Le Pen gegen Macron:Der Kampf der zwei Frankreichs

Le Pen gegen Macron: Le Pen gegen Macron: Abschottung gegen Offenheit.

Le Pen gegen Macron: Abschottung gegen Offenheit.

(Foto: AFP)

Wer vor der Stichwahl in Frankreich unterwegs ist, trifft auf eine gespaltene Nation: Stadt gegen Land, oben gegen unten. Vor allem im abgehängten Norden laufen die "Vergessenen" Marine Le Pen zu.

Von Leila Al-Serori, Paris und Pas-de-Calais

Hügel wie Pyramiden, unnatürlich in die monotone Landschaft gepflanzt. Sie sind die Überreste der Blütezeit der Region, als hier im nordfranzösischen "Bassin Minier" noch der Kohlebergbau florierte, die Menschen in den Minen ihr Geld verdienten. Heute sind die Halden noch da, die Jobs nicht mehr. Die Backsteinbauten in den kleinen Städten sind ungepflegt, die Straßen wie ausgestorben. Jugendliche in Jogginghosen sitzen vor den Bahnhöfen und vertreiben sich die Zeit.

"Marine natürlich, wir lieben sie." Der ergraute Jean Szoltys im hellblauen Sakko, der mit seiner Ehefrau im Zentrum von Lens herumspaziert, weiß genau, wen er als nächste Präsidentin Frankreichs sehen will. Für den Installateur in Rente ist es auf keinen Fall Emmanuel Macron. "Der ist ja ein Ex-Banker. Und viel zu jung."

Der Schnellzug TGV braucht vom Bahnhof Paris Nord in die Städte des Département Pas-de-Calais nur etwas mehr als eine Stunde. Nach Lens beispielsweise, nach Calais oder auch nach Hénin-Beaumont - dem Städtchen, das Besuch von 600 internationalen Journalisten bekam, als Front-National-Chefin Marine Le Pen hier ihre Wahlparty feierte. Und doch fühlt man sich so weit weg von den Boulevards der Hauptstadt, den schicken Bistros, den Modeboutiquen.

Grundverschieden sind Paris und diese Orte - und ebenso grundverschieden wählen ihre Bewohner. Während die Franzosen im Pas-de-Calais beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen zu mehr als 34 Prozent die Rechtspopulistin Marine Le Pen wählten, sind es in Paris unter fünf Prozent. Und ähnlich ist es auch in anderen größeren Städten wie Lyon oder Bordeaux. Der parteilose Sozialliberale Emmanuel Macron holte dort die meisten Stimmen, während er in Pas-de-Calais nur Platz drei hinter Le Pen und Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon erreichte.

Bruchlinie in der Gesellschaft verläuft nicht mehr zwischen rechts und links

Die Präsidentschaftswahl mit ihren zwei gegensätzlichen Kandidaten hat Risse in der französischen Gesellschaft sichtbar gemacht. Die Bruchlinie verläuft aber nicht mehr zwischen rechts und links. Sondern zwischen Stadt und Land. Oben und unten. Modernität steht gegen Tradition. Globalisierungsgewinner gegen -verlierer. Le Pen hat diese Umbrüche erkannt - und instrumentalisiert sie, um damit an die Macht zu kommen.

Immer wieder hat Marine Le Pen das "Frankreich der Vergessenen" ins Zentrum der Kampagne gerückt, um ihren Vorwurf zu unterstreichen: Das schicke, selbstverliebte Paris kreise nur um sich selbst. Und der verhassteste Vertreter dieses Paris' ist für sie und ihre Anhänger Emmanuel Macron, der frühere Wirtschaftsminister - ihr Gegner. Macrons Eltern sind Ärzte, er hat eine Elite-Universität besucht und vor seiner Karriere in der Politik schon Millionen als Investmentbanker gemacht.

Le Pen gegen Macron: Städtchen im Pas-de-Calais, der ehemals florierenden Kohlebergbau-Region.

Städtchen im Pas-de-Calais, der ehemals florierenden Kohlebergbau-Region.

(Foto: AFP)

"Sie stellt den Wahlkampf als Kampf des Volkes gegen die Elite da, ein technokratisches Europa gegen ein Frankreich der Patrioten", sagt Politologe Hans Stark von der Universität Paris-Sorbonne. "Es gibt tatsächlich zwei Frankreichs heute - für das Land ist das eine Katastrophe. Die Gegensätze existieren, aber Le Pen treibt die Zersplitterung auf die Spitze."

