Streit um Westerwelle:FDP-Nachwuchs beklagt "Selbstzerfleischung"

Der Chef der Jungen Liberalen, Lasse Becker warnt davor, Westerwelle schon jetzt zu entmachten. Doch Becker sieht auch "kluge Köpfe", die den Vorsitzenden beerben könnten.

Oliver Das Gupta

Lasse Becker, Jahrgang 1983, ist Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis). Die Nachwuchsorganisation der FDP wählte den Hessen 2010 an ihre Spitze. Der studierte Volkswirt aus Kassel engagiert sich seit zehn Jahren in der FDP. Auf die Frage, ob er Guido Westerwelle derzeit für eine Wahlkampfveranstaltung einladen würde, sagt er ohne zu zögern "ja". Allerdings bezweifelt er, ob der vielbeschäftigte FDP-Chef und Außenminister die Zeit hätte für eine gemeinsame Veranstaltung im laufenden hessischen Kommunalwahlkampf - schließlich sei er nur Kreistagsabgeordneter im Landkreis Kassel.

Lasse Becker FDP Junge Liberale Julis

Lasse Becker ist seit 2010 Bundesvorsitzender der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale.

(Foto: picture alliance / dpa)

sueddeutsche.de: Herr Becker, in der FDP geht es derzeit drunter und drüber. Offen debattieren die Liberalen über einen Rückzug des Vorsitzenden Guido Westerwelle. Was erwarten Sie von seinem Auftritt beim traditionellen Parteitag in Stuttgart zu Dreikönig?

Lasse Becker: Eine mitreißende Rede, die motiviert, Emotionen zeigt und Selbstkritik nicht ausspart. Es wird sicherlich eine seiner wichtigsten Reden sein.

sueddeutsche.de: Westerwelle meldete sich inzwischen kämpferisch zu Wort. Allerdings meinen einige Liberale, er solle in Stuttgart seinen Verzicht auf den Vorsitz ankündigen. Was halten Sie davon?

Becker: Ich halte es nicht für sonderlich zielführend, mit einer lahmen Ente als Vorsitzenden in die Landtagswahlen zu gehen. Im kommenden Frühjahr haben wir einen Parteitag, bei dem die Diskussion über Inhalte und das Personal regulär ansteht. Das Vorfeld des Parteitags sollte die Partei für eine kritische Bestandsaufnahme bei allen Mitgliedern der Führungsspitze nutzen.

sueddeutsche.de: Der FDP-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz will nicht mit Guido Westerwelle auftreten und nennt ihn einen "Klotz am Bein", aus der ebenfalls wahlkämpfenden Südwest-FDP kommt sogar eine offene Rücktrittsforderung an den Vorsitzenden. Haben Sie Verständnis für diese Parteifreunde?

Becker: Genauso wie manche Aussagen von Guido Westerwelle nicht immer meiner Wortwahl entsprechen, sind auch manche Aussagen über ihn nicht meine Wortwahl. Es ist die legitime Entscheidung eines jeden Kandidaten, wie und mit wem er Wahlkampf machen möchte. Das müssen die Parteifreunde vor Ort entscheiden. Wobei man gerade in Rheinland-Pfalz auch selbstkritisch manche Details der eigenen Wahlkampfführung hinterfragen könnte. Aber es ist nicht meine Aufgabe als JuLi-Bundesvorsitzender in Wahlkampagnen hineinzukommentieren.

sueddeutsche.de: Guido Westerwelle gilt für viele seit der Debatte um "spätrömische Dekadenz" als politisch "verbrannt". Kann die FDP mit diesem Vorsitzenden noch Wahlen gewinnen?

Becker: Sicher hat die gesamte Parteispitze und damit auch Guido Westerwelle Fehler gemacht.

sueddeutsche.de: Können Sie ein Beispiel nennen?

Becker: Gerade wie man in den letzten Wochen im Umfeld von Wikileaks agiert hat, war alles andere als glücklich.

sueddeutsche.de: Sie spielen auf das Krisenmanagement im Fall Helmut Metzner an. Der bisherige Büroleiter von Guido Westerwelle lieferte den Amerikanern offenbar vertrauliche Informationen.

