Gesundheitspolitik:Lauterbach gründet noch mal eben eine neue Behörde

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Karl Lauterbach am Donnerstag vor dem Logo des neuen Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG). (Foto: Federico Gambarini/dpa)

In wenigen Tagen wird gewählt, Rot-Grün hat keine Mehrheit: Das hält Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht davon ab, seine Behörden umzubauen. Darüber staunt nicht nur die Opposition.

Von Bastian Brinkmann und Berit Uhlmann, Berlin/München

Wenige Tage vor der Bundestagswahl greift Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) tief in seine Behördenstrukturen ein. Dies geschieht per Ministererlass, für ein Gesetz hat die rot-grüne Regierung keine Mehrheit mehr. Lauterbach benennt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung um in Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit – und gründet so doch noch ein lange versprochenes neues Gesundheitsinstitut.

Die alte Bundeszentrale mit Sitz in Köln ist bekannt für ihre Plakatkampagnen, die für Kondome werben, über Organspende aufklären und vor zu viel Alkoholkonsum warnen. Das neue Bundesinstitut soll mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) zusammenarbeiten und beispielsweise auf Daten des RKI zugreifen können. Details regelt eine Kooperationsvereinbarung. Das neue Institut soll die Menschen darüber informieren, wie sie gesünder leben und Risiken für Krebs, Herzerkrankungen und Demenz verringern können.

Das Ziel des Ministers, auf den letzten Drücker: die Lebenserwartung in Deutschland steigern

Lauterbach sagte auf einer Pressekonferenz in Köln, das neue Bundesinstitut solle helfen, die Lebenserwartung in Deutschland zu steigern, indem Krankheiten besser vorgebeugt wird. Seit 20 Jahren sei sich die Gesundheitspolitik einig, dass hier mehr getan werden müsse, aber dann tue sich trotzdem nichts. Durch den Bruch der Ampelkoalition habe er das neue Bundesinstitut nicht mehr per Gesetz gründen können. „Jetzt hätte typischerweise wieder das passieren können, was wir immer gehabt haben: Wir schieben es noch mal eine Legislaturperiode, vielleicht kommt es dann nicht – und das wollte ich einfach nicht“, sagte Lauterbach. Daher nun der Schritt mit Ministererlass und Kooperationsvereinbarung.

Lauterbach erklärte am Donnerstag auch den rund 350 Mitarbeitern auf einer Dienstversammlung, warum ihr Haus umbenannt wird. Auf der Versammlung wurde deutlich, dass es in der Belegschaft Frust gibt, dass man nur kurzfristig informiert worden sei. Zudem fragen sich viele, was nach der Wahl passiert. Bleibt es dann dabei? Oder werden Lauterbachs Entscheidungen in letzter Minute wieder rückabgewickelt?

„Es ehrt Herrn Lauterbach, dass er viel bewirken wollte“, sagt eine Landesministerin

Nur gut eine Woche vor einer Bundestagswahl eine Bundesoberbehörde so umzubauen, ist ungewöhnlich. Aus der Unionsfraktion hieß es, das Vorgehen sei in dieser Form einmalig. Auch Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU)  kritisiert Lauterbach. „Es ist sehr durchschaubar, dass der Bundesgesundheitsminister nun auf den letzten Metern vor der Bundestagswahl noch per Erlass versucht, seine Ideen von oben herab durchzudrücken“, sagte Gerlach der Süddeutschen Zeitung. „Es besteht die Gefahr, dass in so einem Verfahren wichtige Aspekte und Prozesse auf der Strecke bleiben. Es ehrt Herrn Lauterbach, dass er viel bewirken wollte – aber er muss anerkennen, dass er in seiner Amtszeit nur wenig geschafft hat.“ Gerlach sagte, sie setze jetzt darauf, dass die nächste Bundesregierung eine durchdachte und langfristig tragfähige Umstrukturierung im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf den Weg bringe.

