Landwirtschaft:Bittere Ernte

Wegen einer verfehlten Politik leiden die Bauern, eingezwängt zwischen Naturgewalten und Marktkräften. Neue Regeln, die eine gute Praxis belohnen, könnten Abhilfe schaffen.

Von Michael Bauchmüller

In einigen Gebieten Thüringens und Sachsen-Anhalts grassiert eine Mäuseplage. Teile der Getreideernte haben die Feldmäuse schon vertilgt, jetzt machen sie sich an die Rapssaat. Viele Landwirte fluchen über diese zusätzliche Tücke der Natur. Eine Tücke freilich, die nicht aus heiterem Himmel kommt.

In den oft ausgeräumten Landschaften der Region hat die Maus leichtes Spiel. Ihre Feinde wären Greifvögel wie der Mäusebussard. Aber wo die Äcker bis zum Horizont reichen, hat er keinen Ausguck mehr - Bäume und Gehölze sind gefällt, sie waren dem Mähdrescher im Weg. Auch der Klimawandel nutzt der Maus: Immer seltener setzen ihr frostige Winter zu.

Es ist nur ein kleines Beispiel, aber es steht für die systemischen Zwänge und Zusammenhänge, die den Landwirten zusetzen. Der Klimawandel begegnet ihnen in Form extremer Niederschläge und langer Dürreperioden - vielerorts bedeutet das auch dieses Jahr eine magere Ernte. Die intensive Bewirtschaftung endloser Monokulturen und die nahezu industrielle Produktion von Fleisch wiederum sind Ergebnis betriebswirtschaftlicher Optimierung im Rahmen des Möglichen. So prallen zwei Systeme aufeinander: das komplexe System Natur und das vergleichsweise simple System Marktwirtschaft.

Dieser Tage treffen reihenweise Minister aufeinander, um über die Zukunft der Landwirtschaft zu reden. Diesen Donnerstag sind es jene von Bund und Ländern, es geht um die Lage in deutschen Ställen. Dann, am Montag, sind die EU-Agrarminister an der Reihe. Sie können gemeinsam ein Problem besichtigen, das die Politik über Jahre geschaffen hat, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit über die natürlichen Systeme stellte - über jenes Fundament also, auf dem alles wachsen und gedeihen muss.

Es wird nicht leicht, da wieder rauszukommen. Die Landwirte sind dabei nur das letzte Glied einer Kette, in der jeder für sich das Optimum herausholen will. Die begrenzte Ressource Boden etwa wird von Jahr zu Jahr teurer, Pachten und Grundstückspreise steigen. Höhere Pachten aber verlangen auch höheren Ertrag, also eine intensivere Bewirtschaftung. Wie viel diese wiederum in Euro und Cent abwirft, hängt an Marktpreisen, gern bestimmt an globalen Rohstoffbörsen. Und natürlich spielen auch Verbraucher hinein, mit dem einfachen Kalkül: Kaufe viel für möglichst wenig. Denn beileibe nicht jeder, der sich in Umfragen für regionale und ökologische Kost ausspricht, akzeptiert dafür auch höhere Preise. So nehmen die Dinge ihren Lauf.

In Thüringen und Sachsen-Anhalt wollen die Bauern nun zu Mäusegift greifen. Das mag das Problem beheben, bringt aber das Ökosystem nicht ins Lot, im Gegenteil. Ähnlich verhält es sich mit allen möglichen Insektiziden und Herbiziden, die über deutschen Feldern versprüht werden, und das viel zu oft legal. Neue Umweltauflagen sehen viele Bauern als Mühlsteine ihrer ohnehin schweren Existenz.

Sind sie am Ende also Mittäter? Sägen sie am eigenen Ast? Eher sind sie wohl Opfer dieses Systemkonflikts, in dem die Zwänge des Marktes die Landwirtschaft von der Natur zu entkoppeln drohen. Das alles ist - wie oft bei den Fehlsteuerungen der Marktwirtschaft - zuallererst das Ergebnis schlechter Regeln.

Da wären etwa Europas Agrarsubventionen, die vor allem die Fläche belohnen. Das heizt Nachfrage nach Ackerland an, lässt Pachten steigen und zwingt dazu, das Letzte aus dem Boden herauszuholen. Anbaumethoden dagegen, die Äcker mit Gehölzstreifen auflockern, Arten Unterschlupf geben und so Gleichgewichte wiederherstellen, gehen leer aus. Europa hat bisher nichts übrig dafür.

Da wäre eine Tiermast, die auf Masse und Export getrimmt ist und deren Produkte in hiesigen Kühltheken ganz ungeniert als "Haltungsstufe 1" verkauft werden. Mit dieser niedrigsten Stufe aber sind in den Ställen Bedingungen verknüpft, die eines wohlhabenden Landes unwürdig sind. Die meisten Verbraucher greifen dennoch gern zu, mancher hält die "1" vielleicht sogar für besonders gut.

Bewusster Konsum wird die Probleme nicht lösen. Es braucht bessere Regeln: eine Agrarförderung, die konsequent ökologische Leistungen belohnt. Eine Tierhaltung, in der nicht Spaltenböden und enge Käfige die Norm sind, sondern Platz und frische Luft. Manches davon lässt sich national umsetzen, wie etwa eine "Tierwohlabgabe", um bessere Ställe zu finanzieren. In vielen Fragen wird die EU nachsteuern müssen, in Handelsverträgen, aber auch bei gemeinsamen Standards. Zu oft können Bauernverbände überall in Europa striktere nationale Vorgaben mit dem Argument abwehren, die Produktion drohe in Nachbarländer abzuwandern - weil dort laxere Regeln herrschen. Die gute Praxis muss zur Norm werden.

Mag schon sein: Die Zeiten der Bauernhof-Idylle sind vorbei. Eine Landwirtschaft aber, die der ungebremsten Marktkräfte wegen gegen Natur, Böden und Klima produziert, gibt ihre Grundlage preis.

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