Gesundheitspolitik:Immer weniger Patienten nutzen Lauterbachs Klinikatlas

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Kündigte „ein umfassendes Update“ für den Klinikatlas an: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. (Foto: Soeren Stache)

Der Gesundheitsminister präsentierte das Online-Verzeichnis als zentrales Element seiner Krankenhausreform. Doch auch sechs Monate nach seinem Start knirscht es im System.

Von Rainer Stadler

Bei der Einführung im Mai bezeichnete Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seinen Klinikatlas als „Wegweiser durch den Krankenhausdschungel“. Ein halbes Jahr später zeigen die Nutzerzahlen, dass sich die Patientinnen und Patienten vorerst doch lieber auf eigene Faust durchschlagen.

Laut einer Kleinen Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag besuchten im Oktober nur 126 000 Menschen die Internetseite bundes-klinik-atlas.de, im Mai waren es noch knapp 1,4 Millionen, also elfmal so viele. Auch die Zahl der Seitenaufrufe pro Monat ist eingebrochen, von anfangs 99,5 Millionen auf zuletzt knapp vier Millionen. Lauterbachs Portal, das es ermöglichen sollte, für jeden Eingriff die bestmögliche Klinik zu finden, entwickle sich zum Ladenhüter, lästerte CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge in der Augsburger Allgemeinen. „Die gravierenden Mängel“, mit denen der Atlas an den Start gegangen sei, haben „offenbar viele Nutzer abgeschreckt“.

Ein lernendes System mit Mängeln

Tatsächlich hagelte es Kritik für die erste Version. Krankenhäuser beklagten, viele Daten seien falsch, Fachgesellschaften warnten, das Portal sei nicht vertrauenswürdig. Kerstin von der Decken, CDU-Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein, forderte, es umgehend abzuschalten. Benutzerfreundlich war der Atlas auch nicht. Wer den Begriff „Speiseröhrenkrebs“ in das Suchfenster eingab, sah sich mit der kryptischen Rückfrage des Systems konfrontiert, ob ein Magenkrebs, Speiseröhrenkrebs oder eine „sonstige angeborene Fehlbildung der Haut“ behandelt werden soll.

Lauterbachs Ministerium versuchte, die offensichtlichen Mängel mit dem Hinweis zu kaschieren, die Daten würden nach und nach verbessert, es handle sich um ein lernendes System. Die neue Version, zu deren Launch sich das Ministerium bereits Mitte Juni veranlasst sah, hatte mit dem ursprünglichen Atlas praktisch nur noch die Internetadresse gemein. Statt eines Suchfensters finden Interessierte seitdem neun Kacheln zum Anklicken, mit der Aufschrift „Herz“, „Lunge“ oder „Knochen und Gelenke“. Sie führen zu einigen wenigen „Behandlungsanlässen“, wie das Ministerium erklärt. Unter der Kachel „Neurologie“ werden als Wahlmöglichkeiten „Behandlung auf einer Schlaganfalleinheit“, „Multiple Sklerose“ und „Parkinson“ angeboten. Ein weiterer Klick führt zu einer Liste von Kliniken, die diese Behandlungen anbieten. Für jede Klinik ist angegeben, wie viele Fälle sie pro Jahr behandelt und wie gut oder schlecht sie mit Pflegekräften ausgestattet ist.

„Die Zahlen dümpeln im niedrigen Bereich vor sich hin“

Wer das neue Portal nutzt, kann sich also nicht mehr durch die Angaben zu 23 000 verschiedenen Eingriffen wühlen – was in der Vergangenheit ohnehin nur in die Irre führte –, sondern ist auf die neun Kacheln beschränkt. CDU-Politiker Sorge bezeichnete den generalüberholten Klinikatlas deshalb als „Schmalspurversion“. Aus Lauterbachs Ministerium heißt es, diese Kacheln und die dazugehörigen „Behandlungsanlässe“ deckten immerhin 2,9  Millionen der insgesamt jährlich 15 Millionen Krankenhausfälle ab. Und das System werde nach und nach mit weiteren Daten ergänzt, der Klinikatlas somit „immer besser“.

Thomas Schmidt-Rixen, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, hat den Klinikatlas anfangs heftig kritisiert. Die jetzige Version sieht er als Fortschritt, die Inhalte seien besser und benutzerfreundlicher aufgearbeitet. Noch bilde der Atlas zwar nur Eingriffe ab und noch keine Diagnostik – wer wissen will, welche Klinik sich für eine Magenspiegelung anbietet, wird im Klinikatlas nichts finden. Schmidt-Rixen vertraut aber darauf, dass wichtige Informationen über kurz oder lang ergänzt werden. Das Ministerium müsse den Klinikatlas allerdings mehr bewerben, sonst werde er von den Menschen nicht angenommen.

CDU-Politiker Sorge sagt, das Projekt habe bereits 450 000 Euro gekostet, trotzdem „dümpeln die Zahlen im niedrigen Bereich vor sich hin“. Die Weiße Liste der Bertelsmann-Stiftung, die bis März dieses Jahres über die Qualität von Kliniken in Deutschland informierte und die Steuerzahler nichts kostete, habe eine Million Besucher pro Monat gelockt.

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