Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Mit dieser App steuert die CDU ihre Wahlhelfer

Lesezeit: 4 min

Von Matthias Kolb, Düsseldorf

Schon um kurz nach 18 Uhr, Wahlsonntag in NRW, strahlte Marco Schmitz über das ganze Gesicht. Er hatte sich im Wahlkreis 41 (Düsseldorf II) für ein Direktmandat beworben und die ersten Prognosen verhießen Gutes: einen Sieg von CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet, was allen Christdemokraten nutzt. Doch Schmitz, Jahrgang 1979, war noch aus einem anderen Grund optimistisch: Er hat mit seinem Team an mehr als 5000 Haustüren geklopft, sich den potenziellen Wählern vorgestellt und sie gebeten, für ihn und die CDU zu stimmen.

"Das kam sehr gut an, denn die Bürger haben nicht oft Kontakt mit Politikern", berichtet Schmitz. Den Weg gewiesen hat ihm die App Connect17, die die Bundes-CDU mit der Jungen Union entwickelt hat. Sie erstellt eine Potenzialanalyse und schickt Bewerber wie Schmitz in Straßenzüge, in denen mögliche Sympathisanten leben: "Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand CDU wählt, muss über 60 Prozent liegen."

Die Strategie ist die gleiche wie in den swing states der USA: Man tut alles, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren, lässt sich aber nicht in lange Diskussionen verwickeln und versucht nicht, Andersdenkende zu überzeugen. "Get Out the Vote" heißt der Ansatz und Politologen wie Donald Green fanden schon 2004 in Tests heraus, dass E-Mails oder Anrufe wenig Wirkung zeigen. "Es gibt tatsächlich kaum etwas Effektiveres, als wenn Nachbarn oder Bekannte vor deiner Tür stehen und für ihren Kandidaten werben", sagte Green 2013 in einem Interview.

Connect17 übernimmt nun die Innovationen des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016: Das Smartphone ist das wichtigste Instrument der Aktivisten und kann die Daten schnell an die Zentrale schicken. Seit Dezember 2016 gibt es die App, auch Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland und Daniel Günther in Schleswig-Holstein setzten bei ihren Kampagnen auf Haustür-Wahlkampf und waren damit bekanntermaßen erfolgreich.

An 75 000 Türen wurde im Saarland geklopft - das entspricht fast jedem fünften CDU-Wähler. Wahlsieger Günther sei vergangene Woche aus dem Norden nach NRW gereist und habe die Helfer mit den Worten "Macht weiter, es wirkt" angefeuert, erzählt CDU-Kandidat Schmitz. Für ihn hat es sich gelohnt: Mit knapp 2000 Stimmen Vorsprung lag er am Ende vor dem SPD-Bewerber und sitzt künftig im Düsseldorfer Landtag.

Vom "Lehrling" zur "Wahlkampf-Legende"

Aus den USA hat die CDU auch den Aspekt der Gamification übernommen: Wer sich als Unterstützer angemeldet hat, bekommt für diverse Aktivitäten Punkte gutgeschrieben. Der Wettbewerbsgedanke sporne an, sagt Schmitz: "Jeder kann sehen, wo er in der Rangliste steht." Drei Optionen sind auf dem Smartphone-Bildschirm zu sehen: Bei "Tür zu Tür" wird belohnt, wer mit möglichst vielen Bürgern an der Haustür spricht, unter "Social Media" gibt es Punkte für entsprechende Facebook-Posts oder verschickte SMS an Bekannte und bei "Unterstützer" kann man neue Wahlhelfer registrieren.

Ähnlich wie bei Trumps "America First"-App ( Details in diesem SZ-Artikel) kann der Wahlhelfer so seinen Status verbessern: Aus dem "Lehrling" kann eine "Wahlkampf-Legende" werden und die zehn fleißigsten Unterstützer mit den meisten Punkten erhalten nach der Bundestagswahl einen Anruf von Angela Merkel persönlich.

Etwa 4000 Mal wurde die App heruntergeladen, berichtet JU-Bundesgeschäftsführer Conrad Clemens, der das Projekt im Konrad-Adenauer-Haus betreut. Eine Daten-Auswertung zeige, dass das Ergebnis der CDU in jenen Wahlkreisen um zwei bis zweieinhalb Prozentpunkte höher liege, in denen die App eingesetzt wird. Sehr vorangetrieben wurde das Projekt von Generalsekretär Peter Tauber, der selbst gern an Haustüren klopft und bei Twitter und Instagram verkündet: "Connect17 wirkt."

