Süddeutsche Zeitung

Corona-Politik:Der ungesagte Satz

Joe Biden hat es schon getan, Christian Drosten ebenso. Stellt nun auch Gesundheitsminister Lauterbach bald das Ende der Pandemie fest?

Von Angelika Slavik, Berlin

Neulich wurde Karl Lauterbach gefragt, wann er denn "den Satz" sagen werde. Lauterbach saß da, na klar, im Fernsehstudio von Markus Lanz, er gab eine sehr lange und umständliche Antwort, bis er irgendwann sagte: "Wenn das so bleibt, wir kommen gut durch, dann werde ich einen ähnlichen Satz auch tätigen."

Der Satz, den Joe Biden in den USA schon längst und hierzulande seither nun auch Christian Drosten gesagt hat, lautet: Die Pandemie ist vorbei.

Dass Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister von der SPD, Galionsfigur des "Team Vorsicht", Deutschlands oberster Mahner und Warner, überhaupt in Erwägung zieht, diesen Satz ebenfalls zu sagen, das zeigt nicht nur, wie sich das Virus in den vergangenen Monaten verändert hat. Es belegt auch, dass sich die Prioritäten in der deutschen Politik verschoben haben. Das Land hat jetzt andere Probleme. Sogar Karl Lauterbach hat andere Probleme.

Die Vielzahl an Krisen, die 2022 nicht nur über Deutschland hereingebrochen sind, haben die Aufmerksamkeit der Bundesregierung längst verlagert. Da ist der Krieg in der Ukraine, die Sorge um die Energieversorgung und die Inflation. Da sind die kollabierenden Kinderkliniken, der Pflegenotstand, der Streit um die Klimakleber. Wenn das Coronavirus 2023 noch einmal nach großer politischer oder öffentlicher Aufmerksamkeit strebt, es müsste schon mit einer Killer-Mutante um die Ecke kommen.

Danach sieht es derzeit nicht aus, deshalb kann man die Prognose wagen, dass Corona im kommenden Jahr immer weniger Platz im öffentlichen Bewusstsein einnehmen wird. Die Ampel-Parteien werden sich, natürlich, weiterhin streiten - aber über andere Themen, nicht mehr über die Corona-Politik. Lauterbachs Intimfeind im Kabinett ist Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP. Im ersten gemeinsamen Regierungsjahr lieferten sich diese beiden spektakuläre Duelle um diverse Änderungen am Infektionsschutzgesetz - und um die öffentliche Meinung.

Das machte die Regierungsarbeit nicht unbedingt leichter, war aber ein Juwel für die Fans politischer Realsatire. Im kommenden Jahr wird man diese Paarung wohl seltener sehen. Stattdessen wird Karl Lauterbachs zentraler Gegenspieler vermutlich Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Denn Lauterbach hat nun vor allem Probleme auf dem Tisch, die die grundlegende Struktur des deutschen Gesundheitswesens betreffen. Die will er mit Geld lösen. Mit sehr, sehr viel Geld.

Bei der Cannabis-Legalisierung könnte es Probleme geben

Dazu kommt das Theater um die Cannabis-Legalisierung: Eigentlich ist das eines der wenigen Themen, bei denen sich die Koalitionsparteien einig sind. Allerdings stoßen Lauterbachs Vorstellungen auf wenig Begeisterung bei der EU-Kommission. Kann er Brüssel von seinem Konzept nicht überzeugen, steht die Ampel vor einer Grundsatzentscheidung: Das Projekt Cannabis-Legalisierung komplett streichen? Oder sich auf einen Kompromiss verständigen? Über die Frage, was legal sein soll und was nicht, könnte die Bundesregierung also noch einmal trefflich streiten. Bei den Corona-Regeln ist das dagegen wenig wahrscheinlich, zumal viele Bereiche ohnehin Sache der Länder sind - und die sind kollektiv auf Lockerungskurs.

Karl Lauterbach wird Corona also 2023 wohl vor allem mit Empfehlungen begleiten, er wird ein wenig zur Vorsicht mahnen und dann und wann darauf verweisen, dass man in der Summe doch besser als andere Länder durch diese Krise gekommen sei. Und, klar, einmal muss er natürlich noch zu Markus Lanz. Um den Satz zu sagen. Oder zumindest: einen ähnlichen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5721423
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/jael
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.