Als Lars Klingbeil vor wenigen Tagen das Amt des Bundesfinanzministers übernahm, gab sein Vorvorgänger Christian Lindner ihm einen Tipp mit auf den Weg. Das häufigste Wort, das Klingbeil in seiner neuen Rolle werde gebrauchen müssen, sei „nein“, sagte er. Das konnte der neue Vizekanzler schon einüben, zumindest in der ersten Kabinettssitzung, bei der viele mit am Tisch saßen, die wie Klingbeil neu dabei sind.
Es gehört zur Dynamik jeder Bundesregierung, dass die Chefs der Fachressorts stets mehr Geld für ihr jeweiliges Politikfeld einfordern, als eigentlich zur Verfügung steht. Wenn der Finanzminister dann auch noch Hunderte Milliarden Euro zusätzlich an neuen Schulden aufnehmen kann, wie Klingbeil das nach der Lockerung der Schuldenbremse darf, liegt es nah zu glauben, dass auf einmal sehr viel Geld da ist. Als Hüter des neuen Schatzes ist es jetzt Klingbeil, der das seinen Kabinettskollegen ausreden muss.
Alle sind erleichtert, dass die Zeit der„ schwarzen Null“ vorbei ist
Aber der Minister muss auch selbst werben – bei Menschen, die ebenfalls gut darin sind, Nein zu sagen. An diesem Montag und Dienstag ist er zum ersten Mal nach Brüssel gereist, erst zur Euro-Gruppe, dann zum EU-Finanzministertreffen. Dort traf er auf die hohen Erwartungen der europäischen Partner an die neue Bundesregierung, die eine konsistente EU-Politik versprochen hat und mit der Unzuverlässigkeit der Ampelkoalition aufräumen will. Er brachte das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen zur Sanierung der Infrastruktur und die Aufrüstungspläne mit und war zu Beginn der Euro-Gruppen-Sitzung eingeladen, das genauer zu erklären.
Er steuerte gleich auf eine Konfrontation mit der EU-Kommission zu, der Wächterin über die Finanzen der Mitgliedstaaten. Denn was Berlin vorhat, nehmen die Behörde und Klingbeils Kollegen zwar mit Erleichterung wahr: Endlich ist die Zeit der „schwarzen Null“ vorbei, schafft Deutschland Spielraum für mehr Investitionen. Berlin dürfte allerdings absehbar mit den europäischen Defizitregeln kollidieren. Was zu der Frage führt, ob der Minister von der EU-Kommission schon ein Nein zu hören bekommt – und wenn ja, wie laut es ausfällt. Was sich sagen lässt: Das zu vermeiden, wird ein finanzpolitisches Kunststück.
Öffentlich hält sich Klingbeil mit Aussagen zum Konflikt mit dem erst 2024 reformierten Gesetz zurück. Es waren ausgerechnet Lindner und die Ampel, die auf strenge Vorgaben zur Kontrolle der Haushaltsdefizite und zum Abbau der Schulden beharrt hatten. Er bitte um Verständnis, sagte Klingbeil am Montagnachmittag: „Ich bin jetzt den fünften Tag im Amt, wir machen uns sofort daran, den Haushalt für 2025 aufzustellen.“ Im Juni soll auch der Kabinettsentwurf für den Haushalt 2026 fertig sein, der dann idealerweise schon auf das neue Nato-Ziel für die Verteidigungsausgaben abgestimmt ist. „Dann können diese Fragen auch beantwortet werden“, sagte Klingbeil. Und man wird sehen können, wie viel Geld gleich zu Beginn aus dem neuen Sondertopf fließen soll – und inwiefern Deutschland das Defizitkriterium von maximal drei Prozent Neuverschuldung pro Jahr reißen wird.
Sollten die deutschen Ausgabenpläne im Widerspruch zur EU-Schuldenbremse stehen, werden es Klingbeil und auch Bundeskanzler Friedrich Merz wohl darauf ankommen lassen. Schon bei seiner Amtseinführung hatte Klingbeil deutlich gemacht, dass er am Ziel, erheblich mehr Mittel in die Infrastruktur und die Sicherheit der Bundesrepublik zu stecken, keine Abstriche machen und sich auch von den europäischen Fiskalregeln nicht aufhalten lassen werde. Es sei sein „Anspruch, nicht nur Finanzminister, sondern auch Investitionsminister dieses Landes zu sein“, auch wenn dies die Aufnahme zusätzlicher Schulden bedeute, sagte er. „Wir haben die 500 Milliarden Sondervermögen, wir haben die Bereichsausnahme für die Bundeswehr, weil wir wissen, dass wir dort auch massiv investieren müssen.“ Er werde deshalb mit seinen EU-Kollegen nach Wegen suchen, wie diese Ziele erreicht werden könnten. „Und ich bin mir sicher: Wir werden diese Wege finden“, so Klingbeil.
Zusammen mit den Haushaltsentwürfen werden Klingbeils Beamte vor der Sommerpause einen mittelfristigen Finanzplan in Brüssel einreichen, den die Kommission dann abgleicht mit einem von ihr errechneten Ausgabenpfad. Erwartet wird, dass Deutschland mit Brüssel einen Schuldenabbauplan über sieben statt vier Jahre vereinbart, wofür die Kommission wachstumsfördernde Maßnahmen und Investitionen verlangt.
Klingbeil geht offen damit um, dass er finanzpolitisch kaum Expertise hat
Bei seiner ersten Brüssel-Reise trat der Minister nun ebenso mit dem Anspruch auf, dass man sich im Rahmen der Schuldenregeln wird bewegen können, zumal Verteidigungsausgaben jetzt teilweise von diesen ausgenommen sind. Sein Selbstbewusstsein speist sich auch aus den Rückmeldungen, die er bekommen habe: „Das Signal ist immer sehr deutlich“, sagte er. „Alle finden richtig, dass Deutschland mehr Verantwortung übernimmt.“
Was diese Verantwortung angeht, will sich Klingbeil von seinem Vorgänger abgrenzen. Gemeinsam haben Lindner und Klingbeil, dass sie auch im Ministeramt die jeweils mächtigsten Männer in ihrer Partei waren und sind. Lindner konnte allerdings ein wenig mehr finanzpolitische Expertise geltend machen als der außenpolitisch geprägte Neu-Minister. Er geht offen damit um, von seinem Fach bisher nicht übertrieben viel Ahnung zu haben. Klingbeil tritt allerdings mit einer anderen politischen Wucht auf, als Vizekanzler und mit der klaren Ansage, dass EU-Politik auch für ihn zu den obersten Prioritäten gehört. Das hat Lindner in dieser Klarheit nie vertreten.
Dabei zeigt sich aber gleich schon ein Haarriss im europapolitischen Anspruch der neuen Regierung. Als Friedrich Merz am Freitag in Brüssel war, forderte er überraschend, nach dem deutschen auch das EU-Lieferkettengesetz ganz abzuschaffen – bislang soll es nur ausgesetzt und vereinfacht werden. Klingbeil verwies jetzt in Brüssel darauf, dass das im Koalitionsvertrag anders steht. Es war ein recht diplomatisches Nein.