Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Warum die CDU im Südwesten so große Probleme hat

Lesezeit: 6 min

Die Partei steht in Baden-Württemberg vor einem historischen Debakel, das einige schon jetzt Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann anlasten. Doch die Ursachen für den Niedergang liegen tiefer.

Von Stefan Braun, Berlin, und Claudia Henzler, Stuttgart, Stuttgart/Berlin

Die Morgensonne scheint, aber die Temperatur liegt noch um den Gefrierpunkt, als Tim Bückner an einem Samstag kurz vor der Wahl einen Stehtisch in der Altstadt von Schwäbisch Gmünd mit Frühlingsblumen dekoriert. Der 37-jährige Jurist ist Geschäftsführer des CDU-Kreisverbands im Ostalbkreis und kandidiert für den Landtag. Bisher hat die CDU in seiner Heimat immer das Direktmandat gewonnen, doch Bückner kann sich nicht sicher sein, dass dies auch diesmal gelingt. Für ihn persönlich wäre das enttäuschend, für seine Partei aber ein Alarmsignal, das sagt er selbst. "Wenn wir einen Wahlkreis wie Schwäbisch Gmünd nicht gewinnen, dann wird's im Land sehr schwierig."

Die Umfragen deuten darauf hin, dass der 14. März für die CDU zu einem Desaster werden könnte. Womöglich rutscht sie noch unter das historisch schlechte Ergebnis von 27 Prozent im Jahr 2016 ab.

Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann kämpft sich in den letzten Tagen vor der Wahl durch eine virtuelle Gesprächsrunde nach der anderen, verteilt am Donnerstag in der Stuttgarter Fußgängerzone noch einmal Blumen und gibt sich betont unbeeindruckt von den schlechten Zahlen. Wann immer sie danach gefragt wird, wiederholt sie, dass Umfragen erstens wenig verlässlich seien und die Wahl zweitens erst am Sonntag entschieden werde. "Da rate ich zu großer Gelassenheit, auch der CDU."

In Teilen der Partei ist die Nervosität jedoch enorm. Einige stellen schon jetzt klar, dass ein schlechtes Wahlergebnis exklusiv von der Spitzenkandidatin zu verantworten wäre. Als Beweis werden Eisenmanns Beliebtheitswerte angeführt: Zuletzt waren nur 21 Prozent der Befragten mit ihrer Arbeit zufrieden. Und zwei Drittel der CDU-Anhänger würden sich bei einer Direktwahl lieber für Amtsinhaber Winfried Kretschmann von den Grünen entscheiden als für sie.

Eisenmanns Kritiker sagen außerdem, dass sie mehrere Fehler gemacht habe: Im Dezember forderte sie Schulöffnungen "unabhängig von der Inzidenz" und setzte sich damit vom Kurs der Kanzlerin ab. Weiterhin wird ihr ein "ruppiges Auftreten" vorgeworfen und dass sie Kretschmann zu brachial angegangen sei. In der CDU geht die Sorge um, dass der Grüne deshalb lieber eine Ampelkoalition bilden könnte als noch einmal mit der CDU zusammenzuarbeiten.

Kultusminister sind eigentlich immer unbeliebt - aber zurzeit ganz besonders

Doch es gibt in der Partei auch Stimmen, die Eisenmann in Schutz nehmen und auf schwierige Rahmenbedingungen hinweisen: Als Juniorpartner in einer Koalition ist es nie leicht, beim Wähler zu punkten, außerdem ist der beliebte Ministerpräsident kein leichter Gegner. Hinzu kommt die Corona-Pandemie, die fast alle anderen Themen in den Hintergrund gedrängt hat und Eisenmanns Handicap noch vergrößerte: Kultusminister sind eigentlich immer unbeliebt. Die Partei hat das gewusst, als sie Eisenmann aufstellte. Sie hat auch ganz bewusst eine Kandidatin gewählt, die sich als Gegensatz zu Kretschmann verkaufen ließ. Auffällig ist, dass niemand behauptet, dass man mit dem Parteivorsitzenden Thomas Strobl als Spitzenkandidat besser dastünde.

