Landtagswahl in Thüringen:Ein verlegenes Lächeln im Kaisersaal

Am Sonntag wird in Thüringen gewählt: Während die CDU um die absolute Mehrheit bangt, tun sich FDP und Grüne schwer mit ihrer möglichen Rolle als Koalitionspartner.

Von Jens Schneider

Zwischen den Cafés auf dem schönen alten Erfurter Wenigemarkt schreitet die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zur großen EM-Spiel-Auslosung. In der Hand trägt sie die Kiste mit den Namen all jener, die am Gewinnspiel der Grünen teilgenommen haben, zu Parteichef Reinhard Bütikofer. Es ist die große Abschlussveranstaltung im Thüringer Landtagswahlkampf. Bütikofer soll die Glücksfee sein.

Einer der Preise ist ein T-Shirt, das sich - wie Göring-Eckardt ungewöhnlich verwegen grinsend ankündigt - auch dem Naturschutz widmet. Es steht darauf in Großbuchstaben: "Auch gut zu Vögeln". Als Bütikofer den ersten Namen gezogen hat, lächelt die Parteikollegin wissend. Der Gewinner ist ihr bestens bekannt. Wenig später kündigt sie den Hauptgewinn des Nachmittags an: ein 3-Gänge-Essen mit ihr selbst. Bütikofer zieht, Göring-Eckardt gluckst. Auch mit diesem Gewinner ist sie per Du. Mit anderen Worten: Die Grünen sind bei der großen Abschlussveranstaltung zwischen den Fachwerkhäusern der Erfurter Altstadt unter sich geblieben.

So kann Umweltminister Jürgen Trittin sich nach einer kurzen Ansprache ausgiebig einzelnen Bürgern widmen. Richtig Zulauf hat allein der Stand, an dem Göring-Eckardt schwitzt. Sie serviert Öko-Bratwürste - zu einem Euro das Stück. Aber nach einem heißen Wahlkampffinale sieht das nicht aus, und doch sind Thüringens Grüne - geführt von der forschen 30-jährigen Astrid Rothe - in fast euphorischer Stimmung.

Liberale Gladiatoren

Ein Stück die nächste Gasse hinab liegt der ehrwürdige Erfurter Kaisersaal. Wenn man dort Tische und Stühle eng zueinander stellt, passen einige hundert Gäste hinein. Aber an diesem Abend ist auffällig viel Luft zwischen den Tischen. So sieht es immerhin ein bisschen voll aus, als die Spitzen der FDP, angekündigt wie Gladiatoren, nacheinander in den Saal einziehen.

Dabei haben selbst von den rund 2500 Parteimitgliedern im Land nicht viele in den Kaisersaal gefunden. Aber FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper gibt sich schneidig und kündigt einen Mann an, den sie, als wäre es ein Ritterschlag, ihren Lieblingskandidaten nennt. Das verwundert, weil Thüringens FDP-Spitzenkandidat Uwe Barth im Gegensatz zur Generalsekretärin eher durch leise Sachlichkeit auffällt.

Der gelernte Physiker, der im Hauptberuf in Thüringen im Umweltministerium einige brisante Sanierungsfälle betreut hat, leistet sich das kluge Eingeständnis, nicht von allem was zu verstehen in der Politik. Der zweifache Vater aus Jena, der bald vierzig wird, weiß, dass keiner seine Partei auf der Rechnung hatte, als er zum Spitzenkandidaten nominiert wurde. Thüringens FDP war lange Jahre dem eigenen Bundesverband peinlich. Sie wurde geschüttelt von anhaltendem internen Streit.

Ein verlegenes Lächeln im Kaisersaal

Barth galt als Verlegenheitslösung, dessen größtes Verdienst es nun ist, dass man sich nicht mehr prügelt. Aber als Uwe Barth, der sich als ungeübter Redner häufig verhaspelt, im Kaisersaal ans Pult kommt, ertönen plötzlich "Uwe, Uwe"-Rufe. Ein Stakkato, das diesen sogleich verlegen macht. Die Sprechchöre erinnern an die Euphorie von Fans unterklassiger Fußballteams, denen ein unvorstellbarer Pokalsieg gegen Bayern München winkt.

