Lateinamerika:Risse im Bollwerk

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Flucht per Güterzug: Dieser Mann aus Honduras macht sich auf den Weg zur amerikanischen Grenze.

(Foto: Eliana Aponte/Reuters)

Die lateinamerikanischen Staaten haben den USA oft standgehalten. Ausgerechnet seit Trumps Amtsantritt ist von ihnen jedoch kaum Kritik zu hören, denn die Dominanz linker Regierungen ist vorbei.

Von Sebastian Schoepp

Etwa 50 Millionen Menschen lateinamerikanischer Herkunft leben in den USA, genau kennt die Zahl keiner, da viele keine Papiere haben. Seitdem Donald Trump im Wahlkampf die "bad hombres", "schlechte Männer", aus dem Süden zum Problem erklärt hat und den Bau einer Mauer zu Mexiko plant, sind Lateinamerikas Regierungen alarmiert. Sie müssten sich aufgerufen fühlen, mehr für ihre in Bedrängnis geratenen Landsleute zu tun, forderte Ecuadors Präsident Rafael Correa beim Gipfel der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac) in der Dominikanischen Republik. "Man muss eine klare gemeinsame Position formulieren." Doch damit hapert es.

Lateinamerikas Länder sind längst nicht mehr so einig wie vor wenigen Jahren, als die meisten links regiert wurden. Die ideologischen Differenzen wachsen; die Celac, einst von Venezuelas Präsident Hugo Chávez unter ausdrücklichem Ausschluss der USA initiiert, ist seit dessen Tod ein ziemlich zahnloser Tiger. Zwar betont der turnusmäßige Präsident der Celac, El Salvadors Außenminister Hugo Martínez, im Gespräch mit der SZ, ideologische Differenzen spielten innerhalb der Gemeinschaft keine Rolle, ja die Diversität sei eine der Stärken. Doch in der Praxis muss Trump derzeit keine massiven Proteste oder gar Maßnahmen aus dem südlichen Teil des Kontinents fürchten. Vorbei sind die Zeiten, da ein Hugo Chávez seinem US-Kollegen George W. Bush vor den Vereinten Nationen attestierte, er verbreite Schwefelgeruch.

Ideologische Differenzen spielen keine Rolle, sagt El Salvadors Außenminister Martínez der SZ

In der Tat ist das winzige El Salvador eines der letzten links regierten Länder Lateinamerikas, dort stellt die Partei der ehemaligen Guerilla den Präsidenten. Frühere Vorreiter wie Brasilien oder Argentinien haben rechtsliberale Regierungen, die mit sich selbst beschäftigt sind und von denen bisher über Trump wenig zu hören war, am wenigsten vom Milliardärskollegen Mauricio Macri aus Buenos Aires. Trump wiederum hat, abgesehen vom Thema Migration, bisher nicht das geringste Interesse an Lateinamerika erkennen lassen. Celac-Chef Hugo Martínez kann darin sogar etwas Gutes erkennen: die Dinge liefen eben rund in Lateinamerika, deshalb errege es international keine Aufmerksamkeit.

Ausgerechnet Martínez, Vertreter der Links-Regierung in San Salvador, obliegt es nun, ein klares Bekenntnis zum Freihandel zu formulieren, zu dem Lateinamerika sich - neben dem Klimaschutz - klar bekenne. Verkehrte Welt also, linke Latinos beschwören offene Handelswege in die USA, von denen sie abhängen, während in Washington ein rechtskonservativer Präsident eine protektionistische Politik forciert, die ihn gelegentlich aussehen lässt wie einen Schüler argentinischer Linksperonisten der 1950er-Jahre.

In sich ist die Celac stärker zerstritten als Martínez es einräumen will. Zum jüngsten Treffen reisten nur acht von 33 Präsidenten an, die schwächelnde Linke feierte noch mal ein Stelldichein, mit dem Kubaner Raúl Castro in der Mitte. Rafael Correa, dem zugetraut wurde, in die Chávez-Rolle als Latino-Lautsprecher zu schlüpfen, ist nur noch wenige Wochen Präsident Ecuadors; ob sein linker Wunschnachfolger die Stichwahl im April gewinnt, ist fraglich. Vor dem Hintergrund der Spaltung agiert jedes Land mehr oder minder für sich oder in regionalen Allianzen.

El Salvador nimmt in Mittelamerika eine Führungsrolle ein. Das Land ist von der Auswanderung in die USA besonders betroffen, Überweisungen emigrierter Bürger machen 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Um diesen zu helfen, geht die Regierung in San Salvador nun direkt auf einzelne US-Bundesstaaten und lokale Verwaltungen zu, Trumps Washington ignorieren sie eher. Erleichtert aber stellt Martínez fest, dass die Deportationen von Migranten im Januar und Februar nicht signifikant zugenommen hätten. "Vielleicht waren die Befürchtungen sogar etwas überdimensioniert", sagt der Minister.

Sein Land hat ein vitales Interesse daran, Massenrückführungen zu verhindern, solche hat es in der Vergangenheit gegeben, als Gang-Mitglieder und Straftäter in großer Zahl aus den USA in ein Land geschickt wurden, das viele der Deportierten kaum kannten. Die Perspektivlosigkeit im armen Mittelamerika Staat machte viele Ausgewiesene zu Kriminellen. El Salvador hatte zeitweise eine der höchsten Mordraten Lateinamerikas. Seit 2016 gibt es das Sicherheitsprogramm El Salvador Seguro mit Job- und Bildungsangeboten, das junge Menschen aus den Gangs holen soll. Um 60 Prozent sei die Mordrate seitdem zurückgegangen, sagt Martínez. Trotzdem sehen viele Mittelamerikaner allen Grund, in die USA auszuwandern. Trump erscheint ihnen als das eindeutig kleinere Übel.

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