Leben im Untergrund:Verstecke mitten in der Gesellschaft

NS-Verbrecher, die RAF und jetzt neonazistische Terroristen - immer wieder verbergen sich Menschen unter dem Tarnmantel der bürgerlichen Existenz. Ein Linksterrorist gab sich als lässiger Tennis-Spieler, ein ehemaliger SS-Hauptsturmführer brachte es sogar zum Bundesverdienstkreuz. Über das Leben im Untergrund.

Willi Winkler

Der Untergrund lag hoch im Odenwald in einem abgelegenen Dorf. Niemand ahnte, dass die "Holzkaufleute", die sich dort angeblich zur Erholung aufhielten und manchmal in der Gastwirtschaft saßen, gewaltbereite Terroristen waren. Die bürgerlich daherkommenden Gestalten unternahmen in der Waldeinsamkeit Schießübungen mit Pistolen und automatischen Waffen, sie horteten auch Sprengstoff.

Explodiertes Haus im Fall der 'Zwickauer Zelle'

Zwickau, Frühlingsstraße: Eine unauffällige Gegend bis die Neonazis aufflogen und ihre Unterkunft in Brand steckten.

(Foto: dapd)

Wie sich herausstellte, verfügten sie über gefälschte Papiere und hatten für den Ernstfall bereits eine Liste von Politikern vorbereitet, die zumindest zu verhaften wären. Paul Lüth, der Anführer der Geheimorganisation, hatte aus seiner rechten Gesinnung allerdings kein Geheimnis gemacht und eine Schrift mit dem Titel "Bürger und Partisan" veröffentlicht. Als der "Technische Dienst", eine Kampfgruppe des rechtsgerichteten "Bundes Deutscher Jugend", im Oktober 1952 aufflog, zeigte sich, dass er vom amerikanischen Geheimdienst CIA für den Kampf gegen den Kommunismus finanziert und bewaffnet worden war.

Dass der Schinderhannes Ende des 18. Jahrhunderts in den Wäldern leben konnte, ist leicht verständlich. Dass aber in der Bundesrepublik Deutschland zwei Männer und eine Frau über ein Jahrzehnt unerkannt leben und morden und rauben konnten, dem Verfassungsschutz und der Polizei zum Trotz, ungeachtet der Melde- und Versicherungspflicht, in einer Gesellschaft, in der jeder Handynutzer eine Datenwelle verursacht, das lässt einen fassungslos zurück. Und doch: Das auf den ersten Blick totalerfasste Land kann zum Urwald werden, zum Rückzugsraum für Straftäter und Menschenhasser, für jene, die die Verhältnisse umstürzen wollen, ob als Islamist, als linker, als rechter Terrorist.

Auch in der frühen Bundesrepublik ließ es sich gut verstecken. Der SS-Hauptsturmführer und Germanist Hans Ernst Schneider stellte sich 1945 tot und tauchte als Hans Schwerte wieder auf. Er heiratete seine Frau ein zweites Mal, studierte und promovierte passenderweise über jenen Faust, der von den zwei Seelen spricht, die "ach, wohnen in meiner Brust". Erst 1995 wurde der bereits emeritierte Professor und Träger des Bundesverdienstkreuzes enttarnt. Unter dem Namen Otto Heninger konnte der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann vier Jahre lang unbehelligt als Waldarbeiter und Hühnerzüchter in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen leben, bis ihm 1950 mit Hilfe eines Nazi-Netzwerks die Flucht nach Südamerika gelang. Ohne viele alte und neue Kameraden wäre das nicht möglich gewesen.

Der moderne Untergrundkämpfer braucht ein sympathisierendes Umfeld, das ihn schützt und versorgt. In den siebziger Jahren, als die RAF und die "Bewegung 2. Juni" ihre Anschläge verübten, hießen die Unterstützer "Sympi" oder "Legale"; sie führten ihr bürgerliches Leben, auch wenn sie mit dem Herzen bei der Guerilla waren. "Jeder wusste über die Sympis der anderen Bescheid, hielt aber persönlichen Kontakt nur mit jenen, die man selbst agitiert hatte", erzählt Till Meyer von der "Bewegung 2. Juni". "Unsere Kontakte reichten von der 'Roten Hilfe' über Jugendzentren bis hin zu den Betriebsgruppen der neuen Linken. Bis in die K-Gruppen hinein hatten wir politische Verbindungen."