Das zeigte sich bereits in der Wahlnacht. "Es wird Zeit, das französische Volk von den arroganten Eliten zu befreien. Ich bin die Kandidatin des Volkes.", tönte sie von der Bühne ihrer Wahlparty in der Turnhalle in Hénin-Beaumont. Sätze, die sie in den vergangenen Wochen bis zur Ermüdung wiederholt hat. Zuletzt beim Wahlduell, wo sie spöttisch und auf Konfrontation aus war.

Es sind Konflikte, wie sie zuletzt in Wahlkämpfen in den USA mit der Wahl Donald Trumps zum Präsident sichtbar geworden sind. Aber auch in Österreich bei der Bundespräsidentenwahl, als sich der rechtspopulistische Kandidat Norbert Hofer einer ähnlichen Rhetorik bediente und den heutigen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen als "Vertreter der Hautevolee" abstempelte.

"Wie die DDR Anfang der 90er-Jahre"

Die gespaltene Gesellschaft ist kein typisch französisches Phänomen. Aber gerade Frankreich zeigt besonders starke Differenzen auf, die historisch gewachsen sind. Da ist zum einen die immer schon starke Zentralisierung des Landes, aber auch eine Deindustrialisierung, die breite Landstriche von Frankreich verarmen ließ. Einer Umfrage zufolge fühlt sich jeder zweite Franzose in ländlichen Gebieten "weit weg von allem".

"Das Stadt-Land-Gefälle, unter dem Frankreich leidet, hängt sehr stark mit der vorherrschenden Rolle von Paris zusammen. Die Menschen, die auf dem Land leben oder in peripheren Kleinstädten, sind wirtschaftlich völlig abgekoppelt worden. Diese Gebiete haben einen Armutsfaktor erreicht, der mit der DDR Anfang der 90er-Jahre vergleichbar ist", sagt Stark. In diesen Gebieten, zu denen auch Pas-de-Calais zählt, ist die Arbeitslosigkeit hoch. Hier wurde früher traditionell kommunistisch gewählt. Mittlerweile sind die Wähler aber zur anderen Seite des politischen Spektrums gewandert. Nun ist man dort "chez nous", bei uns, wie die Front-National-Anhänger gerne sagen.

Es sind die Versäumnisse der Regierung, Fehler früherer Bürgermeister, die für den Erfolg des Front National mitverantwortlich sind. Viele Franzosen sind frustriert und fühlen sich im Stich gelassen. Sie geben ihre Stimme daher nicht den von ihnen als System verhassten etablierten Parteien, sondern Außenseitern wie Le Pen oder Jean-Luc Mélenchon. Die Zentralregierung hat es versäumt, nach dem Ende des Bergbaus in den Strukturwandel zu investieren - und bekommt nun die Rechnung dafür serviert.

Die Unterschiede in der französischen Gesellschaft sind stark ausgeprägt, aber natürlich ist nicht alles schwarz und weiß. So finden sich in den verarmten Provinzen Frankreichs durchaus Macron-Wähler, genauso wie Front-National-Wähler in den gebildeten Milieus der Großstadt.

Keine Massenproteste gegen Le Pen

Trotzdem ist die Spaltung klar sichtbar geworden. Das zeigt sich auch in den vielen Menschen, die am Sonntag gar nicht zur Wahl gehen wollen, weil sie sich weder von Macron noch Le Pen vertreten fühlen. Vorbei sind die Zeiten, als Frankreich sich gegen den rechtsextremen Kandidaten Jean-Marie Le Pen vereinte, der 2002 völlig überraschend gegen Jacques Chirac in die Stichwahl einzog. Massenproteste wie damals gibt es diesmal nicht.

Macron hält nichts von der populistischen Aufteilung oben und unten, reich und arm. Der "Mann der Mitte" gibt sich vielmehr als Optimist, als Vertreter einer "radikalen, tiefen Erneuerung", welche die Republik gemeinsam schaffen soll. Er ist zuletzt öfter auch für Auftritte in die Provinz gefahren, um sein Image des elitären Städters zu korrigieren.

Rentner Jean Szoltys lässt sich davon nicht überzeugen. Macron ist für ihn all das, was Marine Le Pen als Teufel an die Wand malt. Elitär, ein Neoliberaler und vor allem ein Jünger des Staatspräsidenten François Hollandes und damit Vertreter des Systems. Der Mann mit dem weißgrauen Schnauzer fühlt sich abgehängt und im Stich gelassen. Er sagt: "Nur Marine hat ein Ohr für uns."

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