Denn auch wenn der Zuspruch des allgemeinen Publikums sich in Grenzen hält: Vom Abschneiden der beiden kleinen Parteien hängt offenkundig ab, ob Thüringen nach fünf Jahren Alleinregierung der CDU am Sonntag einen Machtwechsel erlebt. Sollte einer von ihnen nach zehn Jahren der Wiedereinzug in den Landtag gelingen, dürfte es für CDU-Regierungschef Dieter Althaus arg knapp werden. Verliert er die absolute Mehrheit, müsste er möglicherweise selbst einer schwachen SPD eine große Koalition anbieten - woran die Bundespartei noch weniger Interesse hat als er.

Die FDP bietet sich Althaus als nahe liegender Partner an, falls er denn einen brauchen wird. Die Grünen spielen kompliziert über Bande. So werben sie um Zweitstimmen, weil nur damit die Alleinregierung der Union beendet werden könne. Aber eine schwarz-grüne Koalition schließen sie aus. Was bedeuten würde, dass Anhänger der Sozialdemokraten die Grünen mit der Zweitstimme wählen sollen, damit die SPD dann mit der CDU regieren könnte.

Erfurter Farbenspiele

Auf die leichte Absurdität angesprochen, verdreht die Grünen-Landeschefin Astrid Rothe genervt die Augen. Seit Tage muss die Pfarrerstochter Spekulationen entgegentreten, dass ihre Partei sich doch heimlich auf das erste schwarz-grüne Landesbündnis der Geschichte vorbereite. Die junge Mutter hat sich seit früher Jugend politisch mutig gegen das Establishment engagiert. Als Schülerin verweigerte sie sich den Wehrsportübungen am Gymnasium.

Mit 14 engagierte sie sich in der kirchlichen Umweltbewegung, mit 16 gegen die Wahlfälschung bei den Kommunalwahlen und im Wende-Herbst 1989 bei der Stasi-Besetzung. Nach der Wende gründete sie autonome Jugendprojekte mit, war bei einem freien Radio dabei und in der Anti-Atom-Bewegung. Ein Bündnis mit dem Christdemokraten Althaus, der in DDR-Zeiten stellvertretender Schulleiter war, kann für sie nicht nahe liegen.

Rothe betont denn auch, dass es für sie praktisch keine Schnittmenge mit der Union gibt, und fragt, warum die Leute alle übersähen, dass Katrin Göring-Eckardt gar nicht auf der Landesliste steht. Die Bundestagsfraktionschefin - der schwarz-grüne Gelüste nachgesagt werden - will nämlich in Berlin bleiben.

Zu den Eigentümlichkeiten des Farbenspiels in der Vorwahlzeit gehört, dass Dieter Althaus über die Grünen schimpft, aber nie kategorisch Schwarz-Grün ausschließt. Wie groß seine Sorge vor dem Wahltag ist, demonstriert ein ungewöhnlicher Brief an die Wähler. Darin legt er die zu Anfang seiner Amtszeit so bemühte Bescheidenheit ganz ab und preist Thüringen als erfolgreichstes neues Bundesland. Im selbstbewussten Sachsen, dessen CDU ohnehin häufig über ihn spottet, wird man das aufmerksam wahrnehmen.

Bei Althaus' Werben um die absolute Mehrheit fällt aber noch mehr als der Anspruch auf Platz eins im Osten folgender Satz auf: "Sie wissen", schreibt er, "dass mir die Interessen unseres Landes wichtiger sind als die meiner Partei." Für viele Parteifreunde wird damit umgekehrt klar sein, wen sie verantwortlich machen, falls es zur absoluten Mehrheit nicht reicht.

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