Ein deutscher Aussteiger aus der internationalen Terrorszene nennt der Süddeutschen Zeitung das wichtigste Moment für das Verschwinden im Untergrund: eine glaubwürdige Identität, zum Beispiel mit den Daten und Dokumenten von jemandem, dem man ähnelt. "Ideal wäre das Einverständnis des Namensgebers." Der Kontakt zur Oberwelt wird über "sichere Kanäle" gehalten. Am besten seien "Treffen in einem sicheren Gebiet, einem unterstützenden Ausland".

Studenten, die in den Ferien bombten

Die beste Tarnung ist, bei der RAF wie bei dem Trio aus Zwickau, seit je die bürgerliche Existenz, am besten paarweise organisiert. Mao Zedong empfahl dem Revolutionär, sich im Volk "wie ein Fisch im Wasser" zu bewegen. Unauffällige Kleidung, passender Haarschnitt und ein Mittelklassewagen sind dafür unabdingbar. Die Miete und die Stromrechnung zahlte die RAF in bar - heute dürfte eher jemand auffallen, der mit einem Packen Geldscheine daherkommt. Um sein scheinbar müßiges Leben zu rechtfertigen, zeigte sich ein Mitglied der RAF in einem besseren Hamburger Viertel grundsätzlich mit einem lässig mitgeführten Tennisschläger.

Das Leben im Untergrund kann sich sogar scheinbar ganz offen abspielen: Ein IRA-Kämpfer ließ sich bei der britischen Grenzwache anstellen und konnte so seinen Kameraden die Beamten nennen, die ihrerseits verdeckt ermittelten; diese wurden umgebracht. Bei den beiden Terroristen, die Mitte der neunziger Jahre als "Antiimperialistische Zellen" Anschläge gegen Behördengebäude und die Häuser von Politikern unternahmen, taten sich die Ermittler besonders schwer: Die Studenten begingen ihre Taten nur während der Semesterferien; ansonsten fielen sie nicht weiter auf.

Heute ist ein solches Untertauchen nicht mehr so einfach. Den sogenannten Sauerland-Bombern aus der Islamisten-Szene war die Polizei bald auf der Spur; nach dem 11. September 2001 konzentrierte sich die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz auf diese Tätergruppe, mit Erfolg. Aber, das zeigt der Fall der Zwickauer Nazi-Gruppe, es ist keineswegs unmöglich.

Über welche Verbindungen die Gruppe um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Thüringen verfügte, ist nicht geklärt. Wahrscheinlich blieben sie so lange unentdeckt, weil sie sich immer stärker abschotteten - doch ohne mehr oder weniger diskrete Helfer hätten die beiden Haupttäter kaum mehr als zehn Jahre lang ein unauffälliges Leben führen und mordend durch Deutschland ziehen können. Die Illegalität bedurfte so gründlicher wie klandestiner Unterstützung aus der Welt, aus der sich die beiden verabschiedet hatten. Ohne Sympathisanten ist das nicht vorstellbar: die Ziele, die Böhnhardt und Mundlos verfolgten, waren einer nicht ganz kleinen Gruppe nur allzu recht. Selbst jetzt noch äußern Leute im Internet Verständnis für die Mordtaten.

Ehe Andreas Baader 1972 verhaftet wurde, machte er einen verhängnisvollen Fehler: Er musste mit einem silberfarbenen Iso Rivolta herumfahren, von dem in ganz Deutschland nur fünfzig Stück zugelassen waren. Paul Lüth, Anführer der Kampfgruppe "Technischer Dienst", verschwand 1952 angeblich spurlos. In Wirklichkeit schloss er sein Medizinstudium ab, ließ sich als Landarzt nieder und wurde einer der bekanntesten Kritiker des Gesundheitswesens. Im Sommer 1969 klingelte bei ihm ein junger Mann und verlangte, dass er einem seiner Gefolgsleute helfe, den eine Wespe in den Hals gestochen hatte. Der ehemalige Untergrundkämpfer verabreichte ein schwellungshemmendes Mittel. Der Patient war der spätere FAZ-Redakteur Lorenz Jäger, damals achtzehn. Sein besorgter Betreuer hieß Andreas Baader.

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