Süddeutsche Zeitung

Leben mit einer Morddrohung:"Ich will keine Märtyrerin werden"

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Nach dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh war sie außer Landes gebracht worden. Nun ist Ayaan Hirsi Ali, Niederländische Abgeordnete im Visier von Islamisten, wieder da — und will weitermachen.

Von Frank Nienhuysen

Sie kam um 9.30 Uhr, ein gepanzerter Mercedes setzte sie direkt vor dem Gebäude des niederländischen Parlaments ab, in dem sie mehr als zweieinhalb Monate gefehlt hatte.

Ayaan Hirsi Ali ging sofort hinein, ließ sich vom Parlamentspräsidenten begrüßen und sagte: "Es ist schön, zurück zu sein."

Die aus Somalia stammende Niederländerin ist eine Vertreterin des Volkes, doch Anfang November musste sie diesem Volk den Rücken kehren, aus Angst vor dem Tod. Als der Filmemacher Theo van Gogh erstochen wurde, hing an dem Messer in seiner Brust auch eine Morddrohung an die Islamkritikerin.

Die 35-Jährige hatte an einem Film mitgearbeitet, der einen Zusammenhang von Korantexten und Gewalt an Frauen herstellte. Ayaan Hirsi Ali tauchte unter. Zuerst in den Niederlanden, wo, das wussten selbst ihre Freunde nicht. Am 10. November schließlich wurde sie vom Militär außer Landes gebracht, vermutlich in die USA.

Der 31. Dezember, der letzte Tag des Jahres, hätte auch ihr letzter Tag sein sollen. Im Schutz des Feuerwerks wollte nach Erkenntnissen der Polizei eine islamistische Terrorzelle offenbar den Mord begehen.

Der Plan wurde vereitelt, die Gefahr bleibt. Der Schriftsteller Leon de Winter, der sie als einer der wenigen in ihrem Versteck anrufen durfte, sagte, er würde aufgeben, wenn er an dem Punkt wäre, an dem Ayaan jetzt sei.

Doch Hirsi Ali machte vor ihrer Rückkehr in die Politik klar, sie lasse sich nicht einschüchtern: "Die niederländische Demokratie ist robust und stabil."

Dabei ist es erst zwei Jahre her, dass sie zur zweitbeliebtesten Politikerin gewählt wurde: Schön ist sie, scharfzüngig, eine Feministin, die sich traute, den Islam zu kritisieren, und die es genoss, dies alles frei und wortgewaltig sagen zu dürfen.

Den Propheten Mohammed nannte sie "nach heutigen Maßstäben einen Tyrannen", was ihr den Zorn der Muslime einbrachte. Trotz diverser Drohungen aber fühlte sie sich in den Niederlanden relativ sicher.

Als sie einmal im Haager Parlament die Lage in ihrer Heimat Somalia geißelte, in der es den Frauen niemals schlechter gegangen sei, da meinte sie noch: "Wenn ich dort diese Dinge so sagen würde wie jetzt hier in diesem Haus — sie würden mich töten."

Die Gewalt hat sie eingeholt. Selbst aus den Niederlanden musste sie flüchten, und fast könnte man meinen, ihr ganzes Leben sei eine Flucht gewesen.

In Somalia als Tochter eines inhaftierten Stammesoberhauptes geboren, floh sie im Alter von sechs Jahren mit der Familie, ging für ein Jahr nach Saudi-Arabien, für eineinhalb Jahre nach Äthiopien, dann für elf Jahre nach Kenia.

Dort wollte ihr Vater sie zwingen, in Kanada einen Mann seiner Wahl zu heiraten. Sie wehrte sich, unterbrach ihre Reise in Deutschland und nahm einen Zug nach Holland. "Ich rannte davon", sagte sie.

In ihrer neuen Heimat arbeitete sie zunächst als Übersetzerin, studierte dann Politik, lernte vieles über Macht, Regierungen, Bürgerrechte — und "damit alles, was Europa zu Europa machte".

Sie wusste es zu schätzen, und auch deshalb wohl hat sie während ihres einzigen Interviews in ihrem Versteck gesagt: "Ich will keine Märtyrerin werden — und doch will ich weitermachen."

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Quelle:
SZ vom 19.1.2005
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