Leben oder sterben lassen:Fall Schiavo löst deutsche Sterbehilfe-Debatte aus

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Der Fall der amerikanischen Koma-Patientin Terri Schiavo hat auch in Deutschland eine kontroverse Debatte darüber entfacht, ob Patientenverfügungen, mit denen Menschen im vorhinein lebenserhaltende Maßnahmen ablehnen können, ausgeweitet werden sollen oder nicht.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Stünker, sprach sich dafür aus, Patientenverfügungen auszuweiten, mit denen Menschen im vorhinein lebenserhaltende Maßnahmen ablehnen können. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, warnte indes vor allzu großen Hoffnungen: Es sei illusorisch anzunehmen, dass sich alle denkbaren Fälle abdecken ließen.

Der SPD-Politiker Stünker sagte der Berliner Zeitung, Patientenverfügungen, die in vollem Bewusstsein und voller Geschäftsfähigkeit abgegeben würden, müssten Gültigkeit haben.

Dies gelte auch bei nicht tödlich verlaufenden Krankheiten. "Sonst würden erneut Andere die Entscheidung über lebenserhaltende Maßnahmen treffen", sagte Stünker. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carola Reimann, Mitglied der Ethik-Enquete-Kommission des Bundestages, verlangte als Konsequenz aus dem Fall Schiavos eine baldige gesetzliche Regelung zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen in Deutschland.

Ärztepräsident: Im Zweifelsfall Vorfahrt für das Leben

Auch der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Gerhardt, plädierte dafür, einen rechtlichen Rahmen zu finden, damit Ärzte und Angehörige Rechtssicherheit bekommen. "Es gibt Fälle schwerster Erkrankung, in denen nachzuvollziehen ist, dass Menschen lieber den schnellen Tod als ein langes und schmerzhaftes Siechtum wählen möchten", wurde Gerhardt zitiert.

Dagegen wandte sich der Präsident der Bundesärztekammer, Hoppe, gegen jede Form aktiver Sterbehilfe. Der Rheinischen Post sagte der Ärztevertreter, in Fällen, in denen der Patientenwille nicht eindeutig zu ermitteln sei, müsse "Vorfahrt für das Leben" gelten.

Dies sei auch bei der Koma-Patientin Schiavo der Fall, deren Angehörige sich öffentlich streiten. Prinzipiell sei es aber nicht "unärztlich", Menschen sterben zu lassen.

Die Deutsche Hospiz-Stiftung erklärte, der Fall zeige, dass Patienten nur mit Patientenverfügungen vor Mutmaßungen und Willkür Dritter geschützt werden könnten. Deshalb sei mehr Aufklärung der Bevölkerung über das Thema nötig.

Schriftform der Verfügungen wichtig

Der CDU-Politiker Hubert Hüppe nannte Schiavos Fall ein warnendes Beispiel. Das Verhalten grenze an Tötung durch Unterlassen; deshalb sehe er keinen Handlungsbedarf für Änderungen am strengen deutschen Recht. Für den Bioethik-Experten der SPD, Wolfgang Wodarg, verdeutlicht der Fall, dass man auf der Schriftform von Patientenverfügungen bestehen sollte.

Nach Ansicht der früheren Vorsitzenden der Ethik-Enquete-Kommission des Bundestages, Margot von Renesse, könnte es einen "Fall Schiavo" in Deutschland nach dem bisherigen Rechtsverständnis nicht geben, da der Körper der Patienten schon begonnen habe, zu verfallen. Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete forderte in der Sächsischen Zeitung zudem einen Ermessensspielraum für diejenigen, die den Willen von Patienten auszuführen hätten.

In Deutschland wird seit längerem über eine gesetzliche Neuregelung der Gültigkeit von Patientenverfügungen diskutiert. Vor einem Monat hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) die Federführung bei dem künftigen Gesetz an den Bundestag abgegeben.

Während Zypries die Autonomie von Patienten vor dem Lebensende stärken will, will die Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" den Anwendungsbereich von Patientenverfügungen einschränken.

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