Süddeutsche Zeitung

Arbeiter aus Osteuropa:"Rumänen halten die deutsche Wirtschaft am Laufen"

Sevghin Mayr berät rumänische Arbeitsmigranten. Ein Gespräch über unwürdige Bedingungen, Arbeitgeber, die sich wie Gutsherren benehmen, und Billigfleisch.

Interview von Christoph Koopmann

Wegen des Corona-Ausbruchs bei Tönnies wird viel über Rumänen gesprochen - aber zu wenig mit ihnen, sagt Sevghin Mayr, 50, die in einem Verein und einer Beratungsstelle rumänische Migranten unterstützt.

SZ: Armin Laschet hat gesagt, der Fall Tönnies habe "nix" mit den Lockerungen zu tun, "weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt". Was halten Sie von dieser Aussage?

Sevghin Mayr: Ich selbst bin in Rumänien geboren und aufgewachsen. Mir tut es weh, wenn so pauschal über uns gesprochen wird. So etwas rutscht nicht einfach so raus, das hat einen Ursprung in tief sitzenden Vorurteilen.

Welche Vorurteile sind das?

Viele Menschen haben Angst, die Rumänen würden ihnen die Arbeit wegnehmen und sich eh nicht integrieren, weil sie arm und ungebildet seien. Die Gefahr einer Parallelwelt wird ignoriert, denn wichtig ist, den Wohlstand der Deutschen zu sichern. Bevor der deutsche Arbeitsmarkt 2014 vollständig für Rumänen geöffnet wurde, hat die CSU eine Kampagne gegen die sogenannte "Armutsmigration" aus den östlichen EU-Staaten gestartet: "Wer betrügt, der fliegt." Das war fatal für das Bild der Osteuropäer in Deutschland. Dabei kennen die meisten Leute Rumänien, die Menschen und ihre Kultur gar nicht. Die Vorbehalte gibt es immer noch.

Wird sich das durch die aktuellen Vorkommnisse noch verschlimmern?

Aussagen wie die von Herrn Laschet reduzieren alle Rumänen auf eine negative Zuschreibung. Das verstärkt Diskriminierung. Auf der anderen Seite hoffe ich aber, dass sich wenigstens die Arbeits- und Lebensbedingungen durch die aktuelle Diskussion verbessern. Diese katastrophalen Zustände geraten endlich ins Bewusstsein der Menschen. Vielleicht überlegt der ein oder andere jetzt zweimal, ob er wirklich das Billigfleisch kauft.

Als Beraterin für Arbeitsmigranten kennen Sie die Bedingungen in den Betrieben gut. Was passiert dort?

Viele Arbeitgeber verhalten sich wie Gutsherren und denken, sie können mit den Menschen aus Osteuropa machen, was sie wollen. Standards für Sicherheit und Hygiene werden oft ignoriert, das sieht man ja an den Ausbrüchen. Die Menschen hausen in engen und dreckigen Baracken, für die sie auch noch mehrere Hundert Euro Miete zahlen müssen. Wenn jemand krank wird, ersetzt man ihn einfach durch den nächsten. Das geht, weil die Arbeitskräfte bei Subunternehmern angestellt sind. Zur Belohnung gibt es keinen Dank und wenig Geld. Die Arbeitgeber behandeln sie wie Menschen zweiter Klasse, denn wer sich nicht wehren kann, wird ausgebeutet.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will Werkverträge und Leiharbeit zumindest in der Fleischindustrie nun verbieten.

Das finde ich toll, es gleicht fast einer Revolution in dieser Branche. Zum ersten Mal ein richtiger Ansatz, schon längst bekannte Probleme anzugehen. Dadurch werden die Schlachthofbetriebe gezwungen, Verantwortung zu übernehmen für die Arbeits- und Lebensbedingungen. Trotzdem braucht es auch schärfere Kontrollen und Sanktionen für alle, die schlecht mit ihren Beschäftigten umgehen.

Wie ist die Stimmung in der rumänischen Gemeinschaft in Deutschland gerade?

Sehr angespannt. Viele sind sauer darüber, wie man mit ihnen umgeht, gerade in dieser Krise. Sie sind mit großen Hoffnungen hierhergekommen, in ein Land, das sie für fortschrittlich hielten. Von dem sie dachten, dass hier alles korrekt läuft. Sie wurden schwer enttäuscht. Dabei haben sie nicht nur das Recht, hier zu arbeiten, sondern auch, korrekt behandelt zu werden.

Unter den 750 000 Rumänen, die in Deutschland leben, sind auch viele Höherqualifizierte. Aber sie werden kaum wahrgenommen.

Viele wissen das nicht. Aber egal, welchen Lebensbereich man sich anschaut - Rumänen halten die deutsche Wirtschaft am Laufen. Da gibt es nicht nur die Schlachthofarbeiter, Spargelstecher und Paketfahrer, sondern auch Ärzte, Ingenieure und IT-Spezialisten. Wir arbeiten hier, zahlen Steuern und engagieren uns.

Trotzdem tut man sich in Deutschland offenbar schwer, rumänischstämmige Menschen als Teil der Gesellschaft zu sehen.

Dabei dürfen Rumänen als EU-Bürger hier ja wählen, zumindest bei Kommunalwahlen. Viele haben inzwischen den deutschen Pass und können auch bei Land- und Bundestagswahlen abstimmen. Mancher Politiker müsste sich das mal klarmachen.

Was müsste denn passieren, um das Bild der Rumänen dauerhaft zu verbessern?

Wir müssen mehr Lobby für die rumänische Gemeinschaft machen, sonst ist das nicht zu schaffen. Als kleiner Verein in München können wir mit Informationen, Beratung und Kulturangeboten einen Beitrag leisten. Um echte Integration und Verständigung zu schaffen, müssen sich alle Seiten bemühen, auch die Rumänen selbst. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2020
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