Süddeutsche Zeitung

Landtagswahlen:Auf der Suche nach dem dritten Koalitionspartner

  • Sowohl Brandenburg als auch Sachsen werden seit 29 Jahren von jeweils einer Partei geführt: Brandenburg von der SPD (zuletzt gemeinsam mit der Linken) und Sachsen von der CDU (zuletzt gemeinsam mit der SPD).
  • Nach der Wahl am Sonntag werden sich die führenden Regierungsparteien jedoch auf die Beteiligung einer dritten Partei einstellen müssen.
  • Die SPD in Brandenburg hat, genauso wie die CDU in Sachsen, einer Koalition mit der AfD eine Absage erteilt.

Von Ulrike Nimz und Jan Heidtmann

Sachsen

Das Land

wird seit 1990 von der CDU regiert, bis 2004 mit absoluter Mehrheit. Danach war die Partei auf einen Koalitionspartner angewiesen. Doch die Zeit, in der ein Arrangement mit SPD oder FDP genügte, dürfte vorbei sein. Auch deshalb wird in Sachsen mit Blick auf Sonntag von einer "Schicksalswahl" gesprochen, von einer "Zeitenwende" gar. Mit Blick auf die vergangenen 29 Jahre lässt sich sagen: Keines der ostdeutschen Bundesländer hat sich so gut entwickelt wie der Freistaat. Das Bildungssystem ist erfolgreich, die Pro-Kopf-Verschuldung niedrig. Die Großstädte haben von der Leuchtturmpolitik eines Kurt Biedenkopf profitiert, Sachsens ersten Ministerpräsidenten. Wenn sich Erfolg an der Zahl der Spitznamen messen lässt, liegt "König Kurt" aka "Bieko" vorn. Nur haben Zahlen selten genügt, um Stimmungen zu beschreiben. Die ist vielerorts schlecht. Der ländliche Raum hat unter der rigiden Sparpolitik gelitten. Es fehlt an Polizisten, Lehrern, Fachkräften, Tarifbindung. Dann sind da noch Pegida, ein Rechtsextremismus, der ins Bürgerliche diffundiert, und eine Union, die das lange nicht sehen wollte. Als die AfD bei der Bundestagswahl 2017 hier die meisten Zweitstimmen erhielt, musste Ministerpräsident Stanislaw Tillich (kein Spitzname bekannt) gehen. Michael Kretschmer kam und startete eine beispiellose Wiedergutmachungstour.

Der Wahlkampf

hatte zwei Protagonisten: Wurst und Bier. Das "Team Kretschmer" bot dazu einen nach dem MP benannten Energydrink an. Man hat Michael Kretschmer so eine Dose nie leeren sehen. Vermutlich, weil er sich nach dem ersten Schluck zu schnell für das menschliche Auge bewegt. Der Spitzenkandidat und Parteichef wird bis zum 1. September alle 60 Wahlkreise bereist, zu wenig geschlafen und zu viel gesungen haben - mit Wolfgang Lippert schmetterte er dessen Hit "Erna kommt". Kretschmer hatte prominente Unterstützung: Uschi Glas war dabei, Sportmoderator Waldemar Hartmann pichelte sich für die Union durch den Freistaat, und dann war da noch Hans-Georg Maaßen, geschasster Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der lieber stichelte und sich nach ein paar Auftritten mit wundem Ego aus dem Wahlkampf zurückzog, weil der Ministerpräsident sein Engagement nicht würdigen wollte. Die SPD setzte alles auf Parteichef Martin Dulig. Der hielt Brandreden in sächsischen Fußgängerzonen, zunächst auf einem roten Podest, dessen Symbolik dann doch nicht passen wollte zur Situation seiner Partei. Die AfD muss wegen eines Formfehlers mit gekürzter Landesliste antreten. Spitzenkandidat Jörg Urban verteufelt gern die Energiewende, verdiente dem TV-Magazin "Frontal 21" zufolge aber Geld mit Solaranlagen. Eine Enthüllung, die auch die in Sachsen erstarkten Grünen freuen dürfte, aus mehreren Gründen.

Am Tag danach

wird's spannender als am Wahltag. Der Frage, was passiert, wenn er seinen Heimatwahlkreis Görlitz nach 2017 erneut verliert, ist Kretschmer beherzt ausgewichen. Seine politische Zukunft wird davon abhängen, ob die CDU nach dem Bundestagswahldesaster wieder vorn liegt. Andernfalls könnten jene Kräfte in der Partei erstarken und mit einer Minderheitsregierung liebäugeln, die eine schwarz-blaue Zusammenarbeit nicht für immer ausschließen mögen. Kretschmer hat solchen Planspielen eine Absage erteilt, genauso wie einer Koalition mit AfD oder Linken. Die konservative Werteunion richtet am Sonntag in Dresden eine eigene Wahlparty aus. Gast: Hans-Georg Maaßen. Aktuelle Umfragen sehen die CDU in Sachsen bei 32 Prozent, klar vor der AfD. Am wahrscheinlichsten ist nach diesem Szenario eine "Kenia-Koalition" aus CDU, Grünen und SPD. Sollte es so kommen, wird es etwas kosten, mindestens Überwindung. Kretschmer nennt die Grünen gern "Verbotspartei". Auch Katja Meier und Wolfram Günther, grüne Doppelspitze, hegen keine Sympathien: "So kann man mit dieser CDU nicht zusammenarbeiten wollen." Einzig die SPD scheint für Kenia bereit zu sein. Anfang der Woche veröffentlichte die Partei ein Video, in dem Martin Dulig eine Frage stellt, die einige Sachsen umtreiben dürfte: "Gibt es eine Mehrheit für CDU, SPD und Grüne? Oder rutscht dieses Land nach rechts und wird unregierbar?" Antwort: Abwarten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4582604
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.08.2019/tmh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.