Lauschaffäre:Falsches Spiel unter Freunden

Der amerikanische Geheimdienst NSA hat offenbar auch überraschend viele deutsche Unternehmen abgehört - mit unfreiwilliger Hilfe des BND.

Von Thorsten Denkler

Das Urteil des Sonderbeauftragten Kurt Graulich fällt deutlich aus: In der Zusammenarbeit des amerikanischen Geheimdienstes NSA mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) hat es "qualitativ gravierende Verstöße durch die NSA" gegeben.

Graulich ist jener ehemalige Verwaltungsrichter, der über den Sommer im Auftrag der Bundesregierung eine Liste mit fast 40 000 faulen Suchbegriffen durchforstet hat, die die National Security Agency auf Analyserechnern des BND einsetzen wollte. Oder eingesetzt hat. Ganz genau lässt sich das auch nach der Lektüre des 262 Seiten starken Berichts, den Graulich jetzt fertiggestellt hat, nicht sagen. Drei Versionen gibt es davon. Eine ist für die Öffentlichkeit bestimmt und kann auf den Seiten des Bundestags heruntergeladen werden. Eine ist gut 100 Seiten länger und streng geheim. Eine Dritte ist nur für das Bundeskanzleramt gedacht.

Der Bericht bestätigt vor allem, was viele längst geahnt haben, nachdem der BND im März wegen der Selektoren Alarm geschlagen hatte: Die NSA hat dem BND E-Mail-Adressen und Telefonnummern zu europäischen Unternehmen wie EADS und Eurocopter - beide gehören heute zum Airbus-Konzern - sowie europäischen Institutionen untergejubelt. Womöglich könnten auch deutsche Personen betroffen gewesen sein.

All das erhärtet der Bericht jetzt. Die NSA wollte die BND-Datenbanken offenbar explizit nach deutschen Zielen durchstöbern. Von den 39 082 Selektoren zielten 16 Prozent auf Telekommunikationsteilnehmer in Deutschland. Selektoren zu deutschen Unternehmen fänden sich in "überraschend großen Zahlen" auf der untersuchten Liste. Das ist besonders pikant, weil es dem BND ausdrücklich verboten ist, Deutsche auszuspähen. Schon gar nicht innerhalb Deutschlands.

Radarkuppeln stehen am Dienstag 02 06 2015 in Bad Aibling in der Naehe von Muenchen

Die Abhörantennen des BND im oberbayerischen Bad Aibling belauschten offenbar auch deutsche Unternehmen - auf Wunsch des US-Geheimdienstes NSA.

(Foto: imago/CommonLens)

Noch eklatanter sei das Fehlverhalten der NSA in Bezug auf ein gemeinsames Abkommen, dem Memorandum of Agreement. Das haben NSA und BND 2002 nach den New Yorker Anschlägen vom 11. September 2001 geschlossen. Darin steht auch, dass deutsche Interessen gewahrt bleiben müssen. Die NSA hat das offenbar wenig interessiert - sie hat fleißig versucht, europäische Ziel-Selektoren auf die BND-Analyserechner zu schleusen.

Fast 70 Prozent der aussortierten Selektoren hätten Regierungsstellen von EU-Ländern betroffen. Zum Teil seien die "E-Mail-Adressen ganzer Bürostäbe europäischer Regierungen" als Selektoren abgelegt worden. Betroffen ist zudem die deutsche Wirtschaft. Graulich fand 52 Rufnummern von EADS und 22 von Eurocopter. Auf der Liste befinde sich "eine ganze Anzahl" von Suchbegriffen, "die auf wirtschaftlich tätige Unternehmen mit Sitz in Deutschland oder deutschem Ursprung gerichtet waren". Im Fadenkreuz der NSA standen auch Spezialfirmen für "Tunnelbau oder für gehärtete Bauwerke".

Die Liste mit den 39 000 faulen Suchbegriffen der NSA ist zwischen 2005 und März 2015 entstanden. Allerdings war im BND lange weitgehend unbekannt, was die NSA da treibt. Erst im März 2015 soll die Spitze des Hauses und des Bundeskanzleramtes die Information erreicht haben, dass die NSA ein falsches Spiel mit dem BND gespielt haben könnte. Erst ein gezielter Beweisantrag aus dem NSA-Untersuchungsausschuss hat zu umfangreichen Recherchen im BND geführt.

Die Opposition würde die Liste der Späh-Ziele gerne selber einsehen

Dem Bericht zufolge wurden zwar die meisten dieser Suchbegriffe aussortiert, bevor sie in die BND-Überwachungssysteme eingespeist wurden. Manche aber waren aktiv - einige nur sieben, andere aber sogar länger als 100 Tage.

Ob NSA oder BND deutsches Recht gebrochen haben, beantwortet Graulich nicht. Allerdings sei das Verhalten der NSA "bündnispolitisch prekär". Am kommenden Donnerstag wird er als Sachverständiger vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags auftreten.

Die Bundesregierung erklärt zu dem Bericht kaum Neues. Sie will etwa das geheime Auftragsprofil der Bundesregierung für den BND überarbeiten. Und strebt eine "klarstellende gesetzliche Regelung" für den BND an. Das hat sie bereits vor einem halben Jahr ähnlich formuliert.

Die Opposition gewinnt aus dem Bericht kaum neue Erkenntnisse, wie die Obleute der Linken und der Grünen im NSA-Ausschuss, Martina Renner und Konstantin von Notz erklärten. Beide bestehen darauf, die Liste und darüber hinaus die etwa 14 Millionen weiteren NSA-Selektoren selbst einsehen und prüfen zu können.

Das Misstrauen ist nachvollziehbar. Graulich hat etwa vermieden zu sagen, ob Selektoren, die auf Deutsche gezielt haben, auf den BND-Rechnern tatsächlich aktiv waren - und wenn ja, wie viele. Ohne diese Angaben aber lässt die Frage nach dem Rechtsbruch gar nicht beantworten.

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