Im Norden, so sagt man, sind die Menschen zurückhaltender als anderswo. Nicht so laut wie etwa die Besucher bayerischer Bierzelte und nicht so aufdringlich wie Menschen, denen man zum Beispiel in Berliner S-Bahnen begegnet. Der Norden schätzt Getöse nicht. Und darum ist es sicher kein Zufall, dass die Wähler in Deutschlands nördlichstem Bundesland am Sonntag mit Daniel Günther einen Mann zum Sieger gemacht haben, der im Wahlkampf ganz besonders nüchtern, sachlich und unaufgeregt wirkte.
Ein bemerkenswerter Sieg war das, denn Günther hatte einen schweren Auftakt. Seine CDU schwächelte seit langem, sein Vorgänger schmiss sechs Monate vor der Wahl hin, weil ihm die Umfragen so aussichtlos erschienen. Günther musste als neuer Spitzenkandidat einen Schnellstart hinlegen. Die Konkurrenten der anderen Parteien machten Witze darüber, dass selbst in Schleswig-Holstein niemand seinen Namen kannte. Und dann das: 32 Prozent für die CDU, fast fünf Prozentpunkte Vorsprung auf die SPD von Ministerpräsident Torsten Albig.
In der Tat schien sich der Neue zunächst nahtlos einzufügen in die Reihe der Namen: Jost de Jager, Reimer Böge, Ingbert Liebing. Die drei haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens waren sie alle während der zurückliegenden Legislaturperiode CDU-Vorsitzende. Zweitens: Wenn Menschen aus anderen Bundesländern Fotos dieser Männer betrachten, fragen sie meistens, "Wer ist das?" Daniel Günther passt nun nicht mehr ganz in diese Ahnengalerie. Viele Menschen werden sich gestern beim Nachrichtengucken schon gefragt haben: "Ist er das?"
Dass der Mann mit dem jungenhaften Gesicht, dem freundlichen Lächeln und den blonden Haaren ein bisschen unscheinbar wirkt, mag auch dazu geführt haben, dass ihn seine Gegner vielleicht ein wenig unterschätzten. Viel mehr als seine biografischen Eckdaten wusste kaum jemand über ihn: 43 Jahre, Katholik, verheiratet und Vater einer kleinen Tochter.
Aber auch wenn Günther recht unbekannt ist, ein Anfänger ist er nicht. In den vergangenen Jahren verfolgte er zielstrebig seine Karriere: Studium der Politikwissenschaften, daneben Parteiämter. Erst CDU-Kreisgeschäftsführer in seinem Heimatort Eckernförde, dann Landesgeschäftsführer, mehrere Mandate in der Lokalpolitik. 2009 wurde er Landtagsabgeordneter und war offenbar erfolgreich im Parlament: Die CDU-Fraktion führte er schon seit 2014, war also seitdem Oppositionschef.
So wünschen sich CDU-Wähler ihren Kandidaten
Das liest sich wie die typische Biografie eines Aufsteigers. Der sich vor allem für eines interessiert: Politik. Der aber in der Öffentlichkeit wenig präsent ist. Geschadet hat es ihm nicht. Mit Daniel Günther habe die CDU diesmal einen Spitzenkandidaten aufgeboten, der aus der Landespolitik komme und im Wahlkampf unprätentiös und sachorientiert aufgetreten sei, sagte der Politikwissenschaftler Joachim Krause der dpa. Günther verkörpere ein Bild, wie es sich viele CDU-Wähler wünschten.
Das sieht auch Caren Miosga so, die ARD-Moderatorin, der Günther noch am Wahlabend ein bemerkenswertes Interview gab.
Miosga: "Nach so einem wie Sie es sind, sucht man schon lange in der CDU. Da kommt mal eben ein Junge von nebenan um die Ecke und gewinnt - Zack! - die Wahlen. Wie haben Sie das geschafft?"
Günther: "Na, ich bin ja nicht einfach um die Ecke gekommen. Sondern ich war ja zu der Zeit schon zwei Jahre Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag. Also ich hab auch schon gezeigt, dass ich Politik beherrsche ..."
Miosga (unterbricht ihn): "Aber nur ein paar Monate im Wahlkampf."
An dieser Stelle pausiert Günther kurz und seine blauen Augen blicken ratlos durch die Brille in die Kamera. Es scheint, als würde er überlegen, ob er die Moderatorin jetzt zurechtweisen soll, weil die Arbeit als Fraktionschef doch auch schon Politik gewesen ist und er deshalb durchaus mehr Erfahrung als nur ein halbes Jahr ... Andere Politiker hätten an diesem Punkt sicher Streit angefangen.