Lateinamerika:Vor der zweiten Welle

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Kerzen vor der Basilika der Jungfrau von Guadalupe in Mexiko-Stadt. Sie muss in diesem Jahr geschlossen bleiben. (Foto: Hector Vivas/Getty Images)

In Lateinamerika hatte die Kurve gerade erst zu sinken begonnen, da steigen die Fallzahlen schon wieder. Viele Menschen haben Zweifel, dass die Regierungen in der Lage sind, Massenimpfungen zu organisieren.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Seit nunmehr fast 500 Jahren hilft die Jungfrau von Guadalupe gläubigen Katholiken in Krankheit, Armut und Not. In ganz Lateinamerika wird die Marienerscheinung darum verehrt. Jedes Jahr am 12. Dezember pilgern Anhänger zur riesigen Basilika, die in Mexiko-Stadt zu Ehren der Jungfrau errichtet wurde. Nun aber sind die Tore des Heiligtums verschlossen, Tausende Polizisten haben dazu weiträumig die Straßen abgesperrt. Die Menschen mögen zwar gerade dieses Jahr den Beistand der Jungfrau brauchen - während der Pandemie wäre eine Pilgerfahrt mit mehreren Millionen Teilnehmern aber selbst im tief katholischen Mexiko Wahnsinn.

Mehr als 113 000 Menschen sind in dem Land schon gestorben an dem Erreger, nur in Indien, Brasilien und den USA gab es noch mehr Tote. Ende Juli sah es dann immerhin so aus, als ob die Infektionskurve langsam sinken würde. Doch nun, ein halbes Jahr später, sind die Ansteckungszahlen so hoch wie nie zuvor. "Die Situation ist sehr beunruhigend", erklärte vor ein paar Tagen der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Und nicht nur Mexiko bereitet Grund zur Sorge: Auch in Brasilien steigen die Fallzahlen wieder, ebenso wie in vielen anderen Ländern der Region. In Paraguay werden die Betten in den Notaufnahmen knapp, und in Chiles Hauptstadt Santiago dürfen die Bewohner an Wochenenden ihre Häuser wieder nur mit Sondererlaubnis verlassen. "Wir machen uns große Sorgen", sagte der chilenische Gesundheitsminister Enrique Paris Anfang Dezember. Eine zweite Welle könnte "viel stärker sein als eine erste".

Das Virus hat die Region zwischen Feuerland und dem Rio Grande bisher so hart getroffen wie kaum eine andere auf der Welt. Obwohl in Lateinamerika nur acht Prozent der Weltbevölkerung leben, stammen 30 Prozent der Covid-19-Toten von hier. Das hat strukturelle Gründe: Die Armut ist groß, viele Menschen haben nur prekäre Jobs und können es sich nicht leisten daheimzubleiben. Eine Mitschuld trägt aber auch die Politik. So haben die Präsidenten von Mexiko und Brasilien, Andrés Manuel López Obrador und Jair Bolsonaro, das Virus lange verharmlost, strenge Maßnahmen abgelehnt und Lockerungen früh wieder durchgesetzt. So öffneten brasilianische Fitnessstudios und Schönheitssalons bereits wieder, als die Kurve der Infektionen noch überhaupt nicht abgeflacht war. Und auch wenn in Mexiko die Wallfahrt zur Jungfrau von Guadalupe abgesagt wurde, so sind Restaurants und Shoppingzentren dennoch voll.

Große Hoffnungen richten sich nun auf die Impfstoffe. Mexiko hat vergangene Woche den Einsatz des Mittels von Pfizer-Biontech genehmigt. Noch vor Jahresende will man mit ersten Immunisierungen beginnen. Allerdings fragen sich Experten, wie das Land und viele andere Staaten in der Region eine riesige Impfkampagne durchführen wollen, wenn die meisten Regierungen und Gesundheitssysteme schon an der Eindämmung des Virus gescheitert sind. Der Organisationsaufwand einer Massenimmunisierung ist immens, der technische Aufwand zum Teil ebenfalls. Manche Impfstoffe müssen auf Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt heruntergekühlt werden, Anlagen hierfür gibt es derzeit höchstens in den größeren Metropolen Lateinamerikas. Die Dosen müssen dazu auch noch bezahlt werden, dabei waren Länder wie Argentinien oder Ecuador schon vor dem Beginn der Pandemie faktisch pleite.

Allein Brasilien baut als eines der wenigen Länder der Region auf ein gut entwickeltes Impfsystem auf. Schon früher hat das Land immer wieder große Kampagnen mit Erfolg durchgeführt, davon könnte es auch bei der Bekämpfung des Coronavirus profitieren - vorausgesetzt allerdings, dass die Menschen auch bereit dazu sind, sich immunisieren zu lassen. Bei einer Umfrage des renommierten Datafolha-Instituts gaben rund ein Viertel der Brasilianer an, sich nicht impfen lassen zu wollen.

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