Landtagswahl in Thüringen:Endspurt mit schwerer Last

Dieter Althaus kämpft nicht nur um die Wiederwahl, sondern auch gegen ein Thema, über das er schweigen soll. Doch sein Skiunfall vom Januar holt den CDU-Politiker überall ein.

Christiane Kohl, Erfurt

Es gibt Momente, da scheint der Wahlkampf schwer wie Blei auf Dieter Althaus zu lasten. Das offenbart sich etwa bei diesem Treffen, wo man vor Schnittchen und rot-weiß-karierten Tischdecken in der "Bayerischen Stube" eines Erfurter Hotels zusammensitzt. Eigentlich hat der thüringische Ministerpräsident die Journalisten zum zwanglosen Gespräch zusammengerufen. Doch jetzt sitzt der Politiker steif da, starrt auf die Deckchen und lässt deutlich spüren, dass er eigentlich gar nicht dazu aufgelegt ist, mit den Gästen zu sprechen. Schnoddrig und schnell rattert er seine Erklärungen herunter, und fast ist alles schon vorbei, als eine Frage den CDU-Politiker dann doch noch aus der Reserve lockt.

Landtagswahl in Thüringen: Nicht immer zu Gesprächen aufgelegt: Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) im Wahlkampf.

Nicht immer zu Gesprächen aufgelegt: Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) im Wahlkampf.

(Foto: Foto: ddp)

"Gehen Sie davon aus, dass Sie auch nach der Wahl noch Ministerpräsident bleiben werden?", wird er gefragt. Althaus blickt nach schräg unten ins Leere, richtet sich auf und lässt eine kleine Pause entstehen. "Selbstverständlich", hört man ihn dann mit fast tonloser Stimme sagen, und das Wort ist zwar leise gesprochen, aber zugleich klingt es sehr entschlossen. Nein, Althaus ist keiner, der vor der Zeit aufgibt. Auch wenn es ihn noch so viel Kraft kosten mag, angesichts der Ereignisse seit Jahresbeginn jetzt noch den Endspurt im Kampf um die Wählergunst zu bestehen. Und selbst die Behauptungen, dass angesichts der verheerend klingenden Wahlumfragen der letzten Wochen mancher in der CDU die Wahl schon für verloren gegeben habe, lässt er nicht gelten: "Umfragen sind Tageserscheinungen, die wir zur Kenntnis nehmen."

Zwei Stunden später wirkt der Kandidat wieder wie ausgewechselt: Nun steht Dieter Althaus auf einer Rednertribüne in Gotha und heizt mit lauter Stimme seinen Zuhörern ein, er warnt vor dem Schreckgespenst einer rot-rot-grünen Koalition, die "ein Drama für Thüringen" bedeuten würde, und er klatscht ausgelassen im Rhythmus der Rockmusik, die als musikalische Umrahmung zu seinem Auftritt gespielt wird. "Helfen Sie mir bitte", sagt er hernach, "dass ich diesem schönen Land weiter dienen kann."

Sind es also doch nur wieder die Journalisten, die mit ihren Mäkeleien die Stimmung vermiesen? Keiner der Kandidaten in den drei Ländern, in denen am Sonntag ein neues Landesparlament gewählt wird, steht wohl so unter Beobachtung wie der Thüringer Althaus: Ganz gleich, ob er bei einer der zahllosen Betriebsbesichtigungen, die er im Wahlkampf absolviert, durch die Werkshalle schlendert oder später im Bus fährt, ob er im Fernsehen mit seinen Kontrahenten diskutiert oder in einer Fußgängerzone mit Passanten plaudert - immer wieder versuchen Beobachter zu ergründen, wie er sich wohl fühle mit der Last des tragischen Unglücks. Und selbst in belanglosen Gesprächen wird der Skiunfall, bei dem zu Jahresbeginn eine Frau ums Leben gekommen ist, immer wieder thematisiert.