Neben Lauterbach Johannes Nießen, Kommissarischer Leiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Mitte), und Lars Schaade, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI). (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Lauterbach ist gerade selbst im Wahlkampf. Der SPD-Politiker bemüht sich um ein Direktmandat, sein Wahlkreis umfasst den Kölner Nordosten und Leverkusen. Über die SPD-Landesliste in Nordrhein-Westfalen ist er nicht abgesichert. Seine Bilanz als Gesundheitsminister ist aus seiner Sicht ein Argument, ihn wieder in den Bundestag zu wählen. Wegen des neuen Wahlrechts muss Lauterbach den Wahlkreis im Zweifel deutlich gewinnen.

Dass Deutschland ein neues Institut für öffentliche Gesundheit bekommen sollte, gehörte zu den Überraschungen im Koalitionsvertrag der Ampel. Experten reagierten nach anfänglichem Staunen aufgeschlossen, denn für sie ist unstrittig, dass der historisch eher schwache Bereich der öffentlichen Gesundheit gestärkt und besser vernetzt werden sollte. Fachverbände legten daher Vorschläge zur Ausgestaltung eines solchen Instituts vor, mussten aber erleben, dass Lauterbach darauf nicht reagierte. Am Ende überraschte er die Fachwelt mit einem Konzept, das den Fokus auf Aufklärung und medizinische Vorsorgemaßnahmen für ausgewählte Krankheiten legte. Beides wird der Bandbreite der modernen Gesundheitsfürsorge nicht gerecht, wie 19 Fachgesellschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme kritisierten.

„So kurz vor einer neuen Regierungsbildung ist wenig Aufbruchstimmung zu erwarten.“

Public Health, wie die Fachdisziplin auch genannt wird, erstreckt sich nach Ansicht ihrer Vertreter tief in alle Lebens- und Politikbereiche. Eine der Kernideen ist, dass politische Entscheidungen etwa auch zu Straßenbau, Klimaschutzmaßnahmen und Großereignissen immer auch auf ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung geprüft werden. Diesen Ansatz hätte ein starkes, unabhängiges Institut verfolgen können, was allerdings in Lauterbachs ursprünglichem Konzept nicht vorkam.

Große Irritationen löste zudem aus, dass Lauterbachs erste Planungen als Zerschlagung des Robert-Koch-Instituts verstanden wurden. Das RKI hätte demnach nur noch den Bereich der Infektionskrankheiten betreut, während die Zuständigkeit für die nicht übertragbaren Leiden inklusive einer größeren Zahl von Beschäftigten an das neue Institut hätte übergehen sollen. Eine solche Trennung wurde als künstlich und eine Bedrohung für den Infektionsschutz empfunden.

Vor diesem Hintergrund ist man am RKI erleichtert, dass eine solche Aufspaltung zumindest fürs Erste abgewendet scheint. Sie kann nicht per Erlass durchgesetzt werden. Dennoch ist die Stimmung im Haus nicht überall rosig. Lauterbach schrieb vor wenigen Tagen in einem Brief an das RKI, dass „derzeit organisatorische und personelle Änderungen geprüft, vorbereitet und mit den Gremien final abgestimmt werden“. Das Schreiben liegt der SZ vor. Der Personalrat des RKI widerspricht dem vehement. Die Personalvertretungen seien überhaupt erst durch den Brief des Ministers von den Plänen informiert wurde. Eine „Abstimmung oder gar finale Abstimmung“ sei trotz mehrfacher Aufforderung des Personalrats noch nicht einmal begonnen worden.

Auch aus der Public-Health-Community kommen eher zwiespältige Reaktionen. Eine engere Kooperation des neuen Instituts und des RKI sei grundsätzlich zu begrüßen, kommentiert die Deutsche Gesellschaft für Public Health auf SZ-Anfrage. Doch bleibe momentan offen, „wie das Bundesinstitut umfassend zur Stärkung von Public Health in Deutschland beitragen wird. So kurz vor einer neuen Regierungsbildung ist wenig Aufbruchstimmung zu erwarten, ganz zu schweigen von substanzieller Finanzierung“.

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