Landtagswahlen:Der Osten ist nicht verloren

Das Wahlergebnis sendet eindeutige Botschaften: Der Kampf um die Wählergunst ist für die politischen Parteien diesseits extremer Ränder auch im Osten zu gewinnen. Und: Das Gewinnen fällt schwer.

Kommentar von Cornelius Pollmer, Leipzig

Das Ergebnis der Wahlen in Brandenburg und Sachsen ist wie ein Kippbild, je nach Betrachtungswinkel lassen sich völlig unterschiedliche Dinge darin erkennen. Wer möchte, sieht auf diesem Bild vor allem einen abermals besorgniserregenden Zugewinn der AfD, die zum Beispiel in Sachsen alleine knapp stärker abgeschnitten hat als Linke, SPD und Grüne zusammen. Wer es anders möchte, sieht auf diesem Bild Regierungsparteien, die trotz dürftiger Leistungsbilanz (SPD in Brandenburg) und müder Parteibasis (Kretschmer in Sachsen) erste Plätze verteidigt haben.

Und doch ist dieses Wahlergebnis keine reine Auslegungssache. Es sendet auch eindeutige Botschaften, die beiden wohl wichtigsten sind folgende. Erstens, der Kampf um die Wählergunst ist für die politischen Parteien diesseits extremer Ränder auch im Osten zu gewinnen. Zweitens, diesen Kampf zu gewinnen, wird für die erweiterte politische Mitte viel schwerer, als sie es lange glaubte.

Warum ist der Kampf zu gewinnen? Da ist zunächst einmal die Wahlbeteiligung. Vor fünf Jahren titelte das Satireportal Der Postillon wahrheitsgetreu: "Demokratie in Sachsen an 50-Prozent-Hürde gescheitert." Die 66,6 Prozent Wahlbeteiligung am Sonntag mögen als Zahl etwas satanisch anmuten, im Vergleich zu 2014 sind sie eine gute Nachricht: Auf Dauer muss es jeder Demokratie schaden, wenn sich immer weniger aufgerufen fühlen, in ihr mitzuwirken, und sei es nur durch den Gebrauch des Wahlrechts.

Dafür, dass der Kampf zu gewinnen ist, spricht auch, dass die SPD in Brandenburg gegen jeden Trend bei einer Wahl mal wieder die meisten Stimmen bekommen hat und dass die CDU in Sachsen durch Michael Kretschmer eine Belebung erfahren hat, mit der lange nicht zu rechnen gewesen war.

Kretschmer verbesserte den Stil der Regierungsarbeit

Kretschmer hat eindrucksvoll gezeigt, welche Tugenden es braucht, um politisch Boden gut zu machen. Er hat gesundes Selbstbewusstsein demonstriert, wo in der CDU lange Arroganz vorherrschte. Er hat sich teilweise brutal aufgeopfert, wo viele Abgeordnete seiner Partei ihre Mandate lange als eine Art Abo verstanden, das sich immer wieder verlängert, so lange sie es nicht selbst kündigen. Er hat, gemeinsam mit der SPD, große Lösungen angeboten für neuralgische Themen wie Lehrermangel und Polizisten und diese überwiegend auch glaubwürdig kommuniziert.

Das Abschneiden der CDU in Sachsen lässt sich, siehe Kippbild, unterschiedlich bewerten. Ein Erfolg für Michael Kretschmer, der auch seinen Direktwahlkreis gewann und bei den Wählern fast aller Parteien erstaunliche Zustimmungswerte erzielt, ist dieses Abschneiden in jedem Fall. Und in diesem Erfolg liegt auch schon die Nachricht, welche gewaltige Arbeit jetzt für die politischen Parteien und ihre Mitglieder ansteht, vor allem im Osten.

Warum wird es so schwer für die erweiterte politische Mitte, den Kampf auf Dauer zu gewinnen? Mit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende 2017 begann für Michael Kretschmer das Projekt Landtagswahl. Er baute das Kabinett klug um, verbesserte zusammen mit der SPD den Stil der Regierungsarbeit und lebte vor, was es bedeuten kann, den Bürgern zu dienen. Vom heutigen Tag an wird es nicht mehr genügen, wenn diesen Stil nur die politische Führung des Landes pflegt.

Es gibt natürlich in fast allen Parteien Mandatsträger, die aufopferungsvoll und ernsthaft im Landtag und vor Ort ihrem Auftrag nachkommen. Beim Parteitag der CDU in Chemnitz im Juni aber sagte Michael Kretschmer einen Satz, der in die Wiedervorlage gehört. Die offene Gesellschaft in Sachsen könne nur von innen verteidigt werden, und: "Wir brauchen jeden." Jeder, damit sind kommunale Abgeordnete genauso gemeint wie Mitarbeiter der Verwaltung, Familienmütter genauso wie Arbeitskollegen und Freiwillige Feuerwehrleute. Eben: jeder.

Damit der Osten nicht abrutscht, braucht es nun vieles: Verstärkt eine Sachpolitik, die gerade Menschen im ländlichen Raum spürbar zeigt, dass der Staat mehr ist als ein amorphes Abstraktum, das Geld kostet. Politische Akteure, die zwar unbedingt auf Anstand und Fairness achten, sich sonst aber auf inhaltliche Abgrenzung statt moralische Ausgrenzung fokussieren. Und, garantiert nicht zuletzt, eine Zivilgesellschaft, die für den Erhalt einer freiheitlich demokratischen Grundordnung kämpft und ansonsten Streit und Politisierung nicht scheuen darf.

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