Nicht mal, wenn er übers Wetter redet, ist Althaus davor gefeit. Da hat er auf dem Marktplatz in Gotha eine ältere Frau angesprochen, die mit anderen beim Kaffeetrinken sitzt. Heiß sei es hier, sagt Althaus zu ihr. Dann erzählt er, dass er am Vortag tatsächlich bei fünf Grad minus gefroren habe, denn da sei er bei der Einweihung der ersten deutschen Kunstschnee-Langlaufbahn gewesen, einem millionenschweren Bau im thüringischen Winterskiort Oberhof. Eine tolle Investition, will Althaus damit sagen. Doch die alte Frau fragt entgeistert: "Das Skilaufen können Sie wohl nicht lassen, wie?" Althaus geht zum nächsten Kaffeetisch.

Privates brachte Schlagzeilen

Daran, dass der Unfall wie ein Schatten alle Themen im Wahlkampf überlagert, ist der 51-Jährige selbst nicht ganz unschuldig: Allzu oft hat er sich in Interviews auf private Fragen eingelassen. Er hat berichtet, dass er vor einigen Wochen am Grab der toten Skifahrerin gebetet habe, und dass er nach dem Unfall ganz neue Empfindungen für seine Frau entdeckt habe. Das brachte Schlagzeilen. Doch wenig später kam es wie ein Bumerang zu Althaus zurück, und er musste sich nicht nur der Kritik von politischen Gegnern in Thüringen erwehren, sondern auch der Familie der Toten in Österreich schriftlich erklären, dass er künftig Stillschweigen bewahre über Details des Unfalls und seine Gefühle danach.

Und nun sitzen die Journalisten wieder da und versuchen, ihn zu neuen Antworten zu drängen: "Nein", sagt Althaus in der "Bayerischen Stube", er sage jetzt nichts mehr. Doch dann schiebt er hinterher: "Was ich gesagt habe, das wollte ich so sagen, sonst hätte ich es nicht gesagt."

Wo bleibt die Politik?

Immer nur dieser Unfall. Wo bleibt die Politik? In einer Diskussion mit seinen beiden Hauptkontrahenten Christoph Matschie von der SPD und Bodo Ramelow von der Linkspartei hatte Althaus vergangenen Montag Gelegenheit dazu. Wieder schaute er zumeist nach schräg rechts unten, wieder spulte er lustlos seine Erklärungen herunter. Unterdessen gaben sich die beiden Herren aus dem linken Spektrum wie die Sachwalter des mittelständischen Unternehmertums: Von Kleinkrediten für notleidende Handwerker war da die Rede, von Entbürokratisierung und einem Eigenkapital-Fonds. Althaus gelang es nur mäßig, dagegen zu punkten.

Niedrigste Arbeitslosenquote in Ostdeutschland

Dabei ist die Bilanz seiner Regierung gar nicht so schlecht, wie sie oft dargestellt wird: Thüringen hat mit weniger als zwölf Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote in Ostdeutschland, auch beim Bildungsniveau kommen Thüringer Schüler laut Pisa-Studie sehr gut weg. Zwar ist die Verschuldung des Landes mit 16 Milliarden Euro beträchtlich, weshalb Jahr für Jahr allein 700 Millionen Euro für Zins und Zinseszins aufgebracht werden müssen. Immerhin aber hat es die Regierung Althaus verstanden, die Verwaltungskosten durch drastischen Stellenabbau zu senken, überdies wurden in den vergangenen zwei Jahren Haushalte ohne neue Schuldenaufnahme vorgelegt. Einzig im laufenden Jahr muss Thüringen doch wieder 300 bis 350 Millionen Euro an neuen Krediten aufnehmen - das kommt vom Konjunkturprogramm.