Strobl wird allmählich zur tragisch-heroischen Figur: 2016 hatte er einen Mitgliederentscheid um die damalige Spitzenkandidatur gegen Guido Wolf verloren, musste nach der Niederlage die Scherben zusammenkehren und führte die Partei nicht nur in die Koalition mit den Grünen, er kam dafür auch extra aus Berlin heim - wohl auch mit der Hoffnung, beim nächsten Mal selbst ins Rennen um das Amt des Ministerpräsidenten einzutreten. Um die Partei zu modernisieren, holte er seine alte Vertraute Susanne Eisenmann gegen viel Widerstand ins Kabinett. Gemeinsam hatten sie für den früheren CDU-Ministerpräsidenten Günther Oettinger gearbeitet. Eisenmann dankte es, indem sie ihn 2019, im Verbund mit Strobls alten Widersachern, recht rüde aus dem Weg räumte, um selbst Spitzenkandidatin zu werden.

Strobl steckte die Niederlage weg und beschwor die Partei, Geschlossenheit zu zeigen. Tatsächlich wählten die CDU-Delegierten Eisenmann im Juli 2019 mit mehr als 95 Prozent zu ihrer Spitzenkandidatin. Die Ausgangslage war nicht schlecht: Bis Anfang 2019 lagen CDU und Grüne in den Umfragen fast gleichauf, beide um die 30 Prozent.

Über diese Zahlen wäre die CDU heute froh. Dabei freilich muss man an der Stelle daran erinnern, wo diese Partei herkommt: Die CDU war in Baden-Württemberg einst so mächtig und stark wie die bayerische Schwesterpartei CSU in deren besten Zeiten. In den Siebziger- und Achtzigerjahren erzielte sie Wahlergebnisse weit jenseits der absoluten Mehrheit. In ihrer vielleicht stärksten Phase hatte sie mit Lothar Späth einen Ministerpräsidenten, der durch Witz, Schläue und einen Modernisierungswillen nicht altbacken, sondern selbstbewusst und attraktiv wirkte. 1980 kam die CDU mit ihm auf gut 53 Prozent und 1984 noch mal auf fast 52 Prozent.

Entsprechend mächtig war die Landespartei über Jahrzehnte auch im Bund. Der Landesverband war der stärkste innerhalb der CDU und spielte in Bonn wie später in Berlin eine wichtige Rolle. Ende der Achtzigerjahre wurde Späth sogar mal als Nachfolger eines schwächelnden Helmut Kohl ins Spiel gebracht, als möglicher Bundeskanzler.

Ein Grund für den Niedergang: Größenwahn

Umso bitterer war es für die Christdemokraten, als ihr starkes Haus erst ins Wanken geriet und dann einstürzte. Ursache war zum einen ein Größenwahn, der zunächst Späth und später auch manchen Nachfolger wie Stefan Mappus befiel. So verlor Späth seine Macht nicht, weil er eine Wahl verlor. Er musste 1991 zurücktreten, weil er sich private Segeltörns hatte bezahlen lassen.

Zum anderen brach in der Folge ein Gerüst weg, das die CDU stabil gemacht hatte: In ihrer erfolgreichsten Zeit gehörten Ministerpräsident und Fraktionschef zwar unterschiedlichen Strömungen an, ergänzten sich aber durch sportliche Konkurrenz - und glichen so eigene Schwächen des einen durch Stärken des anderen aus. War der Ministerpräsident eher ein Liberaler wie Späth, wurde die Fraktion von einem Konservativeren geführt - in diesem Fall von Erwin Teufel. Als Teufel aufrückte, folgte der liberalere Günther Oettinger an die Spitze der Fraktion.

Dieses System brach zusammen, als Oettinger ungeduldig wurde. Leute aus seinem Umfeld sägten schon an Teufels Stuhl, als Teufel eigentlich noch unangefochten regierte. Zermürbt und zornig machte Teufel irgendwann Platz, brachte aber Annette Schavan als Gegenspielerin zu Oettinger in Stellung. Es kam zum ersten Mitgliederentscheid in der CDU Baden-Württemberg - und zu einem Machtkampf, der in der Partei einen Graben aufriss, der bis heute nicht verheilt ist. Das Oettinger-Lager zielte mit heftigen Attacken gegen Schavan, auch unter die Gürtellinie, und verletzte sie tief. Verziehen hat Schavan Oettinger diese Angriffe genauso wenig wie ihre Verbündeten Volker Kauder, damals mächtiger Fraktionsvorsitzender im Bundestag, und Stefan Mappus, später Fraktionschef im Landtag. Dass Mappus noch auf Oettinger folgte, gelang nur, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel den Ministerpräsidenten als EU-Kommissar nach Brüssel weglobte - auf Empfehlung von Schavan und Kauder. Ränkespiele und kein Ende.

Zu diesem Zeitpunkt lag die CDU noch bei mehr als 40 Prozent. Dann aber kam das Absturzjahr, mit den Protesten gegen "Stuttgart 21" und der Kernschmelze im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Ersteres konnte die Landesregierung in einem Schlichtungsverfahren noch einigermaßen befrieden. Fukushima aber kam zwei Wochen vor dem Wahltag 2011 über Mappus und ließ das Haus einstürzen. Die CDU erreichte nur noch 39 Prozent; Mappus fand keinen Koalitionspartner. Der Grüne Kretschmann kam an die Macht - und konnte fortan zeigen, dass Baden-Württemberg nicht im Chaos versinkt, wenn eine andere Partei regiert.

Obwohl mancher Christdemokrat diese Niederlage bis heute als Unfall bezeichnet - sie hatte tiefer liegende Ursachen. Zum einen gesellschaftlich, weil die CDU als arrogant und abgehoben empfunden wurde. Zum anderen innerparteilich: Der Streit um die Atomkraft legte in den Wochen nach Fukushima offen, wie sehr die Landes-CDU auch inhaltlich auseinandergefallen war. Während die Atomkritiker, vor allem in Südbaden, bis heute einen liberalen Weg empfehlen, kämpfen die anderen, vor allem in Württemberg, für einen wirtschaftsliberalen, hart konservativen Kurs. Nicht überraschend gab es 2021 im Süden viel Zustimmung für Armin Laschet als neuen Bundesvorsitzenden, während die Württemberger sich mehrheitlich für Friedrich Merz aussprachen.

Die Rufe nach Erneuerung werden lauter

Richtig aufgearbeitet wurde all diese Risse nie - weder in den schwierigen Oppositionsjahren unter Grün-Rot, noch in den vergangenen fünf Jahren, als die CDU wieder mitregieren konnte. Nun aber werden die Rufe nach einer Erneuerung lauter.

Wie es in der Partei weitergeht, entscheidet sich am Sonntag. Es geht in der CDU dabei längst nicht mehr ums Siegen, sondern um die Frage, ob das Ergebnis schlechter sein wird als 2016. Strobl geht davon aus, dass er in diesem Fall die Sondierungsgespräche führen wird. Ob die Spitzenkandidatin die Schuld allein auf sich nehmen muss oder in der CDU auch die Parteizentrale in die Verantwortung nimmt, die die Kampagne ja mitorganisiert hat, dürfte von den Koalitionsverhandlungen abhängen. Sollte die grün-schwarze Regierung fortbestehen, wird die Partei wohl an Strobl als Vater dieses Bündnisses festhalten. Wahrscheinlich - und in Wahrheit zwingend - ist, dass mit einem Wechsel mindestens beim Fraktionsvorsitz eine Verjüngung einsetzt. Ob sie kommt? Das ist das große Fragezeichen.

Dabei wird nicht unwichtig sein, wie groß die neue Fraktion sein wird - und wie sie sich zusammensetzt. Wegen des besonderen Wahlrechts in Baden-Württemberg kann es sein, dass die CDU zwar viele Direktmandate und auch insgesamt an Stimmen verliert, am Ende aber wegen vieler Ausgleichsmandate nicht weniger CDU-Abgeordnete im Landtag sitzen als bisher.

Tim Bückner, der Kandidat aus Schwäbisch Gmünd, wünscht sich kein Scherbengericht, sondern dass seine Partei in Ruhe Bilanz zieht. Er ist durchaus zuversichtlich, dass der CDU eine inhaltliche Erneuerung gelingt. Es gebe in den Reihen der CDU diesmal viele neue Kandidaten, sagt er. "Die personelle Erneuerung erleben wir gerade." Andere freilich sind da weit weniger optimistisch.

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