In Niedersachsen kann künftig aller Voraussicht nach eine rot-grüne Koalition regieren. Die Auszählung ergab am späten Sonntagabend am Ende eines spannenden Wahlabends (hier zum Nachlesen) eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme im Landtag. SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil zeigte sich entschlossen, mit den Grünen zusammen ein solches Bündnis zu einzugehen. "Bei dem Stand der Dinge habe ich das auch vor", sagte er in der ARD. SPD und Grüne kommen nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis auf 69 Mandate, CDU und FDP können zusammen 68 Abgeordnete in den Landtag schicken. Stundenlang hatte es zuvor nach einem Patt der beiden Lager ausgesehen. Ministerpräsident David McAllister (CDU) hatte am frühen Abend erklärt, Regierungschef bleiben zu wollen. Die CDU sei stärkste Fraktion und "deshalb haben auch wir den Auftrag, eine Regierung zu bilden". Sozialdemokraten und Grüne sehen das Ergebnis in Hannover als gutes Zeichen für einen Machtwechsel im Bund im Herbst.
Die seit zehn Jahren in Niedersachsen regierende schwarz-gelbe Koalition zog trotz überraschend guter Zahlen der FDP den Kürzeren. Die Sieger verdanken ihren Erfolg vor allem den Grünen, die ihr Ergebnis von 2008 deutlich steigern konnten. Die Grünen vereinen 13,7 Prozent der Stimmen auf sich, sie gewinnen 5,7 Prozentpunkte hinzu. Für die SPD stimmten 32,6 Prozent; sie legt um 2,3 Prozentpunkte zu. Die CDU kam auf lediglich 36,0 Prozent. Bei der Wahl im Jahr 2008 hatte sie noch 42,5 Prozent erzielt. Die FDP wiederum legte um 1,7 Punkte zu und kam letztlich auf 9,9 Prozent.
Wahlforscher sprachen von einem "Last-Minute-Transfer im schwarz-gelben Lager": 80 Prozent der aktuellen FDP-Wähler seien eigentlich CDU-Wähler, die aber diesmal nur mit der Erststimme für die Union, mit der Zweitstimme aber für die FDP votierten. Der Erfolg der FDP sei "der Erfolg von Philipp Rösler", sagte Generalsekretär Patrick Döring. Der Verbleib von Rösler an der Parteispitze sei damit gesichert. Rösler selbst betonte: "Das Rennen hat jetzt erst angefangen. Die Freien Demokraten werden jetzt loslegen." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sprach von einem starken Wahlkampf seiner Partei. Er räumte ein, dass es ein "Stimmen-Splitting" zugunsten der FDP gegeben habe.
Die Piraten verfehlten den Einzug ins Parlament deutlich. Auch die Linke lag unter der Fünf-Prozent-Hürde, für sie stimmten lediglich 3,1 Prozent der Wähler.
SPD und Grüne hatten über Monate auf einen Machtwechsel im Norden hingearbeitet, die Umfragen zeigten lange einen klaren Trend zu Rot-Grün, der dem Bündnis auch zu einer Gestaltungsmehrheit im Bundesrat verhelfen wird. Zuletzt war jedoch der Vorsprung stark geschrumpft, wofür SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück eine Mitverantwortung einräumte. Es sei ihm "sehr bewusst, dass es aus der Berliner Richtung keinen Rückenwind gegeben hat. Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage."
Steinbrück gab sich jedoch auch kämpferisch: Wenn es für SPD und Grüne in Niedersachsen reichen würde, sei auch ein Regierungswechsel bei der Bundestagswahl im September möglich, betonte er am frühen Abend. Parteichef Sigmar Gabriel stellte klar, Steinbrück werde "überhaupt nicht infrage gestellt". Stephan Weil wiederum betonte, die Diskussion über Steinbrück hätte keine negativen Auswirkungen gehabt. Es habe "keinerlei Bremsspuren" gegeben.
Die Grünen feierten das beste Ergebnis der Partei in Niedersachsen. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sieht im Abschneiden ihrer Partei gute Voraussetzungen für einen Wechsel auch im Bund. Ebenso sieht es der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Jürgen Trittin. "Wir haben alleine so viel gewonnen, wie CDU und FDP verloren haben", rechnete er vor. Die Botschaft für September sei relativ einfach: "Wenn uns das bei der Bundestagswahl gelingt, genau so viel dazuzugewinnen, und die anderen so viel verlieren, dann war es das mit Schwarz-Gelb. Dann ist das das Ende der Kanzlerschaft Merkels."
Bei der FDP war der Abend geprägt von Erleichterung. Allerdings war man zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen, die Koalition mit der Union fortsetzen zu können. Ende vergangener Woche war der FDP-Parteivorsitzende Rösler unter Druck geraten. Bundestags-Fraktionschef Rainer Brüderle forderte, den für Mai geplanten FDP-Parteitag vorzuziehen, um die Führungskrise zu beenden. Rösler sagte dazu am Abend, er wolle an diesem Montag den Gremien sagen, wie er sich die Zukunft der Partei und das Team für die Bundestagswahl vorstelle. Auch zu Brüderles Vorschlag will er sich äußern. FDP-Präsidiumsmitglied Dirk Niebel betonte, das "tolle Ergebnis für die FDP" gebe "unseren Mitgliedern ihre Würde zurück".
Zur Wahl aufgerufen waren 6,1 Millionen Niedersachsen. Um die regulär 135 Sitze im Parlament bewarben sich 659 Kandidaten. Die Wahlbeteiligung lag 2008 bei 57,1 Prozent, das war die bisher geringste bei einer Wahl in diesem Bundesland. Diesmal lag sie bei 59,4 Prozent.