Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Rheinland-Pfalz:Erfolg für das Dreyer-Bündnis

Die SPD-Spitzenfrau in Mainz kann ihren Job behalten. Vielleicht aber anders als sie denkt.

Von Matthias Drobinski und Gianna Niewel, Mainz

Im Innenhof des Abgeordnetenhauses in Mainz stehen Pavillons, einer für jede Partei, in jedem hängt ein Flachbildschirm, über den werden die Ergebnisse reinkommen. Regen tropft auf die Planen. Menschen mit Masken werkeln herum. Wahlpartys wird es heute keine geben. Es ist das seltsame Ende eines seltsamen Wahlkampfs.

Um kurz vor 18 Uhr haben sich die Journalistinnen und Journalisten in Stellung gebracht, die meisten vor dem Pavillon der SPD. Mikrofone, Kameras, Kabel. Im Pavillon der CDU stehen eine Landtagsabgeordnete, der Geschäftsführer und der stellvertretende Landesvorsitzende. Ein Kameramann hat die Idee, ihre Spiegelbilder in einer Pfütze zu filmen.

Als dann die ersten Hochrechnungen reinkommen, SPD 33,5 Prozent, rufen der Generalsekretär und der Geschäftsführer der Landtagsfraktion kurz "ohh". Ihre Fäuste stoßen aneinander. In Umfragen war die Partei in den vergangenen Wochen an die CDU herangekommen; vor knapp zwei Wochen hat sie sie zum ersten Mal überholt. Eine Partei, die im Bundestrend bei 15 bis 16 Prozent festhängt, schafft es im Land auf mehr als das Doppelte. "Eine Sensation", sagt der Innenminister und SPD-Chef Roger Lewentz. "Wir sind Volkspartei, wir sind stark."

Woran das liegt? Allen voran an der Spitzenkandidatin. Malu Dreyer konnte in den vergangenen Wochen - wie alle anderen auch - nicht "nah bei de Leut" sein, aber sie erreichte eben diese Leute trotzdem. Sie hat die Gabe, auch aus der Distanz Nähe zu erzeugen.

"Heute ist ein glücklicher Tag", ruft die Regierungschefin

Hinzu kommt, dass die Menschen sie vor allem als Ministerpräsidentin wahrgenommen haben dürften. Sie konnte abends in den Nachrichten sagen, dass Biontech den Impfstoff entwickelt hat, und morgens in ganzseitigen Zeitungsinterviews erklären, dass das Land beim Impfen vorne liegt. Sie konnte die Menschen daran erinnern, dass es so schlecht doch nicht läuft in Rheinland-Pfalz.

Um 18.30 Uhr tritt Malu Dreyer auf die Treppe der Staatskanzlei, zieht die Maske ab, schwenkt sie in der Hand hin und her, strahlt. "Sie können sich denken, heute ist ein glücklicher Tag", sagt sie. Dann dankt sie den Wählerinnen und Wählern, spricht vom Regierungsauftrag, von einer gut aufgestellten Partei. Ob sie das alles noch mal sagen kann, ohne mit der Maske zu schwenken, für die Kameras? Sie lacht, gibt die Maske ihrem Mann, wiederholt: "Also heute freue ich mich noch einmal sehr, sehr, ich bin einfach nur ein glücklicher Mensch."

Im Innenhof des Abgeordnetenhauses sagt der Generalsekretär der SPD, er habe jetzt Bierdurst. Aber es gibt kein Bier, und außerdem muss er weiter. Ins Fernsehstudio.

Ein paar Meter weiter beim CDU-Pavillon ist es sehr still. Die Partei hatte bis zuletzt eine Wechselstimmung im Land beschworen, die jedoch ausblieb. Auf dem Bildschirm bleibt der Balken bei 25,5 Prozent stehen, ein historisch schlechtes Ergebnis.

Wer verliert, sucht nach Gründen. Geschäftsführer Martin Brandl sagt, das tue "richtig weh". Eine Abgeordnete übernimmt: Der Wahlkampf sei schon schwer genug gewesen, Krisenzeiten seien immer Regierungszeiten. Aber das mit den Masken sei der eine Punkt gewesen, den sie wirklich nicht gebraucht hätten. "Das hat die Leute sauer gemacht und uns auch."

"Für uns ein bitterer Abend", sagt der CDU-Spitzenkandidat

Christian Baldauf ist nicht im Innenhof, er spricht später zur Partei. Wobei er nicht sofort reden darf, eine Stimme aus dem Off zählt noch herunter: drei, zwei, eins, null. Dann kann er die Niederlage erklären. Er gratuliert der Wahlgewinnerin, sagt dann: "Für uns ist das ein bitterer Abend. Wir haben uns ein besseres Ergebnis gewünscht, das ist leider nicht eingetroffen." Er dankt den Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern, die in extrem schwierigen Zeiten alles gegeben hätten, man habe "das Beste gemacht, was wir machen konnten". Er sagt dann, was viele in der CDU an diesem Abend sagen. Die Maskenaffäre habe nicht für Rückenwind gesorgt. Bis vier Wochen vor der Wahl konnte die CDU vom Trend der Bundespartei profitieren. Jetzt, sagt Christian Baldauf, komme es darauf an, beieinander zu bleiben. Es ist auch ein Wort an die notorisch zerstrittene Partei im Land.