Becker: Die Parteiführung ist scheibchenweise an die Öffentlichkeit gegangen. Diese Strategie war, höflich gesprochen, suboptimal. Das habe ich den betreffenden Personen übrigens auch persönlich gesagt. Und im Übrigen: Über die deutsche Innenpolitik haben die US-Depeschen eigentlich nur Banales enthalten. Um zu erfahren, dass CSU-Chef Horst Seehofer unberechenbar ist, hätte ich nicht die amerikanische Botschaft gebraucht. Manche Depeschen haben mich sogar beruhigt: Dass die FDP in Sachen Swift so gekämpft hat, hat mich positiv überrascht.

sueddeutsche.de: Bei den Wählern scheint die FDP seit Monaten unten durch zu sein, Tendenz gleichbleibend. Im Februar und März stehen wichtige Wahlen an. Wie sollen sich die Liberalen bis dahin verhalten?

Becker: Sicherlich nicht nach dem Motto: "Augen zu und durch". Wir müssen die Augen weit auf machen, Fehler erkennen und abstellen. Nur: Dabei dürfen wir es nicht belassen. Wir müssen uns inhaltlich und thematisch breiter aufstellen. Aber bitte nicht eilig, sondern wohlüberlegt. Schnellschüsse bringen nichts.

"Ich hoffe, dass wir wieder inhaltlich hart streiten"

sueddeutsche.de: Zu welchem Zeitpunkt soll die angesprochene inhaltliche und thematische Verbreiterung stattfinden?

FDP-Präsidium - Westerwelle

Manche Liberale halten seine Tage als Parteichef für gezählt: Guido Westerwelle.

(Foto: dpa)

Becker: Beim Parteitag im Mai. Dort wird die FDP zeigen, mit welchen neuen Themen und neuen Botschaften sie etwas bewegen will. Diese Inhalte müssen wir dann auch glaubwürdig mit Köpfen versehen. Diese Verengung auf die Personaldebatte, wie wir sie nun teilweise erleben, führt uns nicht weiter. Ich warne vor Anflügen von Selbstzerfleischung.

sueddeutsche.de: Die Debatte um den Vorsitz ist aber jetzt schon virulent. Warum also warten bis Mai?

Becker: Weil der Parteitag das demokratisch legitimierte Gremium einer Partei ist. Dort soll diskutiert und dann entschieden werden. Alles soll auf den Tisch kommen. Kubicki hat die Angst, dass es kein Harmonieparteitag wird. Ich habe die Hoffnung, dass es kein solcher Parteitag wird. Und ich hoffe, dass wir uns wieder mal inhaltlich hart streiten. Dann soll man auch über Personen diskutieren - und darüber, wie man gute Arbeit für die Partei definiert.

sueddeutsche.de: Ist das Personal, das die Partei führen könnte, überhaupt vorhanden?

Becker: Kluge Köpfe in der FDP gibt es einige - auch solche, die Führungsaufgaben übernehmen können und neue Inhalte glaubwürdig verkörpern. Nicht umsonst haben der FDP viele Medienvertreter gerade bei den jüngeren Bundestagsabgeordneten erhebliches Potential bescheinigt.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von einem Sonderparteitag im Februar, wie ihn offenbar die hessische FDP anstrebt?

Becker: Ich bin auch Präsidiumsmitglied der hessischen FDP und bisher wurde in keiner Sitzung der FDP Hessen die Forderung nach einem Sonderparteitag beschlossen. Ganz im Gegenteil: Bei unserem letzten Landesparteitag wurde ein Antrag, der einen Bundesparteitag forderte, so geändert, dass man Fehler analysiert hat. Diese Fehler müssen jetzt dringend abgestellt werden.

sueddeutsche.de: Der Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki hat in dieser Situation "Mitleid mit dem Menschen Westerwelle" - Sie auch?

Becker: Ich denke nicht, dass Guido Westerwelle Mitleid haben will - weder von Wolfgang Kubicki noch von mir. Wobei jeder Einzelne innerhalb und außerhalb der Politik sich immer wieder vor Augen führen sollte, dass Politiker auch Menschen sind und Politik nicht alles ist.

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