Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:In der Gunst der Stunde

NRW-Minister Hendrik Wüst gilt als Favorit für die Nachfolge von Armin Laschet in Düsseldorf - die eigenartige Landesverfassung beschert ihm gleich zwei Vorteile.

Von Christian Wernicke

2021 ist schon jetzt ein Schicksalsjahr im Leben des Hendrik Wüst. Denn Ende März ist der 45-jährige CDU-Politiker so stolz wie recht spät Vater geworden: Philippa, kurz Pippa, heißt die Tochter, und ihre Geburt, das hat der NRW-Verkehrsminister schon während der Schwangerschaft seiner Frau immer wieder betont, sei ihm "allemal wichtiger als irgendwelche Spekulationen um meine Person".

Egal, seit Dienstag kochen die Gerüchte nun wieder hoch. Schuld daran ist ein Duzfreund von Wüst aus alten, gemeinsamen Zeiten bei der Jungen Union: Markus Söder. Als der Franke kurz nach 12 Uhr mittags einräumt, dass im Duell um die Kanzlerkandidatur nunmehr "die Würfel gefallen" seien, da erfährt dies der Westfale Wüst in Düsseldorf per Livestream auf dem Handy. Da ahnte er, dass es jetzt wieder losgehen würde, das Geraune um Laschets Nachfolge, das Gerede von Hendrik Wüst, dem Kronprinzen.

Wird das so sein anno 2021: im Frühjahr Vater, im Herbst Landesvater? Wüst findet dazu am Dienstag ein paar Worte, ohne viel zu sagen. Klar sei nur, dass man die Personalfragen im Land allemal besser lösen müsse als im Bund: "Wir in Nordrhein-Westfalen werden ein solches Theater wie in den vergangenen Tagen in Berlin nicht wiederholen." Es gebe da ja "eine Menge guter Leute" in der NRW-CDU, "das ist ein großer Schatz". Und wer wird's? Das werde man "freundschaftlich klären", sobald es anstehe. Nicht jetzt.

Der Münsterländer Wüst ist Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung in NRW. Laschet zitiert seinen Namen, wann immer er den rechten Flügel seines Landeskabinetts identifizieren will. Laschets Liebling ist er konservative Wüst mithin nicht. Er hat als Verkehrsminister einen soliden Job gemacht - und eine Sonderregel in der NRW-Verfassung verschafft ihm 13 Monate vor der nächsten Landtagswahl einen vorentscheidenden Startvorteil. Der Landtag, so heißt es in Artikel 52, habe den Ministerpräsidenten "aus seiner Mitte" zu wählen. Der Regierungschef muss also selbst Abgeordneter sein. Wüst hat ein Landtagsmandat, seine meisten CDU-Ministerkollegen haben keins. Auch nicht Heimatministerin Ina Scharrenbach, eine potenzielle Konkurrentin beim nun absehbaren Generationswechsel in der NRW-CDU.

Der Personalwechsel wird sich noch Monate hinziehen. In einem ersten Schritt will der Bundesvorsitzende Laschet den CDU-Landesvorsitz abgeben. Dies dürfte, so Corona will, frühestens bei einem Präsenzparteitag im Juni geschehen (ein digitaler Parteitag würde angeblich zwei Millionen Euro verschlingen). In CDU-Kreisen gilt als ausgemacht, dass Laschets Wegbegleiter und Innenminister Herbert Reul dieses Amt übernimmt. Der alte Kämpe und frühere Generalsekretär der NRW-CDU soll die Partei in den Wahlkampf 2022 führen. Und er soll verhindern, dass bei der Kür des Vorsitzenden des mitgliederstärksten CDU-Landesverbandes schon eine Vorentscheidung fällt im Kampf um die eigentliche Macht - das Amt des CDU-Spitzenkandidaten und künftigen Ministerpräsidenten. Und wer weiß: "Vielleicht verliert Armin die Bundestagswahl im September, und er kommt zurück nach Düsseldorf", sagt ein Abgeordneter, der - selbstverständlich - anonym bleiben will.

Wüst, so ist auf den Korridoren des Düsseldorfer Landtags zu hören, hat sich mit dieser Vertagung arrangiert. Er kann warten, denn er weiß: Nordrhein-Westfalens Verfassung beschert ihm noch einen zweiten Vorteil. Weil Artikel 64, Absatz 4 es jedem Mitglied der Landesregierung verbietet, dem Bundestag oder der Bundesregierung anzugehören, müsste die Wahl des neuen Ministerpräsidenten spätestens Ende Oktober erfolgen. Amtsinhaber Laschet hat wissen lassen, er strebe als Kanzlerkandidat auch nach einem Sitz im Bundestag. Da nun wiederum das Grundgesetz postuliert, dass sich der neue Bundestag spätestens 30 Tage nach der Wahl des Parlaments (26. September) konstituieren muss, wird sich Laschet spätestens am 26. Oktober 2021 entscheiden müssen: Berlin oder Düsseldorf?

Laschet, so das Kalkül am Rhein, wird an der Spree bleiben. Im Ergebnis erzwingen dann höchste Rechtsnormen eine Wachablösung in der Düsseldorfer Staatskanzlei spätestens am 27. Oktober 2021. Das zerstört die letzten Wunschträume von CDU-Aspiranten, die heimlich auf lange Koalitionsverhandlungen in Berlin und einen Abgang Laschets erst im Januar oder Februar 2022 gehofft hatten. Und die dann bei der Landtagswahl im Mai 2022 das vielleicht nötige Mandat als NRW-Abgeordnete hätten ergattern können. Zwei, drei Monate Übergangsphase ohne Regierungschef, das schien - wenigstens theoretisch - noch möglich. Aber sieben Monate Vakuum - das geht nicht!

Die Zeit drängt, zumal die CDU gern mit einem Spitzenkandidaten mit Amtsbonus in den Wahlkampf ziehen will. Was bedeutet: Vorteil Wüst.

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