Die Grünen haben ihren Stand nicht auf dem Innenhof, sondern um die Ecke. Um kurz nach 18 Uhr ist da niemand, es ist kalt, und es regnet. 9,5 Prozent sagen die ersten Prognosen, sie werden noch ein bisschen zurückgehen. Rheinland-Pfalz ist nun mal für die Grünen kein leichtes Land. Es gibt kaum größere Städte, kaum typisch grünes Milieu. Zudem tritt eine SPD an, die sich ins Wahlprogramm geschrieben hat, dass das Land bis 2040 klimaneutral werden soll. Die Grünen können da nur sagen: Wollen wir auch, bloß früher. Dementsprechend sagt Spitzenkandidatin Anne Spiegel am Abend vor allem, wie stark sie zugelegt hätten im Vergleich zu 2016.

Im Innenhof des Abgeordnetenhauses löst sich der Pulk aus Kameramännern und Politikern, aus Journalistinnen und Landtagsabgeordneten langsam auf, so früh wie nie. Eine Frage aber bleibt: Wie geht es weiter? Den Hochrechnungen zufolge würde es für eine Fortführung der Ampelkoalition reichen. Alle drei beteiligten Parteien haben ziemlich deutlich anklingen lassen, wie gut sie zusammenarbeiten. Das heißt dann wohl: Es geht weiter mit Malu Dreyer - und auch weiter mit der Ampelkoalition aus SPD, FDP, Grünen, der derzeit einzigen in Deutschland auf Landesebene. So schaut es jedenfalls am Abend eine ganze Weile aus.

Ampelkoalitionen gelten als schwierige Bündnisse, politisch liegen die Grünen und die Liberalen immer wieder über Kreuz, vor allem bei der Frage, wie viele Windräder und wie viele Parkplätze ein Land braucht. Umso erstaunlicher ist es, wie schnell die Regierung nach der Wahl 2016 in Mainz zusammenfand, damals mit einer starken SPD und zwei kleinen Partnern. Als Malu Dreyer damals die neue Regierung vorstellte, sagte sie: "Es ist mir ein ganz großes Vergnügen, diese bunte Reihe hier zu sehen." Und dass es eine schöne Zeit werde.

Der Anfang der Koalition war so schlecht, dass es nur noch besser werden konnte

Das kam erst einmal anders. Im Hunsrück liegt der Flughafen Hahn, seit Jahren verlustträchtig, weswegen das Land seine Anteile daran verkaufen wollte. Im Sommer 2016 schien ein Käufer gefunden zu sein. Doch der Verkauf platzte. Für die Regierung war das der denkbar schlechteste Start.

Das Gute daran: Es konnte nur besser werden. Und tatsächlich regierte die Ampel danach weitgehend geräuschlos. Die Ministerpräsidentin lasse "jeder Partei ihren Freiraum", sagte Anne Spiegel, die Spitzenkandidatin der Grünen. Sie kämen gut zurecht, sagte Volker Wissing, der Wirtschaftsminister der FDP. Und auch die Bürgerinnen und Bürger gaben in Umfragen an, mit der Regierung zufrieden zu sein, vor allem mit dem Krisenmanagement während Corona. Das Land liegt derzeit vorne bei den Impfungen.

Später kommt Malu Dreyer in die Pressekonferenz, rotes Kleid, sie lächelt, beim Gehen, wenn sie sitzt. Sie sagt, was für ein schöner Tag das sei. Auch sie wird gefragt, wie es weitergeht. Eine große Koalition? Nur die "Ultima Ratio", sagt sie. Und dass die Ampel sehr gut miteinander gearbeitet habe. Da ahnt sie noch nicht, wie greifbar nahe im Laufe des Abends eine andere Konstellation kommt: Rot-Grün, in den Hochrechnungen zeitweise nur einen Sitz von der Mehrheit entfernt. Also alles offen, ehe nicht die letzte Stimme ausgezählt ist?

Das könnte auch in Berlin zu Gedankenspielen führen. Wäre die Ampel zumindest nicht auch eine Option für den Bund? Auch unter Führung der Grünen? "Warum soll der Bund nicht darauf hingucken?", hat Dreyer am Abend gesagt. Dann aber müsste die SPD noch ordentlich vom Dreyer-Trend profitieren.

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