehrs- und Benzinpreisbremsen. In all diesen Fällen geht es um politischen Beistand in inflationären Zeiten.

Der Glaube daran, dass sich die sogenannten Marktmechanismen von ganz alleine um die Sorgen der Menschen im Land kümmern, hat in den zurückliegenden Monaten jedenfalls parteiübergreifend schwer gelitten. Ganz links im Parteienspektrum gibt es aber jemanden, dem das alles noch nicht weit genug geht. Martin Schirdewan, der Co-Vorsitzende der Linken, fordert, dass endlich auch die Lebensmittelpreise runter müssen. "Wir brauchen jetzt eine Preisbremse für Butter und Brötchen, Gemüse und Tofu", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Der Hashtag #ichbinarmutsbetroffen ist besorgniserregend erfolgreich

Sein Vorstoß fällt nicht ganz zufällig in die Jahreszeit der großen Festtagsgelage, zwischen die weihnachtlichen Gänsebraten und die ausgefeilten Silvestermenüs. Denn es gibt viele Deutsche, für die das längst ein unerschwinglicher Luxus geworden ist.

Laut dem Statistischen Bundesamt sind die Nahrungsmittelpreise in Deutschland zwischen November 2021 und November 2022 um mehr als 20 Prozent gestiegen. Was das konkret bedeutet, kann man unter dem besorgniserregend erfolgreichen Hashtag #ichbinarmutsbetroffen auf Twitter nachlesen. Da erzählte dieser Tage zum Beispiel eine Mutter davon, wie sie die Weihnachtsfeier in der Kita mit einer Ausrede abgesagt habe, weil ihr das Geld fehlte, um etwas fürs Büfett mitzubringen. Und das ist nur eine von vielen Geschichten über die sich verschärfende Ernährungsarmut in Deutschland.

Viele könnten sich schlicht und einfach keine guten Lebensmittel mehr leisten, sagt Schirdewan: "Teilweise hungern Menschen sogar, weil sie in diesem reichen Land inzwischen beim Essen sparen müssen, um über die Runden zu kommen. Das ist eine Schande." Mit dieser Diagnose steht der Parteichef der Linken nicht alleine da. Auch Bernd Siggelkow, der Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerks "Die Arche", hat gerade in seiner Weihnachtsbotschaft über die von seiner Organisation betreuten Familien gesagt: "Sie wissen häufig nicht, wie sie ihren Kühlschrank füllen sollen, weil die Preise immer mehr wachsen." Etwa zwei Millionen Menschen sind derzeit in Deutschland auf die Unterstützung der Tafeln angewiesen. Zwei Millionen zu viel, findet Schirdewan.

Seit der 47-jährige EU-Parlamentarier im Sommer den vakanten Platz in der Doppelspitze an der Seite von Janine Wissler eingenommen hat, bemüht er sich darum, seine Partei strategisch neu aufzustellen: weniger Selbstbeschäftigung, mehr Sachthemen. Schirdewan will die Linke wieder zu einer "Kümmererpartei" machen, aber die Sache mit den Lebensmittelpreisen hat wohl nicht nur taktische Gründe, sie ist ihm offenbar ein Anliegen. Schon unmittelbar nach seiner Wahl im Juni sprach er von einer "vierzigprozentigen Butterinflation" in Deutschland und beklagte, dass sich viele Familien nicht mehr sicher seien, ob sie ihre Kinder mit einer Käsestulle in die Schule schicken könnten. Schirdewans Ansatz ist es, die großen Themen (kriegsbedingte Weizenkrise, Nahrungsmittelspekulation an den Börsen) auf die konkreten Alltagssorgen der Leute (den Preis eines Butterbrots) herunterzubrechen.

Özdemir wollte die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse streichen

In diesem Fall wähnt er eine breite gesellschaftliche Mehrheit hinter sich. Einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman zufolge befürworten 91 Prozent der deutschen Verbraucher staatliche Interventionen bei Lebensmitteln, wie etwa festgelegte Preisobergrenzen oder Subventionen. Nur neun Prozent sind demnach der Ansicht, der Staat solle sich aus der Preisbildung heraushalten. "Die Bundesregierung muss aktiv werden", sagt Schirdewan.

Aus dem Haus von Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) heißt es dazu auf Anfrage, der Minister habe im Zuge der Diskussion um die Preisentwicklung bei Lebensmitteln in Folge des Angriffskrieges auf die Ukraine eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte gefordert. Dafür gebe es allerdings bisher keine Mehrheit in der Koalition. "Weitere Überlegungen werden derzeit hier nicht angestellt", sagte eine Sprecherin des Ministeriums.

Weiter gehende Überlegungen gibt es dafür aber im Kreis der europäischen Linken. In einem als "interne Diskussionsgrundlage" gekennzeichneten Papier der Linksfraktion im EU-Parlament, das der SZ vorliegt, werden verschiedene Maßnahmen zur Senkung der Lebensmittelpreise aus Frankreich, Spanien, Griechenland und Kroatien erörtert. Die kroatische Regierung hatte im Herbst staatliche Preisobergrenzen für einen bestimmten Korb an essenziellen Lebensmitteln eingeführt. Dem Papier zufolge konnten damit die Preise für Produkte wie Sonnenblumenöl, Milch, Zucker, Hühnchen- und Schweinefleisch um durchschnittlich 30 Prozent gesenkt werden.

Martin Schirdewan schwebt offenbar ein ähnliches Modell für Deutschland vor. Er sagt: "Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um sicherzustellen, dass die Preise für die Verbraucher endlich runtergehen und zugleich kein Landwirt und kein Kleinunternehmen dafür die Kosten tragen muss." Ein Preisdeckel für Grundnahrungsmitteln müsste aus seiner Sicht von einer Expertenkommission festgelegt und auf die dominanten Supermarktketten (Aldi, Edeka, Rewe und Schwarz-Gruppe) begrenzt werden. Für kleine und mittelständische Unternehmen sowie Genossenschaften könne die Teilnahme an der Preisobergrenze dagegen freiwillig sein, sagt Schirdewan.

Er weiß natürlich auch: Selbst wenn die Linke in Deutschland an der Regierung wäre, ließe sich das vor dem Silvesterfest definitiv nicht mehr umsetzen. Einfacher wäre es vermutlich, wahlweise einen Gänse- oder Seitanbraten an alle zu verteilen.

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