Experten wie Simon Hegelich warnen davor, die Siege der CDU nur auf die App zurückzuführen. Er erinnert an die überzogene These, die Big-Data-Firma Cambridge Analytica sei allein für den Wahlsieg von Trump verantwortlich. "Empirisch ist schwer zu sagen, wie viel Prozent das ausmacht. Die starke Mobilisierung der SPD nach der Kür von Martin Schulz hat sicher zu einer Gegenreaktion geführt", sagt der Professor für Political Data Science der Hochschule für Politik an der TU München. Er lobt den Ansatz der Union. Es sei klug, hier Netzwerke aufzubauen: "Das wirkt bieder, aber es ist sehr stabil. Die gesammelten Informationen lassen sich für die künftige Wahlkämpfe nutzen."

Auch Martin Fuchs, Politikberater und Blogger, lobt Connect17. Zwar würden Apps seit Jahren in der Politik genutzt, doch der Ansatz sei neu, Big Data für den Tür-zu-Tür-Wahlkampf einzusetzen. "So eine App, die jeder Laie nutzen könne, gab es noch nie." Er hebt noch einen anderen Aspekt hervor: Die App schaffe einen Feedback-Kanal zwischen den Zehntausenden Wahlhelfern im Land und der Zentrale. "Bisher kamen die Parteien nie ganz tief runter, höchstens bis zur Kreisebene. Nun können die Aktivisten nach Berlin melden, worauf die Bürger sie ansprechen, so dass in relativ kurzer Zeit gegengesteuert und Reden angepasst werden könnten", sagt Fuchs. Dieses Potenzial sei noch nicht ausgeschöpft - mit den nötigen Ressourcen ließe sich etwa auf Facebook für die jeweiligen Regionen angepasste Werbung ausspielen.

Von den Milliardensummen, die in den USA für Wahlkämpfe ausgegeben werden, ist Deutschland weit entfernt. Und den Erwerb von extrem genauen Datenprofilen einzelner Wähler lässt der strengere deutsche Datenschutz nicht zu. Connect17 kombiniert also alte Wahlergebnisse mit zusätzlich angekauften Adressdaten der Post-Tochter "Post direkt", die sonst vor allem die Werbeindustrie nutzt. Diese gelten pro Straßenzug und sind keinem Einzelhaus zuzuordnen. In Schulungen, so JU-Mann Clemens, erkläre man den Unterstützern, dass sie die App während der Begegnung an der Haustür in der Tasche lassen und sich ganz auf das Gespräch mit den Bürgern konzentrieren sollen.

Erst im Anschluss tippen sie auf Smileys und geben an, was die Wähler über die CDU denken. Das Speichern der Daten geschieht erneut hochgerechnet auf Ebene der Straßenzüge. Beim ersten Einsatz im Saarland prüfte die dortige Datenschutzbeauftragte, ohne etwas zu beanstanden.

Dass die CDU ebenso wie alle anderen Parteien hier sensibel vorgeht, wundert nicht: Mögliche Verstöße wären ein Desaster für das eigene Image. Laut Politikberater Fuchs wird die Linke in wenigen Wochen eine App zum Download anbieten, die auch in der Lage sein soll, Sympathisanten in der Nachbarschaft direkt zu vernetzen. Und was macht die SPD, die sonst am stärksten auf Haustür-Wahlkampf setzte und 2015 an fünf Millionen Türen klopfte? Die Genossen haben ebenfalls eine App, doch die ist nicht mehr als ein simples Online-Formular.

Dass es in Nordrhein-Westfalen nicht gut für die Sozialdemokraten lief, war in den vergangenen Tagen deutlich zu spüren. In Gesprächen wurde über die übereifrigen JU-Mitglieder gespottet und auf der Website der NRW-SPD wurden Verhaltenstipps für den Fall gegeben, dass die Konservativen in den "knallorangenen Jacken kommen" und an der eigenen Tür klingeln: "Erst mal einen Kaffee anbieten" oder Gegenfragen stellen wie "Ist das Polohemd eigentlich von Lacoste?"

Der Online-Artikel offenbart einerseits eine ziemliche Überheblichkeit und zeigt andererseits ein Unverständnis, wie die App der Konkurrenz funktioniert. Und beides ist ziemlich verheerend in Wahlkämpfen, in denen jede Stimme zählt.

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