Lateinamerika:Ein Korruptionsskandal, der ganz Lateinamerika erschüttert

Lateinamerika: Christus zum Geschenk: Eine Statue in Lima, Peru, gestiftet vom Baukonzern Odebrecht.

Christus zum Geschenk: Eine Statue in Lima, Peru, gestiftet vom Baukonzern Odebrecht.

(Foto: Cris Bouroncle/AFP)
  • In ganz Lateinamerika weitet sich ein Korruptionsskandal aus.
  • Im Zentrum steht der brasilianische Baukonzern Odebrecht, der Politiker in ganz Lateinamerika geschmiert haben soll.
  • Unter den Genannten sind Argentiniens Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner sowie die Präsidenten Kolumbiens und Panamas.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Wo ist Toledo? Zuletzt wurde Perus ehemaliger Staatspräsident (2001 bis 2006) in Paris gesehen. Dort hat Alejandro Toledo, 70, offenbar auch die Nachricht erhalten, dass er von Interpol gesucht wird. Ihm wird vorgeworfen, Bestechungsgeld in Höhe von 20 Millionen Dollar von der Firma Odebrecht angenommen zu haben.

Der brasilianische Baukonzern erkaufte sich damit offenbar den Zuschlag, um einen massiv überteuerten Abschnitt der Fernstraße Interoceánica zu bauen, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Der Fall ist der spektakulärste in einer ganzen Serie von Enthüllungen rund um den Odebrecht-Konzern. Toledo hat sich nämlich zur Flucht entschieden.

Seit Tagen entwickelt sich ein packender Suchkrimi, der in der halben Welt spielt. Am vergangenen Wochenende soll Toledo vergeblich versucht haben, in Israel unterzutauchen. Jetzt deutet vieles darauf hin, dass er sich in den USA versteckt. Toledo hat einen Wohnsitz in San Francisco und eine Gastprofessur an der Stanford-Uni. Die Regierung in Lima schrieb eine Belohnung von umgerechnet 30 000 Dollar aus. Präsident Pedro Pablo Kuczynski, ein ehemaliger Minister Toledos, bat seinen US-Kollegen Donald Trump um Amtshilfe.

Pipelines und WM-Stadien: Fast überall war das Unternehmen beteiligt

Die Sache zieht aber nicht nur in Peru Kreise, wo auch die Toledo-Nachfolger Alan García und Ollanta Humala unter dringendem Schmiergeldverdacht stehen. Gleich mehrere amtierende und frühere Staatspräsidenten aus Lateinamerika müssen zittern. Der Mann, den sie alle fürchten, heißt Marcelo Odebrecht.

Der 48-jährige Brasilianer galt einmal als einer der mächtigsten Unternehmer des Kontinents. Inzwischen scheint festzustehen, dass er auch einer der korruptesten war. Seit Juni 2015 sitzt der damalige Chef des Odebrecht-Konzerns im Gefängnis. Nachdem er zu 19 Jahren Haft verurteilt worden war, ließ er sich auf eine Kronzeugenregelung ein. Seine umfassende Aussage wurde in Brasilien zum Prozess zugelassen, bislang aber nicht veröffentlicht. Der zuständige Richter kam Anfang des Jahres bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Vieles deutet auf einen Unfall hin, die Verschwörungstheorien blühen trotzdem.

So oder so ist die Wahrheit kaum noch unter Verschluss zu halten. Nach und nach sickern Details durch. In brasilianischen Medien wird der Fall unter dem Titel "Die Zeugenaussage vom Weltuntergang" behandelt. Etwas übertrieben, aber das, was Odebrecht weiß, dürfte allemal die Sprengkraft haben, um Regierungen in der ganzen Region zu Fall zu bringen.

Die Firma Odebrecht wurde 1944 von Marcelos Großvater Norberto gegründet, einem Nachfahren deutscher Einwanderer. Heute beschäftigt sie 250 000 Angestellte in 28 Ländern. Über Jahrzehnte schien das eine brasilianische Erfolgsgeschichte zu sein. Odebrecht entwickelte sich zum dominierenden Baukonzern in Lateinamerika sowie in Teilen Afrikas.

Es gab kaum ein Großprojekt, an dem die Firma nicht beteiligt war: Straßen in Peru, Pipelines in Mexiko, Kraftwerke in Angola, WM-Stadien und Olympiasportstätten in Brasilien. Jetzt ahnt man auch, wie das funktionieren konnte: mit Bestechung höchster Kreise. Der Konzern unterhielt eine eigene Geheimabteilung für schwarze Kassen.

Der Skandal zieht Kreise in ganz Lateinamerika

Das ist schriftlich dokumentiert, seit Marcelo Odebrecht sowie mehr als 70 weitere ehemalige Top-Manager des Unternehmens mit internationalen Ermittlerteams zusammenarbeiten. Mit den Behörden in Brasilien, den USA und der Schweiz einigten sie sich auf die Strafzahlung von 3,5 Milliarden Dollar und legten eine Liste ihrer Spendenempfänger vor. Sie wurde vom US-Justizministerium veröffentlicht und ist nach Ländern aufgeschlüsselt; Namen von Personen werden nicht genannt.

Demnach hat Odebrecht in Lateinamerika knapp 750 Millionen Dollar Schmiergeld gezahlt. Das meiste floss nach Brasilien, gefolgt von Venezuela. Auch Peru, Kolumbien, Argentinien, Mexiko, Ecuador, Panama und die Dominikanische Republik stehen auf der Liste. Weitere 50 Millionen wurden in Angola und Mosambik verteilt.

Noch ist die Sache mit Vorsicht zu genießen, weil sich alle vorliegenden Indizien auf die Aussagen von Kriminellen stützen, die versuchen, ihre Haut zu retten. Gleichzeitig wird die anonyme Länderliste aus allen Richtungen mit Gerüchten und Namen angereichert. In höchste Erklärungsnot gerieten zuletzt etwa die Präsidenten von Panama und Kolumbien, Juan Carlos Varela und Juan Manuel Santos.

Varela wurde von dem inzwischen verhafteten Gründer des Offshore-Providers Mossack Fonseca, des Hauptdarstellers der Panama Papers, namentlich beschuldigt. Der Nobelpreisträger Santos wiederum von einem kolumbianischen Ex-Senator und Kronzeugen, der seine Aussage später aber revidierte. Beide Präsidenten streiten die Bestechungsvorwürfe vehement ab.

In Argentinien konzentrierte sich der Verdacht bisher vor allem auf die frühere Präsidentin Cristina Kirchner, zuletzt wurden aber auch engste Vertraute von Amtsinhaber Mauricio Macri öffentlich beschuldigt. Brasiliens Präsident Michel Temer dürfte genauso bangen wie seine Vorgänger Dilma Rousseff und Lula da Silva, die alle nach Medienberichten von Odebrecht genannt wurden.

Auch sie wehren sich gegen die Vorwürfe. Temer ist hinter den Kulissen offenbar bemüht, dass die Bombe, wenn sie schon platzen muss, mit einem großen Knall hochgeht. Was er nicht brauchen kann, ist der derzeitige Zustand, in dem fast täglich ein Bömbchen explodiert.

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