Die Inselgruppe Saint-Pierre und Miquelon ist so klein, ein paar Pünktchen nur auf der Weltkarte, dass sie es nicht einmal auf die große Wetterkarte des französischen Fernsehens schafft. Obschon sie natürlich unbedingt da hingehören würde. Jetzt mehr denn je, nicht nur wegen ihres Wetters, aber auch deshalb.
Saint-Pierre-et-Miquelon ist ein französisches Überseegebiet 20 Kilometer vor der kanadischen Atlantikküste, das letzte Überbleibsel kolonialer Besitztümer in jener Ecke. 242 Quadratkilometer insgesamt, etwa 5800 Einwohner. Sie leben vom Fischen, vor allem Kabeljau, und von einem bisschen Tourismus. Saint-Pierre und Miquelon gehört nicht zum Schengen-Raum, aber sonst ist alles gleich: Sie haben da den Euro, sie sind rundum europäische Bürger.
Strafkolonien sind ein alter Traum der extremen Rechten
Wenn der Archipel nun plötzlich ein politisches Thema geworden ist in der Metropole, wie die Franzosen Festlandfrankreich noch immer nennen, dann liegt das an Laurent Wauquiez, dem Fraktionschef der Regierungspartei Les Républicains. Wauquiez, muss man wissen, würde gern Präsident der Partei werden. Die internen Wahlen stehen kurz bevor, seine Chancen stehen nicht so gut. Favorit ist sein Widersacher, Innenminister Bruno Retailleau. Und darum muss Wauquiez schon laut sein, dass man ihn hört. Aber so?
In einem Interview im JD News, einer Beilage der mittlerweile sehr rechten Sonntagszeitung Journal du Dimanche, sagte Wauquiez, Frankreich sollte Einwanderer, die das Land verlassen müssten und doch nicht gehen, nach Saint-Pierre und Miquelon abschieben und sie dort einsperren. Seine Überlegung geht so: „Im Jahresdurchschnitt ist es dort fünf Grad kalt, an 146 Tagen regnet oder schneit es“, sagte Wauquiez. Das würde wohl alle, die sich weigerten, Frankreich zu verlassen und in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, schon zur Räson bringen. „Ihr wollt nicht gehen? Okay, dann bekommt ihr einen Einfachflug nach Saint-Pierre und Miquelon.“ JD News machte daraus seine Titelseite, und das ist kein Wunder.
Die Wiedereinführung von Strafkolonien, des forcierten Exils, der Verbannung – das ist ein alter Traum der extremen Rechten, nicht nur in Frankreich. Ein berühmtes sogenanntes bagne errichtete Napoleon in Cayenne, dem Hauptort von Französisch-Guayana in Südamerika, 1946 wurde es aufgelöst. In der kollektiven Erinnerung klingt das „Bagne de Cayenne“ noch nach. Nun also soll es Saint-Pierre und Miquelon sein, ganz anderes Klima.
„Saint-Pierre und Miquelon, das ist Frankreich – und kein Gefängnis.“
Wauquiez’ Idee empörte fast alle, zunächst aber die Menschen auf dem Archipel und deren Vertreter im Parlament, den Abgeordneten Stéphane Lenormand. „Was für eine Verachtung für die Menschen unserer Inselgruppe und unserer Geschichte!“, sagte Lenormand. Man lasse sich doch nicht behandeln, als wäre man Franzosen zweiter Klasse.
Ganz ähnlich sieht es Manuel Valls, der Minister für Übersee. „Saint-Pierre und Miquelon, das ist Frankreich – und kein Gefängnis“, sagte Valls. Kein Gebiet des Landes habe es verdient, zum Verbannungsort stilisiert zu werden. Die Methode des Zwangsexils sei ein kolonialer Reflex gewesen. „Zum Glück sind die Zeiten des ‚Bagne de Cayenne‘ schon lange vorbei.“ Sicher?
Der Gedankengang erinnert ein bisschen an Donald Trump, der Häftlinge in einen Knast in El Salvador auslagern lässt, mit Ketten an den Füßen. Ein bisschen auch an Italien, das Migranten in albanische Lager bringt. Mit dem Unterschied eben, dass Saint-Pierre und Miquelon Frankreich ist.
So fühlte sich nun sogar Marine Le Pen gedrängt, in die Debatte einzugreifen – eine Form von Eskapismus nach ihrer Verurteilung wegen der Veruntreuung europäischer Millionen. Kaum war das Interview publik, schrieb die Chefin der extremen Rechten auf X: „Der Platz der Leute, die ausgewiesen werden sollen, ist in deren Heimat und sicher nicht auf nationalem Boden.“
Aus Wauquiez’ Idee wird wohl nie etwas, das lässt sich schon sagen. Aber Saint-Pierre und Miquelon ist mal Thema in Paris, das kommt nicht oft vor. Die Wahlchancen von Laurent Wauquiez sind damit eher nicht gestiegen, weder für die Wahl zum Parteipräsidenten und noch weniger für die zum Präsidenten der Republik.