Wahl in Sachsen :Knappes Rennen in Dresden

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„Das ist die wichtigste Wahl seit 34 Jahren“: Michael Kretschmer am Sonntagabend im Landtag. (Foto: Michele Tantussi/Getty Images)

In Sachsen reklamiert Michael Kretschmer den Sieg früh für die CDU. Der Ministerpräsident hatte darauf gesetzt, seine Partei als solide Brandmauer gegen die AfD zu präsentieren.

Von Johannes Bauer, Dresden

Es rumpelt, als Michael Kretschmer bei der Wahlparty der CDU die Bühne betritt. Nach der ersten guten Prognose drängen sich seine Parteikollegen um den alten und wohl auch neuen sächsischen Ministerpräsidenten. So dicht, dass einer fast von der Bühne fällt, die sie im sechsten Stock des Landtags aufgebaut haben. Kretschmer, der das scheinbar nicht mitbekommen hat, wirkt erleichtert über das Wahlergebnis. Einmal atmet er noch tief aus, dann tritt er ans Mikro. „Wir haben allen Grund zu feiern“, ruft er seinen knapp 300 Anhängern im Saal zu, die ihn schon vorher bejubeln. Sein Auftritt kommt früher als erwartet. Offenbar geht es Kretschmer um die Deutungshoheit. Die Botschaft scheint klar: Die CDU hat die Wahl gewonnen und nicht die AfD. Der Vorsprung seiner Partei ist je nach Hochrechnung aber knapp oder sehr knapp.

Als Kretschmer am Sonntagmorgen seine Stimme abgab, konnte er das bereits ahnen. „Das ist die wichtigste Wahl seit 34 Jahren“, sagte er. Die Parallelen zur vorherigen Wahl liegen auf der Hand: Wieder lieferten sich CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen und wieder rief Kretschmer deshalb Anhänger aller demokratischer Parteien dazu auf, die CDU zu wählen. Zuletzt immer drängender, als müssten die Wähler selbst eine Brandmauer errichten. Die AfD, die der Verfassungsschutz in Sachsen als „gesichert rechtsextrem“ einstuft, hatte große Ziele formuliert. So kamen die AfD-Chefs Tino Chrupalla und Alice Weidel zum Abschluss des Wahlkampfs nach Dresden, um dort Spitzenkandidat Jörg Urban vor gut 1000 teils frenetisch jubelnden Anhängern als „künftigen Ministerpräsidenten“ zu feiern.

Dass der Vorsprung vor der AfD äußerst knapp ist, stört Kretschmer in seiner Euphorie auf der Bühne nicht. Nur kurz blickt er zurück auf „fünf harte Jahre“, um direkt wieder gegen die Ampelregierung in Berlin zu schießen – sein Lieblingsziel im Wahlkampf. Bei der CDU wisse man, sagt Kretschmer, „wie enttäuscht die Menschen von dem sind, was in Berlin passiert“. In Sachsen sei seine Partei der „Fels in der Brandung“ gewesen und habe die Regierung aus CDU, SPD und Grünen zusammengehalten. Eine Aussage, an der Letztere berechtigte Zweifel anmelden. Franziska Schubert, eine der drei Spitzenkandidatinnen der Partei sagt, Kretschmers Grünen-Schelte im Wahlkampf habe „Verletzungen hinterlassen“. Unter anderem hatte der Ministerpräsidenten davon gesprochen, die Grünen „loswerden“ zu wollen.

Für die sieht es am frühen Abend so aus, als könnten sie es über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Zufrieden wäre Umweltminister Wolfram Günther damit nicht. „Wir haben für ein anderes Ergebnis gekämpft“, sagt er. Aber immerhin habe man gesehen, dass es einen soliden Stamm an Grünen-Wählern gebe. Unabhängig von den zuletzt unüberbrückbar wirkenden Differenzen zwischen CDU und Grünen wird es am Abend Gewissheit: Auch rechnerisch reicht es für eine Neuauflage der „Kenia“-Koalition nicht. Die Linke gewinnt in Leipzig zwei Direktmandate. Damit greift die sächsische Grundmandatsklausel, eine Sonderregel, die es der Partei erlaubt, auch mit weniger als fünf Prozent in den Landtag einzuziehen. Und Schwarz-Rot-Grün hat dadurch keine Mehrheit mehr. 

Die SPD, die sich auf dem Stand von 2019 halten kann, würde gerne erneut mitregieren. Zumindest sagte Sozialministerin und SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping vor der Wahl, dass sie sich gut vorstellen könnte, weiter mit der CDU zusammenzuarbeiten. Für ein schwarz-rotes Zweierbündnis aber, das war klar, würde es nicht reichen und von einer Minderheitsregierung hält Kretschmer nichts. „Die letzten fünf Jahre in Thüringen waren verlorene Jahre“, sagt er. Wenn Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) etwas zugesagt habe, sei nicht klar gewesen, „ob das im Landtag eine Mehrheit hat“.

Das BSW will kein „Weiter so“. Nun ist die Frage, was das heißt

Damit könnte es auf ein Dreierbündnis mit dem BSW hinauslaufen, dem politischen Newcomer des Jahres und nun drittstärkste Kraft in Sachsen. „Mit uns wird es kein ,Weiter so‘ geben“, hatte deren Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann angekündigt. Die 63-Jährige saß 16 Jahre lang für die Linke im Bundestag. Unklar ist, was genau Zimmermann mit ihrer Ansage meint. Zwar sieht sich ihre Partei genauso wie die Linke und die AfD als „einzig wahre Friedenspartei“. Auf eine diplomatische Lösung des Ukrainekriegs pocht Kretschmer aber wohl am längsten.

Mit seiner Position zum Ukrainekrieg stand Kretschmer recht alleine da innerhalb der Bundes-CDU mit ihrem Parteivorsitzenden Friedrich Merz, einem großen Verfechter von Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch Merz ließ Kretschmer gewähren, dessen Erfolg ihn seiner Kanzlerkandidatur einen großen Schritt näher bringen dürfte. Beim Thema Migration liegen sie nah beieinander. Straftäter möchten beide auch nach Afghanistan und Syrien abschieben und Migration begrenzen. Darauf zielt auch ein Wahlversprechen von Kretschmer ab. „Auf jeden Fall wird es eine sächsische Grenzpolizei geben“, sagte er. Unter dem Slogan „Recht und Ordnung durchsetzen“ betonte er im Wahlkampf die innere Sicherheit, um so AfD und BSW auf Distanz zu halten, die sich bei diesem Thema ebenfalls zu profilieren versuchten.

Egal mit welchem Partner, eines ist Kretschmer am Wahlabend wichtig: Der erste Koalitionsvertrag werde „mit dem Land und mit den Menschen gemacht“, sagt er: „Und dann kommt erst mal eine ganze Weile nichts.“ Die größte Aufgabe der Regierung ist es laut Kretschmer, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten. In einer Zeit, in der so viele Wähler wie noch nie für die rechtsextreme AfD und ein weitgehend unerfahrenes Bündnis gestimmt haben, dürfte das noch einmal schwieriger geworden sein.

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