Landwirtschaft:Machtkampf um Brachflächen

Landwirtschaft: Naturschutz und Hungerkrise - wie findet die Landwirtschaft die Balance? Ein Mähdrescher in Mecklenburg-Vorpommern.

Naturschutz und Hungerkrise - wie findet die Landwirtschaft die Balance? Ein Mähdrescher in Mecklenburg-Vorpommern.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Mehr Nahrungsmittel produzieren - und zugleich nachhaltiger: Geht das? Agrarpolitiker der EU und in Deutschland ringen um Lösungen angesichts der Hungerkrise.

Von Thomas Hummel und Josef Kelnberger

In der Landwirtschaftspolitik spielt sich ein Machtkampf ab. Es geht um die Kernfrage, ob nun die Produktion von Nahrungsmitteln wichtiger sei oder die Probleme von Ökologie und Artenvielfalt. Eigentlich will die Europäische Union mehr Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft, hat aber nun für das kommende Jahr Ausnahmen erlaubt. Die möchte der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen aber nur teilweise umsetzen, weil er glaubt, dass der Nutzen für die Milderung des Welthungers klein, aber der Schaden für die Biodiversität groß wäre. Vor der Sondersitzung der Agrarminister von Bund und Ländern in Magdeburg am Donnerstag drängten nun vor allem die Unionsparteien und der Bauernverband Özdemir zum Einlenken. Doch dieser gab nicht nach.

Die EU hatte ihre Umweltauflagen für die Landwirtschaft zuerst verschärft. In allen Betrieben, unabhängig von ihrer Größe, sollen mindestens vier Prozent der Fläche nicht mehr bewirtschaftet werden. So sieht es die neue, vom Jahr 2023 an geltende "Gemeinsame Agrarpolitik" (GAP) vor. Die neue Bestimmung zum Fruchtwechsel besagt, dass von Jahr zu Jahr eine andere Hauptkultur angebaut werden muss. Das schont vor allem die Böden.

Auf Druck aus den Mitgliedsländern hat die Kommission für 2023 erlaubt, diese beiden Regeln auszusetzen. Dazu mag auch die "Sommerprognose" der EU beigetragen haben. Sie prophezeit, dass die Getreideproduktion in diesem Jahr um 2,5 Prozent im Vergleich zu 2021 sinkt. Als Grund werden Hitze und Trockenheit genannt. "Jede in der EU erzeugte Tonne Getreide wird dazu beitragen, die weltweite Ernährungssicherheit zu erhöhen", heißt es in der Erklärung der EU-Kommission.

Weil in den vier Prozent Brachflächen, die nun vielleicht bewirtschaftet werden dürfen, auch die bislang schon stillgelegten Flächen enthalten sind, kommt die Kommission zu dem Schluss: Es stehen 2023 in der EU 1,5 Millionen Hektar zusätzlich für Getreideanbau zur Verfügung. Dazu der Mehrertrag, weil einmalig erlaubt ist, etwa Weizen auf Weizen anzubauen.

Die Mehrheit der Länder will die Brachflächen freigeben, Özdemir will prüfen

Dabei hatte sich der für den Klimaschutz zuständige Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans lange dagegen gewehrt, Brachflächen für den Anbau von Feldfrüchten freizugeben und Umweltauflagen zu lockern. Offenbar hat sich aber seine Chefin Ursula von der Leyen durchgesetzt. "Das nenne ich verantwortungslos, denn die Kommission gibt den Kampf gegen den Verlust der Biodiversität endgültig auf", sagt Martin Häusling, der grüne Agrarexperte im Europaparlament. Norbert Lins von der CDU dagegen, Agrarausschussvorsitzender des Parlaments, warf Timmermans vor, er habe "bewusst und billigend eine Hungersnot in von Weizen abhängigen Ländern in Kauf genommen".

Die Frage ist aber, ob diese Beschlüsse wesentlich dazu beitragen, eine Hungersnot zu verhindern. In Deutschland will Minister Özdemir die Ausnahme für den Fruchtwechsel umsetzen, die vier Prozent Brachen eher nicht antasten. Er begründet das mit Zahlen aus einer von den europäischen Grünen in Auftrag gegebenen Studie, nach denen ein Aussetzen des Fruchtwechsels allein in Deutschland einen Mehrertrag von 3,4 Millionen Tonnen Weizen bringe, eine Bewirtschaftung aller Brachen in der EU dagegen nur 5,3 Millionen Tonnen. Auch deshalb, weil Landwirte nicht ihre besten Böden als Brachen ausweisen.

In Magdeburg konnten sich die Agrarminister nicht auf einen Weg einigen. Die Mehrheit der Bundesländer warb für eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Ausnahmen. Doch die nötige Einstimmigkeit kam nicht zustande. Bundesminister Özdemir verschob die Entscheidung und möchte die EU-Vorschläge prüfen. Auch deshalb, weil Brüssel selbst erst an diesem Donnerstag eine Expertenanhörung organisiert hatte, wie Özdemir sagte. Er verwies darauf, dass Millionen Tonnen von Getreide für Energiegewinnung oder für die Tierhaltung genutzt werden oder im Müll landen.

Dafür einigten sich die Minister weitgehend auf eine neue deutsche GAP-Strategie, der auch die Bundesländer zustimmen müssen. Den letzten Entwurf aus Berlin hatte die EU mit fast 300 Änderungswünschen zurückgeschickt, was offenbar ein durchschnittlicher Wert ist angesichts der Komplexität der Regeln. "Ich bin sehr froh darüber, dass die Länder unseren Kurs beim GAP-Strategieplan unterstützen", sagte Özdemir, was Deutschland jetzt in Brüssel einreiche, sei praktisch so weit abgestimmt mit der Kommission, dass die Genehmigung nur noch Formsache sein müsste. Der Vorgang eilt, wenn Anfang des kommenden Jahres weiterhin Subventionen aus Brüssel fließen sollen.

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