Krach gibt es allerdings wegen der hohen Abwassergebühren, welche die Bürger berappen müssen. Kosten zwar, die zumeist auf Fehlentscheidungen zurückgehen, die in den ersten Jahren nach der Wende getroffen worden waren - aber Althaus muss jetzt dafür geradestehen. Auch mit seiner Kabinettsumbildung erntete der Ministerpräsident im vergangenen Jahr wenig Beifall. Viel gestritten wurde zudem um die von seiner Regierung angestrebten Kürzungen im Kulturbereich. So wurden kleine Orchester gebündelt, immer wieder setzten sich jedoch einzelne Städte und ihre Theater gegen den Sparwillen der Landesregierung zur Wehr. Thüringen ist von der Struktur her ein Land, das aus lauter ehemaligen Fürstentümern besteht, da ist es nicht leicht, sich durchzusetzen.

Mit Trillerpfeifen und Transparenten

Und dann sind da noch die Erzieherinnen. Mit einer "Offensive" für Familien hatte Althaus Geld aus den Kindergärten abgezogen, um es direkt an die Eltern auszuzahlen. Das provozierte Proteste im ganzen Land. Selbst bis zum Rednerpodium in Gotha gelangt bis heute die Kritik. Nicht nur, dass oben am Kirchturm ein Transparent hängt, demzufolge 2000 Erzieher und Erzieherinnen fehlten, unten vor der Rednerbühne haben sich auch ein paar Demonstranten aufgebaut, die jetzt mit Trillerpfeifen und Transparenten versuchen, Althaus Redefluss zu unterbrechen. "Politik muss Aufgaben lösen und nicht Missionen versprechen", ruft er seinen Kritikern entgegen.

Ein paar Meter weiter haben die Grünen einen Stand im Schatten der Bühne aufgebaut. Hier steht die Spitzenkandidaten Astrid Rothe-Beinlich mit ihrem roten Haar und verteilt grüne Windräder. "Seit 15 Jahren sind wir nicht im Parlament", sagt die Pfarrerstochter. Bei den letzten Wahlen 2004 war der Einzug ins Landesparlament an 7000 Stimmen gescheitert. Laut Umfragen liegen die Grünen diesmal bei sechs Prozent. Würden sie tatsächlich in den Landtag kommen, könnte es für Althaus schwierig werden, eine Regierung zu bilden: Seine CDU liegt derzeit bei 34 bis 36 Prozent, die FDP, die derzeit ebenfalls nicht im Parlament ist, werden acht Prozent zugetraut. SPD, Linke und Grüne aber könnten zusammen womöglich auf knapp 50 Prozent kommen.

Ein Schritt nach dem anderen

Hängt das politische Schicksal von Althaus damit womöglich an den Grünen? Einfache Rechnungen sind manchmal falsch. Denn je konkreter die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition in den Diskussionen wird, um so unwahrscheinlicher könnte sie in Wirklichkeit sein - wegen der Angst davor. Kaum eine Rede, in der Dieter Althaus jetzt nicht davon spricht, dass vor Jahren in Sachsen-Anhalt so ziemlich alles schiefgegangen sei mit einer rot-roten Regierungskonstellation. Auch die Kanzlerin warnt vehement davor, als sie vor 5000 Zuhörern im südthüringischen Suhl auftritt. Vier Mal wird sie bis zum Wahltag in Thüringen unterwegs sein, denn es ist auch für die Bundes-CDU ziemlich wichtig, wie Althaus sich in Thüringen schlägt.

Merkel erntet großen Applaus in Suhl. Dann wendet sie sich Althaus zu, der an diesem Abend eine recht klägliche Rede gehalten hat. Die Kanzlerin legt fast mütterlich den Arm um seine schmale Schulter, und irgendwie scheint ihm das nicht schlecht zu tun. Hernach steht er strahlend in der Menge und schreibt Autogramme. Und den Journalisten erklärt er selbstbewusst, dass sie die Wahl abwarten sollten: "Ich bin jemand, der gern einen Schritt nach dem anderen setzt."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: